Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917

Abschnitt 29: V. Alltägliches

[85-86] 30. Mai.
Ich bin heute zur Bagage nach W . . . zurückgegangen und habe im kalten Wasser der im Schatten hoher, dichtbelaubter Weiden und Ulmen schnell und breit dahinfließenden Suippes ein frisches Bad genommen. —
Die Verpflegung wollte in letzter Zeit nicht recht klappen. So mußte ich heute ein kleines Machtwort an der Feldküche reden. Man gebe dem Soldaten, was er zu verlangen hat und was sein Magen braucht, dann erst dem Kaiser, was des Kaisers ist.

31. Mai.
Mitternacht. Von links her schimmern die Kreideberge Cornillet, Hochberg und Pöhlberg durch die Nacht, aus denen wochenlanges Trommelfeuer jedes Leben ausgelöscht hat. Kein Baum, kein Busch, kein Gras, kein brauner Erdboden mehr — nur Kreide, die aus den Tiefen der Berge von Millionen Granaten emporgeschleudert wurde und noch täglich aufgewühlt wird.
Vor mir aber liegt das flache Hügelland, liegen die weiten Wiesen und Felder und eingestreuten, schwarzen Wälder in tiefem Frieden. [S. 86] Rechts im Grunde der grünen Ebene träumt das alte Reims von fernen Krönungstagen. Ueber der toten Stadt, um die stumpfen, kriegswunden Türme der Kathedrale, die gerade noch in ihren Umrissen zu erkennen sind, über den nachtfernen Hügeln — das dort ist der Pommeryhügel —, über allem, was das Auge umfaßt, ziehen und weben brauende Nebel, silbern und mondscheindurchleuchtet ... In diesem Frieden aber liegen sich tausend Menschen lauernd und feindlich gegenüber.


Personen: Egly, Wilhelm
Orte: Friedberg
Sachbegriffe: Feldküchen · Soldaten · Tagebücher · Ulmen · Wasser · Weiden · Verpflegung
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917, Abschnitt 3: V. Alltägliches“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/65-29> (aufgerufen am 29.04.2024)