Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Otto Herpel, Kriegszeit in einem hessischen Dorf in der Beschreibung des Pfarrers von Lißberg, 1914-1916

Abschnitt 19: Musterungen und Aushebung für den Landsturm

◀ [53-54] Nach Wochen begannen die Musterungen. Man erzählt von Gegenden und kleinen Städten, wo die Männer bis ins reifste Alter auch diese Landsturmmusterung nicht anders haben begehen können als weiland ihre Rekrutenlosungen: mit vielem Singen, mit bunten Bändern und großer, fast kriegsferner Ausgelassenheit.
Unser Dörflein sah solcher Männer keine. Da herrschte die ganze Zeit der Aushebungen hindurch ein stiller Ernst. Denn fast alle hat man genommen. Viele von ihnen stehen schon lange im Feld.

Und endlich haben sie auch den Wilhelm ausgehoben.
Das gab eine Aufregung durchs ganze Dorf! Die einen wurden ängstlich, weil man sogar den [S. 54] Wilhelm brauche. Die anderen spotteten, daß man ihn nehme. Daß er wirklich eingezogen werde, glaubte keiner, und jeder lachte.
Alle seine Kameraden waren lange schon in Garnison und Feld, als er immer noch zu Hause hin- und herging und seine schwere Arbeit mit vielem Stöhnen verrichtete. Ach, es war doch sehr schwer, ein Schwacher zu sein.

Da kam auf einmal sein Gestellungsbefehl. Das Dorf horchte auf, als müsse das unmöglich und nur ein Irrtum sein. Und aus einmal spottete keiner mehr, sondern hatte nur noch Mitleid mit dem Wilhelm.
Aber der ist plötzlich ein anderer geworden. Sein Angesicht strahlt von Freude; denn er hat eine große Erlösung erlebt: die Erlösung von harten Worten und unbarmherzigem Spott der anderen, von Kleinmut und Verschüchterung seiner selbst. Stolz geht er durch die Straßen, und morgen wird er einrücken. Mit erhobenem Haupte wird er ausziehen und nicht nur denken, sondern auch sagen:
„Nun bin ich kein Schwacher mehr. Denn nun bin ich Soldat, Soldat!"
Wahrscheinlich werden sie auch ihm das Geleite geben und ihn wie alle in ihrem Schmerze bergen. Der Wilhelm ist umgewertet, vor sich und den ändern. Das machte der Landsturm. ▶