Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Lorsch Karten-Symbol

Gemeinde Lorsch, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

Mitte 17. Jahrhundert

Lage

64653 Lorsch, Bahnhofstraße 10 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

erhalten

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Die Ursprünge einer jüdischen Gemeinde in Lorsch sind unbekannt. Es wird vermutet, dass sich im 12./13. Jahrhundert erstmals Juden hier niederließen. Gesichert ist dies aber erst seit Mitte des 17. Jahrhunderts, als die in Kleinhausen, heute Einhausen, lebenden Juden mit denen aus Lorsch eine Gemeinde bildeten.

Kellereirechnungen zufolge hatten 1660 drei jüdische Familien aus den beiden Ortschaften Abgaben zu leisten. Dies waren Simon und Lazarus aus Lorsch und Hersch aus Kleinhausen. Bis 1680 kamen in Lorsch Wolf und in Kleinhausen Aaron und Löser hinzu. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts nahm die Zahl jüdischer Bewohner nur langsam zu.

In Kleinhausen kam es 1794 vorübergehend zu einem Anstieg jüdischer Einwohner, nachdem sich Flüchtlinge aus linksrheinischen Gebieten dort zeitweise niedergelassen hatten. Auf der anderen Seite sank dadurch die Anzahl der Lorscher Gemeindemitglieder zeitweise auf fünf ab, so dass die nötige Zahl der Gottesdienstbesucher nicht mehr zusammen kam. Erst ein Kurmainzer Dekret vom 19. November 1795 untersagte den Betrieb eines eigenen Betraumes in Kleinhausen und verpflichtete die dortigen Juden, die Synagoge in Lorsch zu besuchen.

1828 wohnten in Lorsch 63 und in Kleinhausen neun Juden.1 1830 waren es zehn Familien: Samuel Mainzer, Herz Mainzer, Meyer Mainzer, Löb Mainzer, Gerson Rohrheimer, Löb Rohrheimer, Modul Lorch, Nathan Gutof, Herz Guthof, und Gustav Weil. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Einwohnerzahl kontinuierlich an und erreichte 1895 mit 101 ihren höchsten Stand. Danach sank die Zahl wieder und lag 1933 bei etwa 73.

Nach den Boykottmaßnahmen und Repressalien in der ersten Jahreshälfte 1933 zogen 14 jüdische Personen aus Lorsch fort. Wenig später, 1935, verließen vor allem Jüngere den Ort. Nachdem die Synagoge in der Pogromnacht abgebrannt worden war, überfielen Nationalsozialisten auch die Wohnungen und Geschäfte zahlreicher Lorscher Juden. Die meisten von ihnen hatten in der Wohnung von Jakob und Meli Liechtenstein in der Lindenstraße 8 im ersten Stock Zuflucht gesucht. Möglicherweise fühlten sie sich dort sicher, weil im Erdgeschoss eine christliche Familie wohnte. In der folgenden Zeit verließen weitere 29 Bürger die Stadt. Am 10. und am 15. August 1942 wurden die verbliebenen Juden aus dem so genannten Judenhaus in der Karlstraße 1 deportiert.

Betsaal / Synagoge

Die Gemeinde, zu der die jüdischen Einwohner von Kleinhausen und Lorsch gehörten, unterhielt in Lorsch eine Synagoge. Nachdem sich 1794 aus linksrheinischen Gegenden geflohene jüdische Familien in Kleinhausen niederließen, kam es vorübergehend zu einer Abspaltung, indem die dortigen Juden zeitweise einen Betraum in einem Privatgebäude nutzten. Dieser wurde nach Abzug der Flüchtlinge wieder aufgegeben. Ende des 18. Jahrhunderts stiftet Löb Hirz 100 Gulden für den Erwerb eines Gemeindehauses und 1807 stiftete der Wohltätigkeitsverein eine Sefer Thora mit der ausdrücklichen Maßgabe, sie ausschließlich in der Lorscher Synagoge zu verwenden. Neuere Überlegungen verorten diese Synagoge in der Bahnhofstraße 10.2 Dieses Gebäude stand zunächst im Besitz von Löb Hirz, später von dessen Enkel Mayer Mainzer I. Erst 1835 wurde es offiziell auf die Gemeinde überschrieben. Es beherbergte neben der Synagoge eine Lehrerwohnung und einen Versammlungsraum.

Anfang der 1880er Jahre beschloss die Gemeinde einen Neubau der Synagoge und die Zusammenlegung der gemeindlichen Einrichtungen. Nachdem das bestehende Gebäude abgerissen worden war, erwarb die Gemeinde ein hintergelagertes Haus und Grundstück in der Kirchstraße. Auf diesem nun durchgehenden Grundstück errichtete sie an der Bahnhofstraße die neue Synagoge und das Haus in der Kirchstraße diente als Lehrerwohnung. Den Zwischenraum füllte die neu erbaute Mikwe.

Die mit 120 Sitzen ausgestattete neue Synagoge wurde 1885 erbaut. Sie war ein äußerlich zweigeschossig erscheinender, vierachsiger, unverputzter Backsteinbau, dessen Längsachse in Ost-Westrichtung ausgerichtet war. Der von Säulen eingefasste Eingang lag in der Westseite, darüber befand sich ein gekuppeltes, ebenfalls von Säulen eingefasstes Rundbogenfenster. Die der Straße zugewandte Ostseite verfügte im Obergeschoss ebenfalls über ein gekuppeltes Rundbogenfenster. Diese ansonsten vergleichsweise schlichte Fassade wurde seitlich von polygonalen Wandvorsätzen eingefasst, die über der Dachfläche in kleinen Türmchen mit Kuppelabschluss endeten. Der Ortgang wurde von einem Rundbogenfries begleitet, in Höhe des Firstes erhoben sich abermals zwei kleinen Türmchen mit Kuppelabschluss, zwischen denen sich die beiden Steintafeln mit den zehn Geboten befanden. Dadurch erhielt der Neubau trotz aller Schlichtheit eine repräsentative Ansicht.

Durch den vier Stufen erhöht gelegenen Eingang betrat der Besucher zunächst einen kleinen Vorraum, aus dessen linkem Bereich die Treppe zur Frauenempore führte. Den überwiegenden Teil des Erdgeschosses nahm der eigentliche Synagogenraum ein. Er wurde durch drei, in den Längswänden befindliche Fenster sowie ein Fenster über dem Thoraschrein in der Ostwand beleuchtet. Die bis an diese Ostwald heranführende Frauenempore wurde durch zwei Säulenpaare gestützt.3

Im Inneren befand sich später auch eine Ehrentafel für die drei im Ersten Weltkrieg gefallenen Lorscher Soldaten jüdischen Glaubens, die 1931 angebracht worden war.

Die Ausstattung der Synagoge bestand aus 82 Plätzen mit Pulten für Männer, 36 Plätzen für Frauen und vier Kinderbänken. Die Garderobenvorrichtung verfügte über 120 Einheiten. Weiter bestanden ein Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Almemor mit Vorlesepult und Wickelbank, ein Vorbeterpult, die marmorne Gedenktafel, ein Kronleuchter, sechs Seitenleuchter, zwei Altarleuchter, eine Wanduhr, 40 Meter Läufer und 20 Fußmatten, ein Schrank für die Kultgegenstände und ein großer Ofen.4

Die Synagoge wurde in der Pogromnacht zunächst geschändet und verwüstet, anschließend in Brand gesteckt. Wenige Tage später wurde die Brandstätte geräumt und gereinigt. Einige wenig zuvor geborgene Fundstücke, darunter ein Lesefinger, befinden sich heute im Museum.

In der Schulstraße erinnert ein am 9. November 1982 gesetzter Gedenkstein an die jüdische Gemeinde und ihre Synagoge. Er trägt die Inschrift: „Dem Andenken der jüdischen Bürger unserer Stadt. Zur Erinnerung an die Synagoge der jüdischen Gemeinde Lorsch, die am 10. November 1938 zerstört wurde.“

Ein Thoravorhang aus der Synagoge fand sich erst vor kurzer Zeit wieder. Der Verfasser der Festschrift für den Wohltätigkeitsverein, der aus Lorsch gebürtige Moritz Mainzer, hatte nach seinen Recherchen in Lorsch einen von seinen Vorfahren gestifteten Thoravorhang mit nach Frankfurt genommen. Nach seinem Tod 1938 konnte seine Tochter mit einem der Kindertransporte in die USA entkommen. Ohne ihr Wissen hatte ihr ihre Mutter eine Tasche mit dem Vorhang mitgegeben, die erst 1982 wieder zum Vorschein kam. Der New Yorker Rabbiner Lawrence Troster erkannte darin schließlich den Lorscher Thoravorhang von 1819.5

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Wohltätigkeitsverein

Anfang des Jahres 1739 traten 14 jüdische Männer aus verschiedenen Ortschaften der Umgebung zusammen und gründeten den Wohltätigkeitsverein Lorsch. Ihre Namen sind nicht mehr bekannt, da die Stiftungsurkunde und die ersten Statuten erst 1751 niedergeschrieben wurden.6 Die ersten beiden Vorsteher waren Hirz aus Lorsch und Salomon aus Biblis.

Der Verein führte zunächst den Namen „Heilige Wohltätigkeitsbrüderschaft im Kurstaate Mainz im Amt Starkenburg“.7 Sein Hauptzweck war die Bestattung der Verstorbenen aus Bensheim, Biblis, Bürstadt, Bobstadt, Heppenheim, Hambach, Kleinhausen, Lorsch und später Hofheim und Nordheim. Ort der Bestattungen war Alsbach. Hier dürfte auch der Grund der Vereinsgründung zu sehen sein: Der Weg zum Friedhof führte durch verschiedene Ortschaften, in denen ebenso Abgaben zu leisten waren, wie an der kurmainzerisch/hessischen Grenze, die zu übertreten war.8 Diese Kosten, die sich arme Familien oft nicht leisten konnten, wollte der Verein künftig auch übernehmen.

1747 schaffte er einen silbernen Pokal an, der die Namen der damaligen Mitglieder trug. Wenig später erworbenes Tafelzinn, das die Mitglieder zu bestimmten Zwecken gegen Gebühr nutzten, wurde 1863 wieder veräußert und durch neues ersetzt. Ende der 1890er Jahre wurde dieses stückweise an Mitglieder abgegeben.

1799 untersuchte der angesehene Rabbiner Noa Chaim Zvi ben Abraham Möir Berliner die eingetretenen Veränderungen in den Bestattungsbräuchen und fertigte darüber in Lorsch einen Schriftsatz an. Die darin enthaltenen Ermahnungen brachten in den folgenden Jahren einen starken Mitgliederzuwachs.9

Infolge der Neuordnung der Länder 1803 wechselte das zuständige Rabbinat von Mainz nach Darmstadt.

1805 ließ der Verein eine Sefer Thora schreiben und stiftete sie 1807 in Anwesenheit des Rabbiners Mengenburg aus Darmstadt der Synagoge in Lorsch.

Der Verein war bis in das 20. Jahrhundert hinein tätig.

Brautausstattungsverein

1812 gründeten Mitglieder des Wohltätigkeitsvereins den Brautausstattungsverein. Vereinszweck war, alle drei Jahre ein armes Mädchen auszustatten und mit 300 Gulden Mitgift zu versehen. Die Auswahl des betreffenden Mädchens erfolgte per Los. Der erste Vorsteher war Baruch Mainzer aus Lorsch.10 Auch die Auswahl des Vorstehers erfolgte per Los unter den Mitgliedern, die sich nicht weigern konnten, dieses Amt anzunehmen. Zur Vereinsgründung hatte Löb Nathan 300 Gulden gespendet. 1890 änderte man die Statuten dahingehend, dass die Verlosung aufgehoben wurde. Dafür erhielt jede Braut eine Beisteuer von 600 Mark, falls der Vater als Vereinsmitglied darauf Anspruch erhob.11 Der Verein war bis in das 20. Jahrhundert hinein tätig.

Mikwe

Bis 1822 besuchten die Frauen aus Lorsch die Mikwe in Kleinhausen. Wenig später wurde auch eine Mikwe in Lorsch eingerichtet, ohne dass heute noch bekannt wäre, wo genau. 1852 geriet auch diese Einrichtung in das Blickfeld der Kreisverwaltung, die einen Neubau anordnete.12

Als die Gemeinde 1885 die Synagoge erbaut und das in der Kirchgasse gelegene Wohnhaus erworben hatte, füllte sie den Zwischenraum mit einer neuen Mikwe. Diese bestand aus zwei Zellen, zwei Wannen und den notwendigen Einrichtungen.13

Schule

Spätestens seit 1827 beschäftigte die Gemeinde mit Gustav Weil aus Ruchheim bei Ludwigshafen einen eigenen Lehrer und Vorsänger. Über das gesamte 19. Jahrhundert fand in Lorsch Religionsunterricht statt. Als letzter Lehrer unterrichtete Herr Müller aus Bensheim 1933 jeden Mittwoch sechs Kinder.14

Der 1885 erbauten Synagoge war ein Schulgebäude mit Lehrerwohnung und einem Klassenraum angeschlossen, das in der Kirchstraße lag. Es überstand den Überfall in der Pogromnacht, seine Einrichtung ging allerdings mit der der Synagoge verloren.15

Friedhof

Auf dem Friedhof in Alsbach haben sich 127 Grabsteine von Verstorbenen aus Lorsch aus der Zeit von 1705 bis 1938 erhalten.16

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildungen

Indizes

Personen

Simon · Lazarus · Hersch · Wolf · Aaron · Löser · Liechtenstein, Jakob · Liechtenstein, Meli · Löb Hirz · Mainzer I., Mayer · Mainzer, Moritz · Troster, Lawrence · Weil, Gustav · Müller · Hirz · Salomon · Berliner, Noa Chaim Zwi ben Abraham Möir · Mengenburg, Rabbiner · Mainzer, Baruch · Nathan, Löb

Orte

Kleinhausen · Einhausen · Frankfurt am Main · USA · Ruchheim · Ludwigshafen · Bensheim · Biblis · Bürstadt · Bobstadt · Heppenheim · Hambach · Hofheim · Nordheim · Alsbach · Mainz · Darmstadt

Sachbegriffe Geschichte

Pogromnacht · Erster Weltkrieg · Kindertransporte · Lorsch, Wohltätigkeitsverein · Heilige Wohltätigkeitsbruderschaft im Kurstaate Mainz und im Amt Starkenburg · Lorsch, Brautausstattungsverein

Sachbegriffe Ausstattung

Sefer · Thoraschreine · Ehrentafeln · Altaraufbauten · Almemore · Vorlesepulte · Wickelbänke · Vorbeterpulte · Gedenktafeln · Kronleuchter · Seitenleuchter · Altarleuchter · Wanduhren · Läufer · Fußmatten · Schränke · Öfen · Lesefinger · Thoravorhänge · Pokale

Sachbegriffe Architektur

Backsteinbauten · Säulen · Rundbogenfenster · Wandvorsätze · Rundbogenfriese · Türmchen · Kuppelabschlüsse · Firste · Steintafeln · Frauenemporen

Fußnoten
  1. Schnitzer/Degen, Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lorsch, S. 183
  2. Figaj, Lorscher Synagoge, S. 297
  3. Pläne abgedruckt bei Diehl, Geschichte der jüdischen Gemeinde Lorsch, S. 70
  4. HHStAW 518, 1451
  5. Figaj, Lorscher Synagoge, S. 307
  6. Mainzer, Gedenkblätter, S. 6
  7. Mainzer, Gedenkblätter, S. 3
  8. Diehl, Geschichte der jüdischen Gemeinde Lorsch, S. 73
  9. Mainzer, Gedenkblätter, S. 14
  10. Mainzer, Gedenkblätter, S. 18
  11. Mainzer, Gedenkblätter, S. 25
  12. Figaj, Lorscher Synagoge, S. 299
  13. HStAW 518, 1451
  14. Schnitzer/Degen, Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lorsch, S. 184
  15. HStAW 518, 1451
  16. Heinemann/Wiesner, Friedhof in Alsbach, S. 78
Empfohlene Zitierweise
„Lorsch (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/46> (Stand: 22.7.2022)