Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Altwiedermus Karten-Symbol

Gemeinde Ronneburg, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1789

Lage

63549 Ronneburg, Ortsteil Altwiedermus, Diebacher Straße 43 | → Lage anzeigen

religiöse Ausrichtung

liberal

erhalten

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Altwiedermus wurde zum ersten Mal im Jahr 1173 urkundlich erwähnt. Seit 1874 gehörte der Ort zu Hessen-Darmstadt und lag im Landkreis Büdingen. Im Zuge der Gebietsreform wurde er 1972 in die Gemeinde Ronneburg im Landkreis Hanau eingegliedert. Seit der Auflösung des Landkreises Hanau im Jahr 1974 gehört er zum Main-Kinzig-Kreis.

Über die Geschichte der jüdischen Gemeinde und ihrer Einrichtungen in Altwiedermus ist bislang nichts bekannt. Dies hängt auch damit zusammen, dass die unweit gelegene Burg Ronneburg seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert nicht mehr als Adelssitz genutzt wurde, sondern als Wohnung an verschiedene Personen und Familien vermietet war. Nach Erlass des Toleranzediktes des Grafen Ernst Casimir I. zu Ysenburg und Büdingen im Jahre 1712 befanden sich darunter auch Glaubensflüchtlinge. Deren Oberhaupt war der Wollwarenfabrikant Philipp Mörschel, der im Rittersaal eine kleine Wollwarenmanufaktur einrichtete. Zum Vertrieb seiner Waren ließ er Juden in der Burg wohnen. Ein ausführlicheres Porträt der damaligen Wohnverhältnisse schildert Walter Nieß in seinem Beitrag, aus dem hier nur die die jüdischen Bewohner betreffenden Aspekte herausgegriffen werden sollen.1 Einer der ersten Juden, der namentlich genannt wurde, war 1789 Salme.2 Die Anzahl der auf der Burg wohnenden Juden nahm im Laufe des 18. Jahrhunderts zu, so dass sie in der Kemenate eine eigene „Judenschule“ einrichteten. Hierbei wird es sich um einen Betraum gehandelt haben. Voraussetzung war allerdings, dass sich spätestens zu diesem Zeitpunkt eine eigenständige Gemeinde konstituiert hatte. 1820 war Sandel Strauß ihr Vorstand.3 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Einwohnerschaft in der Burg auf über 200 Personen, Nicht-Juden und Juden, angewachsen.4 Mit der Verwaltungsreform nach dem Übergang an Hessen erhielt sie auch formal den Status einer selbstständigen Gemeinde. 1829 wurde sie aber wieder aufgelöst und ihre Bewohner verwaltungsrechtlich der Gemeinde Altwiedermus zugeteilt. Nachdem Möschel mit seinen Glaubensanhängern 1832 nach Amerika ausgewandert war, verarmten die meisten auf der Burg lebenden Juden, da ihnen einer ihrer Haupterwerbszweige verlorengegangen war. Dennoch blieben viele von ihnen auf der Burg wohnen. 1844 waren beheimatet: Sander Ehrmann mit Frau, vier Kindern und zwei Enkelkindern, Salomon Stern mit Frau und sechs Kindern, Simon Goldschmidt mit Frau und vier Kindern, Mayer Hecht mit Frau und vier Kindern, Bunvert Grünebaum mit Frau und einem Kind, Aron Ehrmann, ledig, er wanderte wenig später nach Amerika aus, Hirsch Stiefel, ledig, Uka Sondheimer, der Witwer Nathan Goldstücker, die ledige Berta Goldstücker, Andreas Schädel, Witwer mit drei Söhnen und einer Tochter, Adam Schädel, Witwer mit zwei Töchtern und einem Sohn, Johannes Wagner, ledig, Wollkämmer, Jakobine Wagner, ledig, Caspar Wagners Witwe mit zwei Töchtern und einem Enkel Sohn, Lotte Wagner mit einem Kind, Jakobine Wagner I mit zwei Söhnen, Heinrich Reifschneider, ledig und Johann Röder, ebenfalls ledig.5 Insgesamt handelte es sich dabei um 63 Personen.

In den folgenden Jahren und aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse verließen nach und nach einige Bewohner die Burg. Dennoch lebten zu Beginn des Jahres 1865 noch 33 Juden und 18 Christen auf der Burg. Die politische Gemeinde Altwiedermus hatte angeboten, alle Bewohner der Burg gegen eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Gulden für die Vergabe des Heimatrechts aufzunehmen. Darauf ließ sich die Isenburgische Rentkammer in Wächtersbach allerdings nicht ein. Erst 1884 war die Burg weitgehend geräumt.

Die jüdischen Familien ließen sich vielfach in den nahegelegenen Ortschaften nieder, so auch in Altwiedermus. Wann sich dort allerdings eine Gemeinde konstituierte, ist ebenso wenig geklärt, wie deren Alltagsleben.

Bekannt ist, dass die Gemeinde 1933 noch 27 Mitglieder hatte.6 Sie lebten als Geschäftsleute, Häute- und Fellgroßhändler, Metzger, Gastwirte oder Lebensmittelhändler teilweise in besseren Verhältnissen, andere galten aber auch als arm.

Wenig später zogen die ersten Familien fort, andere folgten. 1936 zählten zur Gemeinde noch vier männliche Personen.7 Ein Jahr später schlossen sie sich der Gemeinde in Hüttengesäß an und hielten abwechselnd dort und in Altwiedermus Gottesdienst. Gleichwohl ließ sich die Auflösung nicht verhindern und wurde mit Verkauf der Synagoge vollzogen.

Betsaal / Synagoge

Die Synagoge in Altwiedermus wurde vor 1873 erbaut. Aus diesem Jahr liegt ein Nutzungsvertrag zwischen dem Vorsteher der Gemeinde Herz Goldschmidt und dem Besitzer des Nachbarhauses vor, der die Nutzung des Tores „an der Judenschul“8 regelte. Zu diesem Zeitpunkt muss die Synagoge folglich bereits bestanden haben.

Sie ist ein eingeschossiges Fachwerkgebäude mit einer Grundfläche von 5,15 mal 6 Metern und steht giebelständig zur Straße. Der Bruchsteinsockel ist mit bis zu einem Meter verhältnismäßig dick. Es wird vermutet, dass er älter als die Synagoge ist und schon vor deren Bau eine Mikwe barg.9

Die einzige bekannte historische Darstellung stammt aus dem Jahr 1933, als ein Nachbar ein neues Hoftor errichten lassen wollte und die Bauzeichnung auch den straßenseitigen Giebel der Synagoge wiedergibt. In diesem Giebel ist ein Bogenfenster eingezeichnet, das man in den 1990er Jahren auf dem Dachboden fand und danach entsorgte.10 Die Lage des Fensters wird heute durch aufgemaltes Fachwerk markiert.

Im Inneren barg das Gebäude, das von seiner Südseite zugänglich war, einen rund 30 Quadratmeter großen Betraum, an dessen Ostwand sich der Thoraschrein befand. Eine marmorne Gedenktafel nannte die beiden im Ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindemitglieder Moritz Adler und Hermann Goldschmidt.

Zum 4. August 1938 verkauften die verbliebenen Gemeindemitglieder die Synagoge an den Besitzer des Nachbargrundstückes, Johannes Heister. Wenig zuvor soll ein Lastkraftwagen des jüdischen Landesverbands Mainz die Kultgegenstände abgeholt und nach Hanau gebracht haben, wo sie in der Pogromnacht zerstört wurden. Dazu gehörten sechs Thorarollen, vier Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, zwei silberne Thoraschilder, zwei silberne Lesefinger, 30 gold- und silberbestickte Thoramäntel, 120 bestickte Wimpel, sechs goldbestickte Thoraschreinvorhänge mit Übervorhängen aus Plüsch, Samt und Seide, drei goldbestickte Decken für das Vorbeterpult, drei goldbestickte Decken für das Vorlesepult, eine Ewige Lampe aus Messing, zwei siebenarmige Leuchter ebenfalls aus Messing, ein silberner Channukahleuchter, ein silberner Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, zwei auf Pergament geschriebene Megilloth mit silberner Hülse, ein Schofarhorn, 20 Gebetmäntel, zehn paar Gebetsriemen, 30 Gebetbücher, 25 Sätze Festgebetbücher, 30 Bände Pentateuch und eine silberne Etrogbüchse. Der Gesamtwert wurde auf 71.625 DM beziffert.11 Über den Verbleib der Inneneinrichtung, wie Thoraschrein, Almemor, Bänke oder Beleuchtung ist nichts bekannt.

Bis zu seinem Umzug nach Frankfurt wohnte Leopold Adler vorübergehend in dem Gebäude, das in der Pogromnacht nicht zerstört wurde.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Die Mikwe wird unter dem betonierten Fußboden des Erdgeschosses des Synagogengebäudes vermutet. Möglicherweise diente das Gebäude bereits vor dem Bau der Synagoge um 1870 als Badehaus.

Schule

Über eine Schule in Altwiedermus ist nichts bekannt geworden.

Friedhof

In der Gemarkung Ronneburg, nordöstlich von Altwiedermus, liegt der alte, 1.392 Quadratmeter große Friedhof. Er wurde überwiegend im 18. und 19. Jahrhundert, vermutlich bis in die 1880er Jahre belegt und verfiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusehends. Um 1910 standen dort noch 22 Grabsteine. Der Friedhof wurde Ende 1929 aufgeräumt und von Gestrüpp befreit.12 Heute sind noch 15 Grabsteine aus der Zeit zwischen 1774 und 1884 erhalten. Sie wurden Juden von der Ronneburg sowie aus Mittel-Gründau gesetzt.

Die Verstorbenen aus Altwiedermus wurden nicht dort, sondern auf dem Friedhof in Eckartshausen bestattet.13

Altwiedermus, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Eckartshausen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Altwiedermus, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildung vorhanden

(in Bearbeitung)

Indizes

Personen

Ysenburg und Büdingen, Graf Casimir I. · Mörschel, Philipp · Salme · Strauß, Sandel · Ehrmann, Sander · Stern, Salomon · Goldschmidt, Simon · Hecht, Mayer · Grünebaum, Bunvert · Ehrmann, Aron · Stiefel, Hirsch · Sondheimer, Uka · Goldstücker, Nathan · Goldstücker, Berta · Schädel, Andreas · Schädel, Adam · Wagner, Johannes · Wagner, Jakobine · Wagner, Caspar, Witwe · Wagner, Lotte · Reifschneider, Heinrich · Röder, Johann · Goldschmidt, Herz · Adler, Moritz · Goldschmidt, Hermann · Heister, Johannes · Adler, Leopold

Orte

Ronneburg · Ronneburg, Burg · Amerika · Wächtersbach · Hüttengesäß · Hanau · Frankfurt am Main · Eckartshausen · Mittel-Gründau

Sachbegriffe Geschichte

Hessen-Darmstadt · Erster Weltkrieg · Pogromnacht

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Gedenktafeln · Thorarollen · Thoraaufsätze · Schellen · Thoraschilde · Lesefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Übervorhänge · Decken · Vorbeterpulte · Vorlesepulte · Ewige Lampen · Leuchter · Chanukkaleuchter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen · Gebetbücher · Festgebetbücher · Pentateuch · Etrogbüchsen · Almemore · Bänke

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Bruchsteinsockel · Bogenfenster

Fußnoten
  1. Nieß, 1989
  2. HStAD R 21 J, 1404
  3. HStAD E 9, 325/3
  4. Nieß, 1989, S. 10
  5. Nieß, 1989, S. 14 f.
  6. HHStAW, 503, 7361
  7. Lorenzen, 2002, S. 5
  8. Lorenzen, 2002, S. 2
  9. Lorenzen, 2002, S. 2
  10. Lorenzen, 2002, S. 1
  11. HHStAW 518, 1232
  12. Halberstadt, 1930, S. 24
  13. Vgl. Altwiedermus, Jüdischer Friedhof in LAGIS (s. Link unten)
Empfohlene Zitierweise
„Altwiedermus (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/189> (Stand: 11.7.2023)