Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg
Inhalt
- Die deutschnationalen Großeltern
- Großvater Willem als Kriegsgegner
- Der Beginn des Ersten Weltkriegs
- Erste Siegesmeldungen, Tod des Großvaters
- Skeptische Beurteilungen der Kriegslage
- Freistellung der Eisenbahner, Kriegsmusterungen
- Verknappung der Lebensmittel
- Versorgung der Stadtbevölkerung, Hamsterfahrten
- Überall spürbarer Mangel bei der Versorgung
- Kriegspropaganda und Verschleierung der Kriegslage
- Erinnerungen an das Kriegsende
↑ Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918
Abschnitt 10: Kriegspropaganda und Verschleierung der Kriegslage
◀ [48-49] Die tatsächliche Kriegslage wurde meist verschleiert
Die Bevölkerung war im allgemeinen ebenso geduldig wie die Soldaten an der Front. Was sie aber besonders deprimierte, war die Erkenntnis, daß alles Darben nichts nützen würde, und daß wir zu einer besonderen Kraftanstrengung, wie sie zu einem Sieg erforderlich gewesen wäre, gar nicht mehr fähig waren. Daß dann [S. 49] später die Dolchstoßlegende aufgebaut wurde, hatte nur den Sinn, Militaristen und Abenteurern den Vorwand dafür zu liefern, einen weiteren Krieg geistig vorzubereiten. Es ist unverständlich, daß das Wissen von der drückenden Materialüberlegenheit der Alliierten, die nach dem Kriegseintritt Amerikas besonders deutlich geworden war, von bestimmten Gruppen bewußt unterdrückt wurde.
Man kann sich heute kaum vorstellen, daß es damals noch kein Radio, geschweige denn ein Fernsehen gab, das die Nachrichten übermittelte. Diese Aufgabe hatten im ersten Weltkrieg die Zeitungen. Ich kann mich daran erinnern, daß die Dill- Zeitung Sondermeldungen als Depeschendienst an ihrer Anschlagtafel ausgehängt hatte, die zu Beginn des Krieges mit größtem Interesse und mit Freude aufgenommen wurden. Mit dem Stellungskrieg im Westen wurde die Bevölkerung aber gelassener, und wenn sogar Rückschläge hingenommen werden mußten, merkte man den Berichten an, daß sie nur zögernd die Veränderungen meldeten.
Im Herbst 1918 war die Westfront noch geordnet, obwohl die Deutschen ständig langsam die Front zurücknehmen mußten. Das bedeutete, daß sie absolut nicht mehr in der Lage waren, den Krieg für sich zu entscheiden. Dieser Verlauf im Kriegsgeschehen war unaufhaltsam. Daß der Rückzug unserer Soldaten nach der Kapitulation so geordnet erfolgte, war für mich besonders erfreulich und so nicht erwartet worden. ▶
Personen: | Binde, Erwin |
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Orte: | Sechshelden · USA · Vereinigten Staaten von Amerika |
Sachbegriffe: | Kriegspropaganda · Dolchstoßlegende · Militarismus · Zeitungen · Dill-Zeitung · Sondermeldungen · Depeschendienst · Stellungskrieg |
Empfohlene Zitierweise: | „Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918, Abschnitt 2: Kriegspropaganda und Verschleierung der Kriegslage“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/14-10> (aufgerufen am 16.05.2024) |