Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Lampertheim Karten-Symbol

Gemeinde Lampertheim, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1615

Lage

68623 Lampertheim, Wilhelmstraße 70 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt I

religiöse Ausrichtung

liberal

erhalten

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Einen ersten Hinweis auf Juden in Lampertheim gibt es im frühen 17. Jahrhundert, als 1615 zur Verbesserung des Waldes vorgeschlagen wurde, Juden aus dem Ort zu vertreiben, solange sie ihr Holz nicht selbst kauften.1 Auch wenn in dieser Akte von Juden im Plural gesprochen wurde, so beziehen sich weitere Hinweise auf einzelne Personen. Wahrscheinlich lebte zu Beginn des 18. Jahrhunderts nur eine jüdische Familie in der Stadt. 1710 waren es dann drei: Jacob Levi, Mayer Levi und Calma Levi.2

Jacob Levi war 1650 in Roxheim geboren und als Händler und Krämer tätig. Er lebte in dem Haus mit der späteren Anschrift Römerstraße 69. Mayer Levi war wahrscheinlich sein Sohn. Er war ebenfalls Händler und lebte in dem Haus mit der späteren Anschrift Römerstraße 74. Er wurde in Hemsbach bestattet. Auch Calma Levi war vermutlich ein Sohn des Jakob. Auch er war als Händler und Krämer tätig und lebte in der Römerstraße 96. Er wurde 1743 in Worms bestattet.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl der jüdischen Familien, die zunächst alle zu der Familie Levi gehörten.

Nachdem die jüdischen Familien 1808 bürgerliche Namen annehmen mussten, erschienen die Familien Süß, Marx, Neustädter, Keller und Hochstädter.3 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Familien und erreichte 1855 mit 159 Mitgliedern den höchsten Personenstand. Anschließend sank, vor allem durch Wegzug und Auswanderung, die Zahl wieder.

Aus dem Jahr 1822 liegt ein Gewerbeverzeichnis vor, das auch die jüdischen Gewerbetreibenden nennt: Liebmann Süß hatte einen Tuchhandel, handelte aber mitunter auch mit Vieh oder Frucht und war gleichzeitig Schlachter. Auch Judas Marx schlachtete, handelte mit Vieh und gelegentlich auch mit Frucht. Beide besaßen Äcker, die sie bebauten. Josef May war ebenfalls Viehhändler und gelegentlich Schlachter. Josef Neustädter schlachtete und betrieb Viehhandel im Kleinen ebenso wie Handel mit anderen Waren, ebenfalls im Kleinen. Auch Elias Keller war Schlachter, Makler und Kleinhändler. Feiberle Hochstädter war ebenfalls Schlachter, Makler und handelte mit verschiedenen Waren im Kleinen. Max Buchen war Viehhändler und Schlachter.4

Offensichtlich gehörte die Gemeinde zunächst zum Rabbinat Worms, später aber zum liberalen Rabbinat Darmstadt I.5

Am 10. November 1938 überfielen Rollkommandos nicht nur die Synagoge, sondern drangen auch in Privathäuser und Geschäfte ein und zerstörten die Einrichtungen. Viele Männer wurden verhaftet und mit Sammeltransporten über Worms nach Buchenwald verschleppt. Nicht alle kamen von dort zurück. Nur wenige Lampertheimer halfen anschließend den Zurückgebliebenen.

1941 lebten nur noch fünf Juden in Lampertheim. Sie wurden im August 1942 in das Haus Römerstraße 97 umgesiedelt, wenig später aber bereits deportiert.

Zu Lampertheim gehört heute auch Hofheim, in dem zwar schon Anfang des 18. Jahrhunderts Juden lebten, erst 1755 aber erstmals namentlich genannt werden: Es waren Mendel, Leister und Debelt. Sie bestatteten ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Alsbach, auf dem sich heute nur 15 Grabstellen Hofheimer Juden finden lassen. Die Synagoge besuchten sie im näher gelegenen Worms.6 1861 erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner mit 27 den höchsten Stand. Vor allem durch Auswanderung sank diese Zahl rasch wieder und vermutlich lebte schon zwischen den beiden Weltkriegen kein Jude mehr im Ort.7

Betsaal / Synagoge

Vor dem Bau der Synagoge fand Gottesdienst in dem Haus Römerstraße 74 statt, das seit 1709 in jüdischem Besitz stand.

1835 fasste die Gemeinde den Beschluss, eine Synagoge und eine Schule zu bauen. Über zehn Jahre später erwarb sie das Grundstück Römerstraße 97, konnte aber zunächst nur die Einrichtung einer Schule realisieren. Erst als die politische Gemeinde finanziell unterstützend eingriff, wurde zum Bau geschritten. Als Begründung führte sie an, dass die Mitglieder der jüdischen Gemeinde als Ortsbürger verpflichtet seien, zum Kirchen- und Schulbau beizutragen und es deswegen nur gerecht sei, wenn nun die Gemeinde hilft. „Ein weiterer Grund ist der, daß die israelitische Gemeinde kein Gemeindevermögen besitzt und die Gemeindemitglieder auch größtenteils unbemittelt sind. Warum sollte nicht die christliche Gemeinde den Israeliten, welche tagtäglich mit ihr zusammenleben und den Handel mit Frucht, Tabak usw. betreiben, bei diesem Bau ihres Tempels behilflich sein, da ohnehin das Ort dadurch eine Verschönerung erhält? Diese Gründe in Erwägung gezogen und die Liebe zu den Mitmenschen ins Auge gefaßt, so glauben wir, daß unsere Schenkung von 500 Gulden als Beleg und gerechtfertigt erscheinen wird und sehen der hohen Genehmigung entgegen.“8 Daraufhin konnte der Bau 1851 fertiggestellt werden. Die Gebrüder Sally und Ludwig Hochstätter stifteten zum Gedenken an ihre Eltern zwei Kronleuchter.9 Eine vollständige Sanierung fand 1926 anlässlich des 75-jährigen Bestehens statt. Zu diesem Anlass wurde auch eine Gedenktafel aus Marmor für die jüdischen Opfer des Ersten Weltkriegs angebracht, die sich heute auf dem Friedhof befindet.

Das Gebäude war ein schlichter, fast schon an eine Scheune erinnernder Backsteinbau von 14,5 Metern Länge und 9 Metern Breite. Mit einem Satteldach gedeckt stand er im hinteren Bereich des Grundstücks, fast schon an der heutigen Wilhelmstraße. Vor der östlichen Wand stand der Thoraschrein mit vorgelagertem Vorbeterpult, noch etwas weiter davor der Almemor. Die Empore wurde von marmorierten Säulen getragen.

Die Synagoge bot Platz für 92 Männer und 54 Frauen. Entsprechend verfügte die Garderobenvorrichtung über 150 Einheiten. Zudem barg sie einen Thoraschrein mit Altaraufbau, einen Almemor mit gepolsterter Wickelbank und vier Leuchtern, ein Vorbeter- und ein Predigerpult, eine Tafel mit den zehn Geboten, ebenfalls aus Marmor, einen Kronleuchter, 16 Seitenleuchter, eine Laubhütte, zwei Teppiche, 40 Meter guten Läufer, einen Schrank für Kultgeräte sowie ein Archiv mit zwei Schränken. Das Ganze konnte über eine Ofenheizung beheizt werden. Die Bibliothek verfügt über rund 500 Bücher. Zudem bestanden auf dem Grundstück ein Schulzimmer und eine Mikwe.10

Die Synagoge wurde am 10. November 1938 überfallen. Nachdem man zuerst die gesamte Einrichtung nach draußen getragen hatte, wurde alles wieder in das Innere transportiert, auf einen Haufen geschichtet und angezündet. Innerhalb kürzester Zeit brannte das Gebäude vollständig aus. Die Feuerwehr griff erst ein, als benachbarte landwirtschaftliche Gebäude gefährdet schienen.

Das Ehepaar Steffan erwarb das Grundstück mit Gebäuden zum 24. Juni 1942 für 1.500 Reichsmark. Nach Ende des Krieges erfolgte eine Nachzahlung in Höhe von 15.000 DM.11

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg richteten die amerikanischen Besatzungstruppen in Lampertheim ein DP-Lager mit bis zu 1.200 Bewohnern ein. Jüdische Organisationen halfen bei der Einrichtung einer Synagoge, einer Elementar- und einer Talmud-Thora-Schule, eines Kindergartens und einer koscheren Küche.12 Das Lager wurde 1949 wieder aufgelöst.

Nach dem Bau eines Parkhauses am Standort der ehemaligen Synagoge errichtete die Gemeinde an dessen Rückwand 1978 eine Gedenktafel mit der Inschrift „An dieser Stelle stand von 1851-1938 die Synagoge der ehemaligen Jüdischen Gemeinde Lampertheim. Sie wurde am 10. November 1938 zerstört. Zum Andenken an die Opfer von Lampertheim und Umgebung 1938-1945.“

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Bereits im 18. Jahrhundert soll es in Lampertheim Mikwot gegeben haben, deren Lage aber nicht mehr bekannt ist. Wahrscheinlich befand sich eine im Haus der Witwe Liebmann, die andere bei Joseph May. Das wären die heutigen Adressen Römerstraße 74 und Wilhelmstraße 77. Beide wurden aber 1826 aufgegeben und wohl verfüllt.

Einer Verfügung vom 10. November 1835 ist zu entnehmen, dass wahrscheinlich im Rhein gebadet wurde, denn es wurde „jedes Baden in nicht erwärmtem Wasser, noch mehr aber das baden bei kalter Witterung im Rhein“13 verboten.

Mit dem Bau der Synagoge wurde auch eine neue Mikwe realisiert.

Schule

Als erster Lehrer wurde Schmuhl Levi genannt, der zum 7. September 1767 sein Amt antrat. Er stammte aus der Lampertheimer Familie Levi, die zu dieser Zeit die meisten jüdischen Einwohner stellte, und war zugleich als Vorsänger und Schächter tätig. Wo in diesen frühen Jahren Unterricht gehalten wurde, ist nicht bekannt. Vor dem Bau der Synagoge wurde dafür mit großer Wahrscheinlich das Haus Römerstraße 74 genutzt.

Nachdem die Gemeinde 1847 das Grundstück Römerstraße 97 erworben hatte, richtete sie das darauf stehende Haus als Schule mit einem Klassenzimmer und einer Lehrerwohnung her. Es wurde um 1894/95 wegen Baufälligkeit abgebrochen und 1897 an seiner Stelle mit finanzieller Unterstützung der politischen Gemeinde ein neues gebaut. Hier fand nun der Religionsunterricht statt, bis er in einen Saal der Schillerschule verlegt wurde.

1938 war den Kindern der Besuch der Schule in Lampertheim verwehrt, so dass sie die jüdische Schule in Worms besuchten mussten.

Friedhof

Erste Bestrebungen, in Lampertheim einen Friedhof einzurichten, sind aus dem Jahr 1723 überliefert, als Jacob Levi etliche Stücke Land erwarb. Allerdings verbot die Regierung die Einrichtung. So mussten die Verstorbenen bis 1869 in Hemsbach bestattet werden.

1869 erhielt dann die jüdische Gemeinde ein Stück Land am nordöstlichen Bereich des christlichen Friedhofs. Dieses wurde mittels einer Mauer eingehegt und über ein Tor vom christlichen Teil aus zugänglich gemacht. Das Tor musste 1933 verschlossen werden. Heute markieren zwei mächtige Pfeiler seine Lage. In der Folge entstand das Portal zur Karl-Ullrich-Straße, das von einem Metallbogen mit Davidstern überspannt ist.

Vom alten Tor führt ein Weg nach Osten und teilt den Friedhof in zwei Bereiche. Auf dem südlichen Teil liegen überwiegend Kinder, auf dem nördlichen mehrheitlich Erwachsene. Das älteste Grab ist das der Tochter von Heinrich Hochstädter, die am 11. Januar 1869 im Alter von zwei Tagen noch ohne Namen verstarb. Die letzte Bestattung fand 1949 statt, als eine der in Lampertheim untergebrachten Displaced Persons verstarb. Zudem finden sich weitere Gräber von Bewohnern dieses DP-Lagers, überwiegend mit hebräischer Inschrift. Auf dem Erwachsenenfeld erfolgten die Beerdigungen in 15 Reihen zumeist in der Reihenfolge des Ablebens.

Der Friedhof wurde 1896 erstmals geschändet, als elf Grabsteine umgeworfen und teilweise zerstört wurden.

Im westlichen Bereich steht das im Mai 1946 errichtete Mahnmal des Verbandes der ehemaligen jüdischen Frontkämpfer und Partisanen für die sechs Millionen Juden, die von Deutschen ermordet wurden. Die hebräische Inschrift lautet übersetzt: „Tag und Nacht beweine ich die Märtyrer meines Volkes". Davor wurde später eine Gedenktafel des MGV Cäcilia Lampertheim aufgestellt.

In die Mauer eingelassen ist eine Gedenktafel für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges, die ursprünglich in der Synagoge angebracht war.

Lampertheim, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildung vorhanden

(in Bearbeitung)

Indizes

Personen

Jacob Levi · Mayer Levi · Calma Levi · Süß, Familie · Marx, Familie · Neustädter, Familie · Keller, Familie · Hochstädter, Familie · Süß, Liebmann · Marx, Judas · May, Joseph · Keller, Elias · Hochstädter, Feiberle · Buchen, Max · Mendel · Leister · Debeit · Hochstädter, Sally · Hochstädter, Ludwig · Steffan, Eheleute · Schmuhl Levi · Liebmann, Witwe · May, Joseph · Hochstädter, Heinrich · Hochstädter, Heinrich, Tochter

Orte

Roxheim · Hemsbach · Hofheim · Alsbach

Sachbegriffe Geschichte

Buchenwald, Konzentrationslager · Erster Weltkrieg · DP-Lager · Displaced Persons · Verband der ehemaligen jüdischen Frontkämpfer und Partisanen · Lampertheim, MGV Cäcilia

Sachbegriffe Ausstattung

Kronleuchter · Gedenktafeln · Vorbeterpulte · Thoraschreine · Almemore · Altaraufbauten · Garderoben · Wickelbänke · Leuchter · Vorbeterpulte · Predigerpulte · Seitenleuchter · Laubhütten · Teppiche · Läufer · Schränke · Öfen

Sachbegriffe Architektur

Backsteinbauten · Satteldächer · Emporen · Säulen · Öfen

Fußnoten
  1. Karb, 1998, S. 85
  2. Karb, 1998, S. 85
  3. Karb, 1998, S. 89
  4. Karb, 1998, S. 102
  5. Inachin, 1995, S. 362
  6. Heinemann, 2001, S. 70
  7. Karb, 1998, S. 47
  8. zitiert nach Karb, 1998, S. 95
  9. HHStAW 503, 7379
  10. HHStAW 518, 1450
  11. HHStAW 518, 1450
  12. Alike, 2008, Sp. 2405
  13. zitiert nach Karb, 1998, S. 103
Empfohlene Zitierweise
„Lampertheim (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/45> (Stand: 22.7.2022)