Synagogen in Hessen
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Holzheim
- Gemeinde Pohlheim, Landkreis Gießen — Von Susanne Gerschlauer
- Basisdaten ↑
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Juden belegt seit
1568
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Lage
35415 Pohlheim, Ortsteil Holzheim, Im Noll 3 | → Lage anzeigen
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Rabbinat
Oberhessen
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religiöse Ausrichtung
liberal
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erhalten
nein
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Jahr des Verlusts
ca. 1960
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Art des Verlusts
Abbruch
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Gedenktafel vorhanden
nein
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Weitere Informationen zum Standort
- Geschichte ↑
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Die Gerichtsbarkeit von Holzheim wechselte mehrfach, ausgehend von den ersten Ortsherren der Familie der Grafen von Falkenstein-Münzenberg im 12. Jahrhundert. In der Folge lag die Ortsherrschaft bei den Herren von Eppstein, den Fürsten von Solms-Braunfels sowie von 1623–1648 bei den Landgrafen von Hessen. Schließlich ging Holzheim 1806 an Hessen-Darmstadt über.
Im Jahr 1568 wird zum ersten Mal ein in Holzheim lebender Jude archivalisch greifbar.1 Vermutlich lebten seit dieser Zeit (immer wieder) Juden in Holzheim.2 In den Jahren 1830 lebten 27, 1861 40, 1895 35 und 1905 32 Juden am Ort. 1905 entspricht dies bei 1.168 Einwohnern einem Anteil von 2,74 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Gemeinsam mit den Juden aus Grüningen bildeten die Holzheimer Juden eine Synagogengemeinde, die seit 1836 bestand. Etwa seit der gleichen Zeit wurde ein Betraum oder eine Synagoge genutzt.3 In Grüningen wohnten 1830 acht, 1895 20 und 1905 19 Juden (etwa 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung).4 In Holzheim lebten 1933 noch 17, in Grüningen 1925 neun jüdische Personen.5 Ihren Lebensunterhalt verdienten die Holzheimer Juden überwiegend als Viehhändler und Hausierer.
Von den in Holzheim und Grüningen nach 1938 noch lebenden Juden konnten sechs nach Nordamerika auswandern. Von den restlichen insgesamt 276 wurden nachweislich 18 Juden in Konzentrationslagern ermordet; die übrigen verzogen aus den Gemeinden. Wahrscheinlich wurden sie spätestens 1942 ebenfalls von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet.7
- Betsaal / Synagoge ↑
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Zunächst gab es einen Betraum in einem privaten Wohnhaus der heutigen Hauptstraße 50, das dem Schwiegervater von Moritz Weinberg gehörte. Der in der einen Gebäudehälfte eingerichtete Betraum soll bis 1846 für Gottesdienste genutzt worden sein.8
Die jüngste Synagoge findet in einem Kaufbeleg vom 19.5.1854 Erwähnung, als die jüdische Gemeinde das vermutlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Stall einer Hofreite errichtete Fachwerkgebäude erwarb und zu einer Synagoge umbaute.9
Das kleine, eher unscheinbare Gebäude mit einer Grundfläche von ca. 4 x 5 Metern stand auf einem etwa 138 Quadratmeter großen Grundstück im Osten des alten Ortskerns, etwa 300 Meter östlich der Kirche.10 Giebelständig zur Schulstraße 5, heute „Im Noll 3“11, zeigte sich das Haus während der Zeit seiner Nutzung als ein eingeschossiges, verputztes Fachwerkgebäude mit einem ca. einen Meter hohen Sockel12 aus ebenfalls verputzten Bruchsteinen und einem mit Biberschwanzziegeln gedeckten Satteldach. Eine etwa 1,60 Meter hohe Mauer begrenzte das Gelände. Zwei Fenster im Erdgeschoss zur Straße hin boten an der Schmalseite Licht. Zum Hof hin lag der Eingangsbereich in der westlichen und zwei Fenster in Schulterhöhe auf der östlichen Hälfte der Wand.
Über Details des Äußeren sowie die Gestaltung des Innenraumes ist bisher nicht viel bekannt. Möglicherweise gab es innen nur einen einzelnen Raum. Aufgrund geringer Gebäudehöhe bzw. der baulichen Beschaffenheit könnte der Betraum mit einer Estrade (nicht mit einer Empore) für die 12 Frauenplätze ausgestattet gewesen sein, die dann hinter den Männerbänken für 33 Personen angeordnet gewesen wäre.13 Der Religionsunterricht fand vermutlich ebenfalls im Betraum statt.
Während der Pogromnacht im November 1938 wurde das Innere vollständig verwüstet. Während und nach den Verwüstungen und Zerstörungen der Pogromnacht konnten Reste der mobilen Ausstattung aus der Synagoge gerettet werden; sie lagern heute im Stadtarchiv Pohlheim.14
Nach dem Besitzerwechsel an eine Privatperson in den 1940er Jahren wurde das dabei offenbar stark beschädigte Gebäude um 1960 abgerissen.15 Eine Gedenk- oder Erinnerungstafel für die Holzheimer Juden oder an die ehemalige Synagoge ist nicht vorhanden.
- Weitere Einrichtungen ↑
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Friedhof
Die Holzheimer Juden begruben ihre Verstorbenen im etwa zwei Kilometer nordöstlich gelegenen Grüningen. Der Friedhof umfasst eine Fläche von etwa 730 Quadratmetern.16
- Nachweise ↑
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Weblinks
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Quellen
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 503, Nr. 7384: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt. Bd. 7: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen im Kreis und in der Stadt Gießen, (1932-1939, 1955) 1960-1962
- HHStAW Best. 518, Nr. 1438: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Holzheim, 1950-1962
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HStAD Best. A 14, in 122: Die gräflich-hanauische Kanzlei bekundet, daß sie die Streitigkeiten zwischen dem Juden Saul Goldschmied zu Hanau und dem Juden David zu Münzenberg, letzterer vertreten durch Mordechai (Mardochaeus), Jude zu Holzheim, und Rhyman zu Münzenberg, wegen seines Eidams Abraham und seiner Tochter Rehle Ehesteuer in angegebener Weise entschieden habe, 1568 August 5
- Gemeindearchiv Pohlheim:
- Best. Holzheim: Abt. XIII, betr. jüdisches Grundeigentum, 1933, und Unterlagen zum Wechsel des jüdischen Besitzes, nach 1935
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Literatur
- Altaras, Thea: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945? 2. Aufl. Königstein im Taunus 2007, S. 200 f.
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972, hier: Band 1, S. 387-388
- Jung, Karl-Heinrich: Die Holzheimer Juden. In: Hessische Heimat (Beilage zu „Gießener Allgemeine“), 1988, Nr. 12, S. 45–48
- Jung, Karl-Heinrich: Das 1200-jährige Pohlheim-Holzheim. Ein Beitrag zu seiner Geschichte. Pohlheim 1991
- Ruppin, Arthur: Die Juden im Großherzogtum Hessen. Berlin 1909
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Abbildungen
- Indizes ↑
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Personen
Falkenstein-Münzenberg, Grafen von · Eppstein, Herren von · Solms-Braunfels, Fürsten von · Hessen, Landgrafen von · Moritz Weinberg
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Orte
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Sachbegriffe Geschichte
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Sachbegriffe Architektur
Fachwerkbauten · Hofreiten · Sockel · Bruchstein · Biberschwänze · Satteldächer · Estraden · Emporen · Buch Esther · Gebetbücher · Gesangbücher · Schals · Gedenktafeln · Erinnerungstafeln
- Fußnoten ↑
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- HStAD A 14, in 122 ↑
- 1638 in Holzheim lebende Juden belegt, vgl. Ortsartikel Holzheim in LAGIS, Historisches Ortslexikon (siehe Link oben) ↑
- Ruppin, Juden, S. 73 ↑
- Ruppin, Juden, S. 73. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 388, gibt jeweils leicht differierende Daten zu denen Ruppins. ↑
- Vgl. Akte betr. jüdisches Grundeigentum, 1933, in Gemeindearchiv Pohlheim, Best. Holzheim, Abt. XIII ↑
- Hierzu liegen von Altaras und Arnsberg unterschiedliche Zahlen vor, die nicht verifiziert werden konnten. ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 388 ↑
- Ruppin, Juden, S. 73; Altaras, Synagogen 2007, S. 200 f; Jung, Holzheim ↑
- Nach Information der Stadtarchivarin von Pohlheim, Christel Hankel ↑
- Unterlagen zum Wechsel des jüdischen Besitzes nach 1935 in: Gemeindearchiv Pohlheim, Best. Holzheim ↑
- Akte betr. jüdisches Grundeigentum, 1933, in Gemeindearchiv Pohlheim, Best. Holzheim, Abt. XIII ↑
- Möglicherweise nur straßenseitig ↑
- Zur Anzahl der Plätze: Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 388 ↑
- Zu den wertvollen Gegenständen gehören Reste des Buches Esther einer handbeschriebenen Rolle aus dem Spätmittelalter, Gebet- und Gesangbücher aus dem 18. u. 19. Jh. und ein Schal aus den während der Beschneidung genutzten Windeln eines Jungen, in Streifen geschnitten, zusammengenäht und aufwändig bemalt (Ende 19. Jh.). Der Schal wird anlässlich der Einführung in die religiöse Lehre dem Jungen als Glücksbringer und Segenssymbol geschenkt und diente hier offenbar als Willkommensgruß für einen neuen Rabbiner. ↑
- Information: Stadtarchivarin von Pohlheim, Christel Hankel ↑
- Friedhof Pohlheim-Grüningen auf Alemannia Judaica (s. Weblink). Vgl. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 387 f. ↑
- Empfohlene Zitierweise ↑
- „Holzheim (Landkreis Gießen)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/145> (Stand: 22.7.2022)