Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ von Holly, Kämpfe des Infanterie-Regiments Nr. 116 aus Gießen an der Maas, 1914

Abschnitt 3: Heftige Kämpfe, Munitionsmangel, Verluste

[67-68]
Als ich zum Bataillonsstab zurückging, fand ich in den Gräben der Straße Verwundete, denen ich ab und zu noch helfen konnte. Als ich gerade beim Bataillonsstab angekommen war, kam die Meldung, daß der Maschinengewehrkompagnie die Munition ausging; ich sauste also wieder los, um der auch welche zu besorgen. Als ich zu den Munitionswagen der Maschinengewehrkompagnie kam, fand ich den Feldwebel in heller Verzweiflung vor, weil er keinen [S. 68] Menschen zum Vortragen der Munition bekommen könnte. Ich quetschte aus dem bereits abgesuchten Walde noch einige Leute heraus, denen ich den nötigen Dampf ausmachte, und die ich mit den Munitionskisten beladen mit mir nach vorne nahm. Es mag jetzt gegen 12 Uhr gewesen sein, von 6 Uhr an waren wir schon im Gefecht. Schwerverwundete Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die zum Verbandsplatz zurückgingen, sprachen mit Tränen in den Augen von dem Heldentod vieler braver Offiziere, plötzlich springt mein Major auf, knirscht zwischen den Zähnen die Namen der Gefallenen und ruft, er wolle nun auch nicht mehr länger leben, steht auf und geht mit verschränkten Armen aus der Chaussee spazieren. Ich war wütend und schrie ihm zu: „wollen Herr Major sich nicht sofort wieder hinsetzen, das ist doch ein Unsinn, wir brauchen unsere Offiziere doch nicht nutzlos aufzuopfern." Das sah er auch denn ein, gab mir die Hand und setzte sich wieder hin.

Da jetzt von der Maschinengewehrkompagnie die Meldung kam, daß sie für die noch vorhandenen Gewehre überreichlich Munition habe, da sich kein lohnendes Ziel biete, und gleichzeitig aus der Schützenlinie die Meldung eintraf, daß die Munition schon wieder verschossen sei, so machte sich der Bataillonsstab daran, mit zuletzt blutenden Fingern die Patronen aus den Gurten zu reißen, um wenigstens diese Patronen in die Feuerlinie zu bekommen. Jetzt läuft die Meldung vom linken Flügel ein, daß auch dort die Munition knapp ist, und daß die Franzosen mit Kolonnen und Maschinengewehren links umfassend angreifen. Jetzt will der Major meinen Rat hören, was wir machen sollen. Ich beurteile die Lage dahin, daß ein Angriff nach vorwärts mit den Trümmern des Regiments ausgeschlossen ist, daß man also liegenbleiben muß und sich an dieser Stelle totschlagen läßt; letzteres wird beschlossen. Gegen halb 3 Uhr nachmittags kommen einzelne Leute aus der vorderen Schützenlinie zurück und melden, daß der Feind jetzt angreife, daß die Reste in den Schützenlinien jetzt keine Patronen mehr haben und daß, was eben zurückkomme, im ganzen etwa 60 Mann, alles ist, was vorn noch bewegungsfähig wäre.

Der Major gibt nun notgedrungen den Befehl zum Rückzug durch den Wald, Richtung Mouzon. Hier gruben wir unsere Kriegstagebücher und Papiere ein, damit sie den Franzosen nicht in die Hände fallen sollten, wir beide gingen, wie es Vorschrift ist, auf der dem Feinde zugekehrten Seite unseres kleinen Trupps und erhielten noch, ehe wir den Wald erreichten, auf etwa 300 Meter schon feindliches Maschinengewehrfeuer aus der Flanke, das Gott sei Dank über unsere Köpfe hinwegging. Der Rückzug durch den fast undurchdringlichen Wald (Schlingpflanzen und Dornengestrüpp) war überaus unangenehm, da die feindliche Artillerie sofort ihr Feuer weiter vorverlegt hatte und alle Augenblicke die einschlagenden Granaten und das Krachen niederstürzender Bäume und Äste unsere kleine Schar bedrohte. Es war überaus schwierig, in diesem Walde die Richtung einigermaßen einzuhalten, wir kamen aber dank meinem Orientierungssinn genau an der Stelle heraus, wo wir es gewollt hatten. Kurz vor Mouzon brachten wir die zurückgehenden Truppen mit einiger Mühe wieder zum Halten, ordneten die Verbände neu, faßten neue Patronen, suchten eine neue Stellung, gruben uns ein, um einen eventuellen feindlichen Nachstoß abzuschlagen. Der Feind war aber nicht gefolgt, und rechts von uns hatten wir unter großen Verlusten für die Franzosen entschieden gesiegt und hierdurch dem VI. Armeekorps den gestern vergeblich versuchten Maasübergang heute ermöglicht.


Personen: Holly, von, Oberleuntnant
Orte: Mouzon · Maas
Sachbegriffe: Verwundete · Maschinengewehre · Maschinengewehrkompagnien · Munition · Munitionswagen · Munitionskisten · Feldwebel · Offiziere · Unteroffiziere · Verbandsplätze · Majore · Gefallene · Gewehre · Franzosen · Tagebücher · Granaten · Armeekorps
Empfohlene Zitierweise: „von Holly, Kämpfe des Infanterie-Regiments Nr. 116 aus Gießen an der Maas, 1914, Abschnitt 100: Heftige Kämpfe, Munitionsmangel, Verluste“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/126-3> (aufgerufen am 30.04.2024)