Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 10: Predigt I / 10 zu Psalm 73, 24.


Du leitest mich nach Deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. — (Leichen-Feier.) Psalm 73, 24.


Liebe Kameraden!

„Es ist ein Schnitter, der heißt Tod; der hat Gewalt vom lieben Gott." Er geht durch die Reihen unserer Brüder und mäht — und mäht! So viel Gewalt, wie in diesen unseren Tagen, hat der liebe Gott seinem Schnitter nie vorher gegeben. Was bedeutet angesichts der vielen, die dahinsinken, der einzelne? Ist er nicht wie eine kleine, vergehende Welle in der weiten Flut des Todes? Nicht wie ein zerrinnender Tropfen nur von dem großen Blutstrom, der aus dem Herzen unseres Volkes fließt?

Und doch ist jeder einzelne unserer fallenden Kameraden eine kleine Welt für sich, voll Glück und voll Leid, voll Hoffnungen und Erwartungen; jeder das Glied irgend einer Gemeinschaft, die durch seinen Tod berührt und beraubt wird. Das kann uns trotz der großen Zahl von Gräbern, an denen wir hier draußen stehen müssen, nie aus dem Sinn kommen. Wir gedenken daran auch an diesem Grab, darein wir einen unserer jungen Kameraden betten, den draußen im Schützengraben inmitten treuer Pflichterfüllung die feindliche Granate getroffen hat. Nun gibt es wieder ein Elternpaar im deutschen Vaterland mehr, das um ein teueres Haupt weint; wieder einen Geschwisterkreis mehr, der nicht mehr vollzählig ist. Nun ist wieder ein junges, hoffnungsvolles Leben mehr vorzeitig abgebrochen und aus diesem irdischen Kreis hinweg gerückt, hin vor den Thron des ewigen Gottes. [S. 39]

Im Glauben heben wir unsere Augen empor, zu Dir, Du treuer Gott, von dem wir bekennen: Du leitest uns nach Deinem Rat! Wie wir unser ganzes Volk in diesem schweren Krieg von Gott geleitet wissen, so auch jeden einzelnen Mann in unseren Millionen-Heeren. Hat der Heiland es uns verbürgt, daß kein Sperling vom Dach, kein Haar von unserem Haupt fallen soll ohne den Willen des Vaters im Himmel, so dürfen wir auch im mörderischen Rrieg das Vertrauen festhalten, daß keine von all den fliegenden Kugeln und platzenden Granaten ihr Ziel erreicht ohne Gottes Zulassung. Warum er die einen im stärksten Kugelregen behütet, während andere von irgend einem verwehten Geschoß getroffen werden, — wir wissen es nicht. Genug, daß wir das Eine festhalten dürfen: Er, der allwissende Gott, leitet uns alle nach seinem Rat; und dieser Rat und Wille ist immer heilig und gut, denn es ist des Vaters Wille. Diese Gewißheit bringt Ruhe und Festigkeit in unser Leben mit all seinen Gefahren und Mühen, mit all dem Sterben und vergehen ringsum. Als eine gewaltige Heimsuchung ist dieser Krieg über unser Volk gekommen; es geschah nach Gottes Rat. So viel einzelne werden dahingerafftes geschieht nach Gottes Rat. Ob uns, die wir jetzt dieses Grab umstehen, einst fröhliche Heimkehr beschieden ist, oder auch ein Soldatengrab in fremder Erde, — es wird geschehen nach Gottes Rat.

Der Psalmist führt den Gedanken, daß jedes Leben nach Gottes Rat verläuft, weiter empor zu der Höhe des Vertrauens: Du nimmst mich endlich mit Ehren an. Ist das nicht das Größte, Kameraden, das wir uns denken können: daß einst nach all dem Hellen und Dunkeln in unserem Leben, nach all dem Irren und Fehlen, nach all dem Wollen und Nicht-Können der ewige Richter uns nicht hinausweist, sondern mit Ehren annimmt und uns ein Plätzchen gönnt im Reich seiner ewigen Herrlichkeit? Worauf gründen wir diese Hoffnung? Nicht auf das Gute, Tüchtige, das sich in unserem [S. 40] Leben findet; ihm steht zu viel Ungutes und Unbrauchbares gegenüber. Nicht auf unsere Leistungen; sie reichen nicht aus. Auch die, die ihr Leben hier draußen fürs Vaterland opfern, dürfen darum noch nicht als Fordernde vor Gott treten; haben sie doch schließlich auch nicht mehr getan, als sie zu tun schuldig waren. Nein, was uns darauf hoffen läßt, einst mit Ehren von Gott angenommen zu werden, das können wir nicht besser zum Ausdruck bringen, als der alter Kinder-Vers es tut: Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott besteh'n, wenn ich zum Himmel werd eingeh'n.

Wir hoffen zu Gott, daß es so auch mit diesem Kameraden geworden ist, den wir hier zur Ruhe bringen. Unser Gebet sei, daß einst auch über unserem Sterben die Erfüllung dieses Psalm-Wortes stehen möge: „Du, Herr, hast mich nach Deinem Rat geleitet und endlich mit Ehren angenommen".

Amen.


Personen: Eisenberg, Christian
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche
Empfohlene Zitierweise: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 10: Predigt I / 10 zu Psalm 73, 24.“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/76-10> (aufgerufen am 14.05.2024)