Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915

Abschnitt 12: Abschnitt 12

Am Sonntag, den 23. August, war „Feldgottesdienst" in der Kaserne und in den Schulen. Etwa tausend versammelten sich in dem weiten Hof. Ich kletterte auf einen Holzhaufen, zog den Rosenkranz hervor und betete mit lauter Stimme zwei Gesetze vor. Nachdem das Tagesevangelium verlesen war, folgte eine Predigt in deutscher und französischer Sprache. Es herrschte Kirchhofsstille, die nur hie und da durch Schluchzen und lautes Weinen unterbrochen wurde. Sichtlich getröstet, mit neuem Mut erfüllt, zogen sich die Leute in die Zimmer zurück.

Am Samstag, den 29. August, waren fast alle Metzer einquartiert. Nun konnte ich wieder zum Brevier greifen und einige Besuche abstatten. Um 5 Uhr fand im Rathaus eine Versammlung statt, wo etwa 100 Herren erschienen waren. Der Herr Oberbürgermeister gab einen Überblick über die Organisationsarbeit der Metzer Abwanderer und machte folgenden Vorschlag: Jeder der anwesenden Herren nehme sich fünf Metzer Familien gleichsam als Pfleger an. Er besuche sie wöchentlich einmal, nehme die Klagen entgegen, sorge für die Erfülllung berechtigter Wünsche, sehe nach, ob die Kinder regelmäßig die Schulen besuchen... Alle Herren nahmen den Vorschlag an. Sie haben uns großen Gefallen erwiesen.

Am Schluß der Versammlung ergriff ich das Wort. Viele Klagen, begründete und unbegründete, von Seiten der Metzer und der Quartiergeber, waren mir zu Ohren gekommen. Französisch sprechen sehr viele. Es ist halt ihre Muttersprache. Vergehen, ja Verbrechen kamen vor, nun, nicht gerade die besten Elemente sind abgeschoben worden. Unzufrieden sind gar viele Metzer. Kein Wunder! Hab und Gut, Heimat und Verwandte verlassen zu müssen, um in einem fremden Land, bei fremden Leuten, mit anderen Sitten und Gebräuchen, mit anderer Lebensweise, anderer Sprache zu leben, ist hart, sehr hart. Die Metzer verdienen Mitleid. Uneingeschränkten Dank verdient der Herr Oberbürgermeister, der in selbstlosester Hingabe kein Mittel unversucht ließ, das bittere Los zu versüßen; danken müssen wir den vielen Damen und Herren, die rastlos täglich zwölf bis fünfzehn Stunden in der Stadtkaserne und in den Schulen ein dornenvolles Amt übernommen hatten. Eine schwere Ausgabe war zu lösen, und sie ist trotz vieler Schwierigkeiten befriedigend gelöst worden.


Empfohlene Zitierweise: „Franz Goldschmitt, Kriegserlebnisse evakuierter Metzer Bürger in Hessen, 1914-1915, Abschnitt 12: Abschnitt 12“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/99-12> (aufgerufen am 15.05.2024)