Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau

Abschnitt 6: Fernpatrouille des Leutnants Nolte

[61-62] Begleitet von den guten Wünschen der Eskadronskameraden ritten wir nach Südwesten. Wir hielten uns beiderseits der Chaussee und mußten bald merken, daß ein Vorwärtskommen außerhalb der Wege in Belgien außerordentlich schwierig war. Überall Koppeln, Stacheldrahtzäune und Hecken, die auch mit Draht durchflochten waren. Da auch die belgische Zivilbevölkerung sich am Kampfe beteiligte, schärfte ich meinen Ulanen ein, auf die Zivilisten sorgfältig zu achten und mir alles Verdächtige sofort zu melden. Heiß brannte die Sonne vom Augusthimmel. Nach einem Ritt von etwa 1 ½ Stunden ließ ich die Patrouille an einem Gasthaus gedeckt halten. Ich labte sie mit einigen Flaschen „limonade gazeuse". Trotzdem ich die Flaschen bestellt hatte, wandte sich die Wirtin zwecks Bezahlung an meinem Sergt. Hartmann; für mich ein untrügliches Zeichen, daß sie wohl den silberbetreßten schmucken Unteroffizier für den Leiter des Unternehmens hielt. Ich deutete ihr an, daß die Erfrischung zu den Kriegsrequisitionen gehört, worauf sie fluchend in ihrem Ausschank verschwand. Dabei war mir nicht entgangen, daß drei einfache [S. 62] Arbeiter, die daneben standen, schon wenige Minuten vorher sich auf die Räder geschwungen hatten, um nach verschiedenen Seiten zu entschwinden. Wäre mir das später passiert, hätte ich die jungen Leute zum Dortbleiben veranlaßt, ihnen jedenfalls ihre Räder abgenommen und unbrauchbar gemacht; denn es wurde mir nachher in vielen Fällen klar, daß der Spionagedienst in Belgien ausgezeichnet organisiert war und daß man jeden Radfahrer, mochte er nun wirklich Zivilist oder ein in Zivil gesteckter Soldat sein, für einen Spion halten mußte.

Wir ritten auf der großen Chaussee weiter. Nach Passieren eines größeren Waldstückes begegneten wir zwei Zivilradfahrern. Uns erkennen und in rasender Fahrt kehrtmachen, war eins. Ich durfte annehmen, daß die Bevölkerung vor unserem Herannahen gewarnt wurde. Nach Durchreiten von Chatillon und St. Leger, die ich nach vorsichtigem Vorfühlen unbesetzt fand, ritten wir auf Ethe weiter. Ehe wir an dieses Dorf herankamen, das wir zwecks Überschreitung des Virton-Baches durchreiten wollten, bogen wir nach rechts in den Wald ab, um ein dort sichtbares Mühlengehöft zu untersuchen. Der Abend brach herein. Zur Übernachtung bot der ausgedehnte Wald die beste Gelegenheit. Vorher ritten wir aber noch von Norden her an das Dorf Ethe heran, um uns über die Lage und unseren Weitermarsch für morgen zu orientieren. Vom Feind war nichts zu sehen. Im Wald nördlich von Ethe fanden wir dann eine für unsere Zwecke geeignete Lichtung, wo ich nach Ausstellung von Posten in der tiefen Dämmerung die Patrouille biwakieren ließ. Ich sandte zwei Reiter mit Meldung an das Regiment nach Arlon. — Die Stimmung war die denkbar beste. Die mitgenommene Ration schmeckte neben dem Kommisbrot und etwas Schokolade ausgezeichnet. Meine Reiter waren durch die Anstrengungen der letzten 24 Stunden so ermüdet, daß sie teilweise sofort, die Zügel ihrer braven Gäule am Arm, in Schlaf fielen, und bei mir bedurfte es aller Energie, um mich für die Ablösungen der Posten wachzuhalten.


Personen: Struckmann, Johannes
Sachbegriffe: Thüringisches Ulanen-Regiment Nr. 6 · Ulanen-Regiment Nr. 6
Empfohlene Zitierweise: „Johannes Struckmann, Mobilmachung und erste Kriegswochen des Thüringischen Ulanen-Regiments Nr. 6 aus Hanau, Abschnitt 6: Fernpatrouille des Leutnants Nolte“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/91-6> (aufgerufen am 30.04.2024)