Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpostbriefe des Marburger Theologiestudenten Gotthold von Rhoden, 1914-1915

Abschnitt 3: 8.7.1915: Brief Gottholds von Rohden aus Salency

[120-121]
Salency1, 8. Juli 1915.
... Ich kann Euch ja verstehen, wenn Ihr möglichst viel von uns hören wollt — aber ich kann den Wert des Geschriebenen an sich — ich meine, daß man überhaupt schreibt — nicht so hoch einschätzen, ich tue es, weil ich Euch damit eine Freude zu machen glaube. Mir kommt es so vor, als ob wir vor dem Feind Stehenden losgelöst sind von allem, was uns sonst gebunden hat, wir stehen ganz frei da, der Tod darf nicht mehr Verbindungen in zu schmerzendem Schnitt zerreißen. Unser ganzes Denken und Empfinden ist durchaus umgestellt, wenn ich nicht befürchten müßte, mißverstanden zu werden, könnte ich fast sagen, wir sind irgendwie den Menschen und Dingen unseres früheren Lebens „entfremdet".
Aus Deinem „neutral" gerichteten Denken heraus machst Du mir den Vorwurf der zu großen Opferbereitschaft. Ach, Ihr Lieben, Harald hat ganz recht, wenn er von dem Zweck unseres Lebens, nach dem Kriege wirken zu können, begeistert spricht, ich würde mich sehr wundern, wenn es anders wäre. Aber wir hier im Kriege — und ich habe anderen gegenüber doch fast nichts erlebt — fühlen uns Kräften und Wirkungen ausgesetzt, wo schlechterdings jegliche normale, vernünftige, logische — was man sonst eben so nennt — Geistestätigkeit aufhört. Da reicht der Geist nicht mehr zu Haralds richtigem Denken — „Tod, hier hast du mich"! und dabei vielleicht ein dunkles Empfinden: „Aber aufrecht, und nicht zu billig sollst Du mich haben." Bei dem einen bringt ein kräftig Teil von angeborenem Optimismus die Seele schneller wieder ins „Gleichgewicht", den anderen hemmt vielleicht wahrheitssuchendes und daher zum Schwärzersehen geneigtes Reflexionsbedürfnis. Aber das sind wenig in Betracht fallende Schwankungen.

Die Worte klingen schon banal, fast lästernd, denn sie wollen diese gewaltigen Wirkungen in den winzigen Bereich des menschlichen [S. 121] Verstehens pressen. Ich habe den Kampf und den Tod meines alten Regiments auf mich wirken lassen müssen — Worte hinzusetzen kann ich nicht. Schweigen und aufrechtstehen können wir. „Nach dem Kriege", der Begriff liegt uns so meilenweit fern ...


  1. Salency, südwestlich Saint-Quentin.

Personen: Rohden, Gotthold von
Orte: Salency · Saint-Quentin
Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe
Empfohlene Zitierweise: „Feldpostbriefe des Marburger Theologiestudenten Gotthold von Rhoden, 1914-1915, Abschnitt 3: 8.7.1915: Brief Gottholds von Rohden aus Salency“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/61-3> (aufgerufen am 04.05.2024)