Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Harry Heußner, Das Landsturm-Infanteriebataillon Hersfeld in Belgien, 1914-1918

Abschnitt 6: Bilanz der ersten Monate

◀ [II, S. 98] Da standen wir nun auf den Bahnhöfen und an den Schienensträngen, auf denen in kurzen Abständen die Züge vorbeirollten, Züge mit Verwundeten aus der Front und mit Ersatztruppen aus der Heimat, mit Vorräten und Kriegsmaterial aller Art. In Regen und Sturm, im Dunkel der Nacht versahen wir treu unseren Dienst. Ein früher Winter stellte sich ein, schon im November hatten wir mehrere Wochen Schnee und Frost. Und dann kam Weihnachten heran, das Fest, an dem die Heimatsehnsucht besonders lebendig wurde und unser Herz von Sorge um die Lieben daheim erfüllt wurde. Die Heimat dachte auch an uns: Bei den Kompaniefeiern, an denen alle dienstfreien Mannschaften teilnahmen, und auf den Wachen draußen wurden Liebesgaben verteilt, mit denen unsere Angehörigen und bisher ganz fremde Volksgenossen uns bedacht hatten. Manch frohes Zusammensein im kameradschaftlichen Kreise gab es.

Einige Monate waren wir nun schon in Belgien und hatten Gelegenheit gehabt, Land und Leute zu beobachten Je länger wir auf Flanderns Boden weilten, desto klarer wurde es uns: Hier ist gut deutscher Boden, hier lebt ein uns stammverwandtes Volk. Auf dem Marktplatz in Sottegem erfüllte uns der Anblick des Denkmals des Grafen Egmont, der als Führer des niederländischen Aufstandes gegen Spanien 1568 enthauptet wurde, immer wieder mit einem schmerzlichen Gefühl des Bedauerns darüber, daß die Vlamen in der geschichtlichen Entwicklung sich vom Reiche trennen mußten und ihr Wesen mit allerlei fremdländischem Unkraut überwuchert worden ist. Wir sahen manches Nachahmenswerte, aber auch viel Rückständiges, Törichtes und Häßliches. Ueberall trat in Erscheinung, daß sozial Reiche und Arme sich in viel härterem Kampfe gegenüberstehen, als bei uns. Auf der einen Seite üppige Schlösser mit prunkvollen Gemächern und prächtigen Parkanlagen, auf der anderen vielfach Elendsviertel in den Fabrikstädten. Auf dem Lande allerdings fast überall ein bescheidener Wohlstand, begünstigt durch die große Fruchtbarkeit. Beim Vergleichen mit der Heimat wuchs die Liebe zu ihr und die Wertschätzung deutscher Art und Sitte. ▶