Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918

Abschnitt 1: Bericht vom 25. Januar 1917 (1)

[950-954] Kassel, den 25. Januar 1917

Der Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1914 traf die Bevölkerung des Bezirks mitten in den Sommerferien unvorbereitet. Denn die Sorgen der auswärtigen Politik liegen der großen Menge im ganzen fern und bleiben ihr verborgen, so daß wohl nur die höheren, politisch geschulten Kreise an die Möglichkeit eines Krieges gegen drei Großmächte gedacht hatten. Als aber die Mobilmachung am 1. August befohlen wurde, da ging ein gewaltiges Brausen durch das Volk in allen seinen Schichten, und ein Wille beherrschte alle Kreise, den ungerechten Angriff abzuschlagen, die Feinde zu besiegen und kein Opfer zu scheuen. Vornehmlich zu dieser leidenschaftlichen Aufwallung der Vaterlandsliebe trug die Überzeugung bei, daß unsere Politik stets auf die Erhaltung des Friedens gerichtet gewesen und nicht auf Eroberungen ausgegangen war. Dies gibt dem Volk auch heute noch die Kraft, Übermenschliches zu leisten und alle Opfer auf sich zu nehmen.

Unmittelbar nach Ausbruch des Krieges meldeten sich unendlich viele alte Soldaten zum Heeresdienst, auch solche, die keiner Wehrpflicht mehr unterlagen, insbesondere auch Beamte der Staatsbehörden. Es wurde ihnen dies aufs Bereitwilligste gestattet, unbekümmert darum, daß hierdurch die Leistungsfähigkeit der Behörden, ihre Aufgaben zu erfüllen, stark beeinträchtigt wurde. In großartigem Umfang wurde die Liebestätigkeit und die freiwillige Krankenpflege ins Werk gesetzt und Sammlungen veranstaltet, die erhebliche Beiträge einbrachten. Frauen und Mädchen aus allen Ständen ließen sich als Krankenschwestern ausbilden oder arbeiteten mit Aufopferung in den Liebesgabenstellen und in sonstiger Vereinstätigkeit.

Freudige Begeisterung ging durch die Bevölkerung, als die ersten großen Siegesmeldungen aus Frankreich und später aus Ostpreußen und Polen einliefen.

Die Tätigkeit der Staatsverwaltung in dieser Zeit mußte den Verhältnissen entsprechend eingeschränkt werden, denn an Fortsetzung der Kulturaufgaben war zunächst nicht zu denken. Dennoch fehlte es den verbliebenen Beamten der Bezirksregierung, deren Bestand an höheren Beamten auf etwa ein Drittel, an mittleren Beamten auf annähernd zwei Drittel zurückgegangen war, nicht an Arbeit, und nur gar zu bald stellten sich neue Aufgaben ein.


Personen: Bernstorff, Percy Graf von
Orte: Kassel · Frankreich · Ostpreußen · Polen
Sachbegriffe: Kriegsbeginn · Mobilmachung · Kriegsfreiwillige · Beamte · Behörden · Frauen · Krankenschwestern · Krankenpflegedienst · Stimmungslage
Empfohlene Zitierweise: „Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918, Abschnitt 1: Bericht vom 25. Januar 1917 (1)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/26-1> (aufgerufen am 29.03.2024)