Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Ernst Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein, Erinnertes, 1914-1918

Abschnitt 5: Austausch mit dem Dichter Fritz von Unruh

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Der Dichter Fritz von Unruh1 war zu dem Korpskommando gekommen, nachdem er erst in seinem Ulanenregiment den Vormarsch mitgemacht hatte. Exz. von Schenck ließ ihn zu sich kommandieren, weil er den Eltern versprochen hatte, daß er für ihn sorgen wolle. Der Krieg hatte Unruh sehr stark mitgenommen, und er rang verzweifelt mit sich, um den großen inneren Wert dieses Abschlachtens zu erkennen. Damals entstand das Werk „Vor der Entscheidung”. Oft, sehr oft sprachen wir und diskutierten zusammen ganze Nächte hindurch, nachdem er ein neues Stück des Werkes gedichtet hatte. Wie es fertig war, las er es den Herren des K. K. Stabes vor. Es war interessant zu sehen, wie es auf die Einzelnen wirkte. Man muß nicht dabei vergessen, daß es alle Offiziere waren. Einige fanden die Dichtung an sich schön, Einige fanden alles zu phantastisch, aber die Meisten waren innerlich entrüstet2.

Immer arbeitete Unruh an neuen Gedanken und Ideen und wurde immer mehr menschenscheu, da er fühlte, daß ihn nur wenige verstanden. Dazu kam seine Art, die leicht hochfahrend war, und immer hatte er das Gefühl, man wolle ihn zurücksetzen, sodaß er zuletzt stets mit jemanden pikiert war. Um ihm mehr freie Zeit zum Arbeiten zu geben und ihn aus diesem, ihm so unsympathischen Kreis herauszuziehen, ließ ich ihn, nach einer Besprechung mit Schenck, zu meinen Buben als Begleiter kommandieren. Er gab sich redliche Mühe. Zu meinem 25. Regierungsjubiläum [1917] schrieb er eine reizende Allegorie, welche die Buben mit ihren Spielkameraden mir vorführten. Sie waren damals noch alle ganz klein, spielten aber mit großer Hingabe und Begeisterung. Damals schrieb er auch „Ein Geschlecht”3, welches er in der Schweiz fertig aufführte. Es ging mit dem Jungen sehr gut, bis er krank wurde und nach der Schweiz ging, wo er eine schwere Nervenentzündung bekam und nicht mehr zurückkehrte, da in der Zwischenzeit die Revolution ausbrach, an der er sich dann beteiligte. Seitdem habe ich ihn nur dreimal gesehen. Er hat sich ganz von mir gelöst4.


  1. Fritz von Unruh (1885–1970).
  2. Anm. 186 (E.G.Franz): Unruh las „Vor der Entscheidung“, nachdem er die Entwürfe laut Kriegstagebuch bereits im Spätherbst 1914 (Einträge vom 24. Oktober und 8. November) mit dem Großherzog gelesen und erörtert hatte, am 17. Februar 1915 vor rund 15 Offizieren; Ernst Ludwig notierte dazu: Ich glaube, alle waren ergriffen. Er selbst meinte: dieser Nachmittag ist einer der Grundsteine unserer großen deutschen Kunst, die aus den Blutfeldern des fürchterlichsten Krieges herauswachsen wird und muß (StAD D 24 Nr. 32/6-7).
  3. Die Tragödie "Ein Geschlecht" wurden 1917 veröffentlicht.
  4. Anm. 187 (E.G.Franz): Die umfassende Korrespondenz mit Fritz von Unruh aus den Jahren 1915-19 (88 Briefe Unruhs) gehört zu den wenigen, außerhalb der Familienkorrespondenz erhaltenen Briefwechseln im Nachlaß Ernst Ludwigs.

Personen: Ernst Ludwig, Hessen und bei Rhein, Großherzog · Hessen und bei Rhein, Georg Donatus, Prinz · Hessen und bei Rhein, Ludwig, Prinz · Unruh, Fritz von
Orte: Schweiz
Sachbegriffe: Ulanen · Korpskommando
Empfohlene Zitierweise: „Ernst Ludwig Großherzog von Hessen und bei Rhein, Erinnertes, 1914-1918, Abschnitt 5: Austausch mit dem Dichter Fritz von Unruh“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/18-5> (aufgerufen am 25.04.2024)