Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918

Abschnitt 28: 1916: Brief des Wilhelm Messerschmidt aus Werdorf

[266-267]

Erläuterung:
Zu Wilhelm Messerschmidt siehe die Erläuterung zum Brief vom 24.10.1914. Der Brief ist nicht datiert, könnte aber in das Jahr 1916 gehören.


Ohne Datum.

So mancher beherzte Mann, der frisch in den Krieg käme und Stunden erleben müßte, wie die, welche wir vom [S. 267] 31. August ab mitmachten, würde wohl bald mit seinen Nerven fertig sein. Aber die Steigerung des Kampfes, des Grausigen in den langen beiden Jahren, hat ein Geschlecht erzogen, das das Übermenschliche, kaum zu Fassende leistet, und nicht bloß stundenlang, nein tage- und wochenlang in solchem Grauen Widerstand leistet und den Gegner noch angeht. Man spricht so oft von der ehernen Mauer an unsern Fronten — kein Erz und kein Panzerstahl hielten hier Stand, wo Erz und Stahl in Riesengewichten mit Erdbebenkraft dagegen herangeschleudert werden und Tod und Verderben nach allen Seiten sprühen. Das Herz ist es, und der erprobte starke Wille. — Die halten besser aus als alles tote Erz. Will man einmal ein Bild gebrauchen — dann sage man in Zukunft: er hielt Stand wie ein Kämpfer von Cléry und von Bouchavesnes! Bis an mein Lebensende will ich stolz darauf sein, daß ich in dieser Hölle gewesen bin.

Und noch ein anderes: Gewiß ist es begreiflich, daß der Bericht über einen Fliegerkampf oder über die Schlacht am Skagerrak oder die Reise des U-Bootes «Deutschland» hellsten Jubel und tagelang das Interesse der Heimat erregt. Niemand wird daran nur im geringsten mäkeln. Das Unrecht besteht darin, daß das Interesse für so lange dauernde Schlachten wie die bei Verdun und vor allem an der Somme abnimmt oder doch nicht dauernd auf der gleichen Höhe bleibt. Das ist ein bitteres Unrecht gegen die Infanterie. Ein Fliegerkampf dauert Minuten, die Schlacht am Skagerrak, so furchtbar sie war, höchstens 48 Stunden. Aber an der Somme unter den schwersten Entbehrungen, ohne Deckung in dem wahnsinnigsten Feuer, das Menschen je ersonnen, nicht stunden-, nicht tage-, sondern wochenlang auszuharren in einem Feld voll verwesender Leichen — das ist ein Heldentum, dem ein ununterbrochenes Gedenken zuteil werden müßte.

Ahnen die Daheimgebliebenen auch nur in etwas die Größe unserer Opfer an Gesundheit, Blut und Leben?


Personen: Messerschmidt, Wilhelm
Orte: Werdorf · Cléry · Bouchavesnes · Skagerrak · Somme
Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe · Fliegerkämpfe · Schlacht am Skagerrak · U-Boote
Empfohlene Zitierweise: „Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918, Abschnitt 28: 1916: Brief des Wilhelm Messerschmidt aus Werdorf“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/173-28> (aufgerufen am 26.04.2024)