Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918

Abschnitt 16: 29.3.1915: Brief des Eugen Gura aus Kassel

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Erläuterung:
Siehe die Erläuterung zum Brief vom 13. Februar 1915


Feuerstellung, 29. März 1915.

Eben als ich den Brief schließen wollte, kam Deine Post, die mir die liebste ist. Dann ging ich Wasser holen nach einem nahen Gutshof. Im Osten die Silbersichel des Mondes im tiefdunklen Abendhimmel — majestätisch glitt gerade eine Riesenwolke vorbei, wie eine Dschunke mit phantastischer Fratze geziert — oder vielleicht ein unheimlicher Gnom, die goldenen Schätze des Himmels bewachend. Hie und da ein blinkender Stern, im nahen Busch das verträumte Gezwitscher eines Vogels — — schlichte Gräber, darinnen stille Helden schlafen — — flandrisch Land, fußbreit um fußbreit erstritten, blutig und doch so friedvoll im Abendschein!

Ich übersteige den Stacheldraht, hier unser treues Geschütz an der Hecke, und dort — es glänzt mild, heimlich durchs Fenster — unser Unterstand. Drinnen warm, wohlig, es wird behaglich gegessen, dann sitzen sie um den Tisch, spielen, Rauchwolken kräuseln sich, man dehnt und streckt die Glieder — alte Träume aus der Kinderzeit, von einsamen Hütten, verwegenen Gestalten am Feuer, Urwaldmenschen, schleichenden Mokassins kommen einem. Tatsächlich, hätte ich als Knabe gewußt, daß ich dies alles erleben würde, so wäre ich selig gewesen, und ich bin es jetzt nicht minder. — Wer hätte es sich nicht erträumt, im heroischen Zeitalter gelebt zu haben!


Personen: Gura, Eugen
Sachbegriffe: Unterstände · Geschütze · Feldpost · Feldpostbriefe
Empfohlene Zitierweise: „Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918, Abschnitt 16: 29.3.1915: Brief des Eugen Gura aus Kassel“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/173-16> (aufgerufen am 27.04.2024)