Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Robert Wolfgang Wallach, Aus dem Tagebuch eines Kriegsfreiwilligen 1914/15

Abschnitt 3: "Freiwillig" warum ?

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"Freiwillig" warum ?

Nicht der tolle jugendliche Abenteurermut,
Nicht um Wettzustreiten mit den Männern,
Denen jetzt um Weib und Haus und Kind es gilt,
Nicht der Ehrgeiz anderns gleich zu tun,
Hat mich Knaben in den Krieg gelockt.

Nein.
Ein schaurig ernst Erkennen war's,
Daß man den Krieg vergessen hat
Als man von Menschengeist und Menschenrecht mich hat belehrt

Wie man die Welt mir hat gemalt.
Da gabs kein Kriegen mehr,
Da war das Recht,
Das Einzle hat bisher gerichtet,
Es richte also jetzt die Völker auch,
Und Völker? Völkisch sein?
Man sagt mir stets:
Es sei das höchste Ziel
Von nun ab nur noch Mensch zu sein. —

Krieg? Kämpfen? Morden?
Wenn einer einen Mord beging,
So suchte man die Krankheit seines Geistes
Und da nun alle morden?
Sind sie denn alle Irren, diese Legionen Menschen?
Blut, heilig Menschenblut vergießen,
Wozu denn das? Warum?
Wie soll ich das verstehn, begreifen? —

Da ziehn sie nun an mir vorbei im grauen Rock
Und singen, jubeln, lachen,
Das Mordgewehr zur Menschenjagd geschultert:
So geh'n sie in den Kampf,
Die gestern Lehrer, Beispiel, Freund mir waren.
Sind sie denn andre über Nacht geworden?

Nein, niemals, nein.
Nur ich bin ihrem neuen Wesen fremd,
Nur mir ist's fremd.
Daß Krieg auch Recht sein kann,
Wo Worte an der Völker Lebenswillen spröd zersplittern
Und daß das Recht des Lebenwollens
Den Einsatz auch des Lebens selber fordert.

Doch wo erlern' ich nur
Dieser Gedanken wahren Sinn?

Nur draußen. —
Wo mit stahlumschienter Faust und rotem Menschenblut
Ein neues Völkerrecht gefordert und geschrieben wird,
Wo über blut'ge Menschenleiber hin,
Des Einzeln' Recht vergessend,
Das Recht des Staates ausgefochten wird. —
Nur dort werd ich erlernen,
Daß auch Krieg sein muß,
Daß wir nur Erdenmenschen sind,
Mit Erdenmenschenlieb — und Leidenschaft:
Und daß die Völker niemals ruhen werden,
Eh' nicht vom Weltall her ein fremder Stern
Die Rechte unsrer alten Erd' bedrohend,
Die Menschen allesamt
Gen den gemeinen Feind verein'gen wird. —

Nur darum,
Weil es heut noch Menschenlos und Menschenrecht,
Mit roher Faust im Staatenstreit sein Recht zu fordern,
Nur darum,
Weil ich nur drauß im Krieg erlernen kann,
Daß Willensleidenschaft auch Menschenblut vergießen lehrt,
Nur darum,
Weil den Krieg und seine Kämpfer
Ich erst verstehen kann,
Wenn ich ihn selber erst erlebt,

Darum nur bin ich „Freiwill'ger" geworden.


Gießen, Lazarett (vorm Ausrücken), September 1914.


Empfohlene Zitierweise: „Robert Wolfgang Wallach, Aus dem Tagebuch eines Kriegsfreiwilligen 1914/15, Abschnitt 3: "Freiwillig" warum ?“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/134-3> (aufgerufen am 30.04.2024)