Synagogen in Hessen
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- Großherzogtum Hessen 1823-1850 (Übersichtskarte mit handschriftlichen Ergänzungen) – 15. Friedberg
Altenstadt
- Gemeinde Altenstadt, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
- Basisdaten ↑
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Juden belegt seit
17. Jahrhundert
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Lage
63674 Altenstadt, Quergasse 9 | → Lage anzeigen
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Rabbinat
Oberhessen
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religiöse Ausrichtung
liberal
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erhalten
nein
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Jahr des Verlusts
ca. 1985
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Art des Verlusts
Abbruch
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Gedenktafel vorhanden
ja
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Weitere Informationen zum Standort
- Geschichte ↑
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Altenstadt war in Besitz und unter der Verwaltung der Burg Friedberg; seit 1806 gehörte es zum Großherzogtum Hessen.
Bereits im 17. Jahrhundert lebten einige Juden in Altenstadt.1 Im Jahr 1830 lebten hier 41 Juden, 1895 waren es 87 und 1905 67 Juden, dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 5,85 Prozent.2
Zusammen mit den Juden aus Engelthal (1810: fünf Schutzjuden, 1830: 26) bildeten die Altenstädter Juden möglicherweise schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Synagogengemeinde.3 Nach dem ersten nachweisbaren Vorsitzenden, Gerson Prager, war 1849 und 1858/59 Joseph Schmidt Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. Zu den letzten Vorsitzenden zählt 1928 und 1934–1937 Jakob Goldschmidt.4 Im Besitz der Synagogengemeinde befanden sich mindestens zwei Thorarollen, z.T. mehrfach repariert, durch silberbekrönte, reich verzierte Samtmäntel geschützt.5
Die Berufsstruktur der Juden in Altenstadt war bestimmt durch Vieh-, Kolonialwaren-, Mehl- und Futtermittelhändler. Es gab eine jüdisch geführte Gaststätte, je einen Sattler, Uhrmacher und Tierarzt.6
Von 1933 bis 1938 wanderten 14 Juden in die USA und in die Niederlande aus; danach wird nur noch ein in Altenstadt lebender erwachsener Jude genannt.7 Belegt ist die Ermordung von 15 Altenstädter Juden während des Nationalsozialismus.8
Am 18. Februar 1938 wurde die Synagogengemeinde Altenstadt durch ein Bestätigungsschreiben des Landratsamtes Büdingen aufgelöst. Formal trat als Eigner der Liegenschaften und Mobilien der Landesverband Israelitischer Religionsgemeinden Hessen in Mainz ihre Nachfolge an9, bis auch dieser durch das nationalsozialistische Regime enteignet wurde.
- Betsaal / Synagoge ↑
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Um 1700 besuchten die Altenstädter Juden den Gottesdienst in der Synagoge des benachbarten Lindheim.10 Vermutlich erst seit Ende des 18. Jahrhunderts – der genaue Zeitpunkt der Erbauung oder der Umwidmung ist nicht bekannt – wurde die Synagoge in der Quergasse 9 in Altenstadt genutzt. Sie lag etwas versteckt, über einen vorgelagerten Hof erreichbar, von der Straßenflucht zurückgesetzt.11
Möglicherweise war die auf einem hohen Sandsteinsockel mit Gewölbekellern errichtete Synagoge ein verputztes Fachwerkgebäude oder ein Massivhaus, dessen obere Geschosse aus Backstein gemauert und verputzt waren. Sie besaß ein steiles, mit Biberschwanzziegeln gedecktes Satteldach. Das Haus hatte eine Grundfläche von etwa 60 Quadratmetern und war eng von den Nachbarhäusern umbaut. Auf der Nordseite befanden sich zwei Fenster.12
Im Nord-Osten lag der Haupteingang, der über eine mehrstufige, wohl steinerne einläufig Treppe erreicht wurde.13 Durch eine unprofilierte, zweiflügelige Tür mit Oberlicht aus farbigem Glas, wurde der Innenraum erschlossen. Vor dem Thoraschrein befand sich das Vorbeterpult und der Almemor mit zwei silbernen Leuchtern sowie das von der Decke herabhängende „ewige Licht“. Die 30 Sitzplätze für die Männer waren nach Osten ausgerichtet, die Frauenplätze befanden sich im westlichen Raumbereich hinter den Männerbänken. Wahrscheinlich gab es eine Frauenempore auf der westlichen Raumseite, die möglicherweise durch eine Treppe im Nachbarhaus erreichbar war.14
Über die Ausschmückung des Innenraumes ist nichts bekannt. Archivisch belegbar sind Reparaturen der Synagoge bzw. des Inventars. Umfangreichere Maßnahmen am Gebäude wie etwa die Reparaturen von Fenstern, Treppen und Mauern wurden 1846 und 1861 vorgenommen; 1875/76 erhielt die Synagoge neue Sitzbänke. Damals wurde auf der Brandversicherungsurkunde ein Wert von 500 Gulden (= 860 Mark) angegeben.15 Seit spätestens 1885 gab es eine Uhr, seit 1913 elektrischen Strom.16
In der Pogromnacht des Jahres 1938 wurde das Synagogengebäude verwüstet und das Inventar in der Nähe des Friedhofs zusammengetragen und dort verbrannt. Etwa ein Jahr später wurde das Gebäude für 100 Reichsmark an einen privaten Käufer abgegeben. Über viele Jahrzehnte stand das stark baufällig gewordene Haus als Ruine, bis es der Eigentümer Mitte der 1980er Jahre vollständig abreißen ließ und stattdessen einen Garten anlegte.17
- Weitere Einrichtungen ↑
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Mikwe
Die 1838 erbaute Mikwe befand sich im Keller eines Hauses in der Gartenstraße.18 Das eigens als Mikwe für die jüdische Gemeinde Altenstadt errichtete Gebäude war baulich vergleichbar mit der Mikwe in Griedel östlich von Butzbach.19
Mit einer Größe von ca. 1,10 x 3,0 Metern und einer Tauchtiefe von ca. 1,20 Metern konnte das von Eichenbohlen umgebene Becken etwa drei Kubikmeter Wasser fassen. Vier hölzerne Stufen führten ins Wasser hinunter. Das beheizbare Tauchbad wurde durch Grundwasser, das über einen Brunnen gesammelt wurde, gespeist.20
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Schule
Bis 1862 wurde in angemieteten Räumen Religionsunterricht abgehalten. In diesem Jahr kaufte die jüdische Gemeinde für 500 Gulden die Hofreite von Ludwig Wolff und ließ die Kinder nach Abriss der Scheune und umfangreichen Reparaturen in dieser Schule unterrichten. Bereits 1881 wurde das Haus wieder verkauft und in angemieteten Räumen unterrichtet. Sieben Jahre später erwarb die Gemeinde die Schmidt’sche Hofreite und erhielt dadurch wieder Unterrichts- und Gemeinderäume. Seit 1877 wurden die gekauften Anwesen auch als Gemeindehaus bezeichnet.21
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Friedhof
1837 wurde durch die israelitische Gemeinde ein Grundstück zur Anlage des Friedhofes gekauft.22
Zuvor beerdigten die Altenstädter Juden auf dem jüdischen Friedhof von Hainchen, gemeinsam mit den Juden aus Düdelsheim, Lindheim und Hainchen.23 Der Friedhof umfasst ein Areal von ca. 1.164 Quadratmetern und liegt an der Straße nach Engelthal. Der älteste Grabstein stammt von 1845, der jüngste von 1936.24
→ Hainchen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
→ Altenstadt, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen - Nachweise ↑
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Weblinks
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Quellen
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 503, Nr. 7380: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt. Bd. 3: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen im Kreis Büdingen sowie im Kreis und der Stadt Darmstadt, (1930-1933) 1960-1962
- HHStAW Best. 518, Nr. 1414: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Altenstadt, 1950-1962
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HStAD Best. G 15 Büdingen, Nr. L 114: Altenstadt, 1821-1926
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 3296: Abschluss einer Vereinbarung der Judenschaft zu Lindheim mit den Juden zu Altenstadt, Hainchen und Düdelsheim über den Schulgang (den Besuch der Synagoge) zu Lindheim und das Begräbnis auf dem Friedhof zu Hainchen, 1700
- HStAD Best. R 21 J, Nr. 3587: Prozess gegen den Juden Jakob zu Höchst [an der Nidder] und die Jüdin Peral aus Altenstadt vor dem Gericht der Ganerbschaft Lindheim auf Klage des Juden David zu Lindheim wegen einer Schlägerei und eines Pferdediebstahls, 1684-1685
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Literatur
- Altaras, Thea: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945? 2. Auflage. Königstein im Taunus 2007, S. 371
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972; hier Band 1, S. 36-37
- Arnsberg, Paul: Zur Geschichte der Juden in Altenstadt. In: 1200 Jahre Altenstadt 767–1967. Altenstadt 1967, S. 221 ff.
- Johann, Elisabeth: Unsere jüdischen Nachbarn. Ein fast vergessener Teil der Ortsgeschichte von Altenstadt (Hessen), Höchst a.d. Nidder und Lindheim, 14. bis 20. Jahrhundert. Altenstadt 1991
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Abbildungen
- Indizes ↑
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Personen
Prager, Gerson · Schmidt, Joseph · Goldschmidt, Jakob · Wolff, Ludwig
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Orte
Friedberg, Reichsburg · Engelthal · USA · Niederlande · Mainz · Lindheim · Griedel · Butzbach · Düdelsheim · Hainchen
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Sachbegriffe Geschichte
Pogromnacht · Schutzjuden · Mainz, Landesverband Israelitischer Religionsgemeinden Hessen
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Sachbegriffe Ausstattung
Thorarollen · Thoramäntel · Thoraschreine · Vorbeterpulte · Almemore
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Sachbegriffe Architektur
Sandsteinsockel · Fachwerk · Biberschwänze · Backstein · Satteldächer · Frauenemporen
- Fußnoten ↑
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- HStAD, R 21 J, 3587 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 36; vgl. Ruppin, Juden, S. 74 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 36 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 32 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 38 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 37 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 39 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 39 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 38 ↑
- HStAD, R 21 J, 3296 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 37, vermutet auf Grundlage des Aktenstudiums Ende des 18. Jahrhunderts als Beginn der Nutzung; dies im Gegensatz zu Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, der sich auf 1820 festlegt. Bisher ist diese Datierung nicht durch aussagekräftige Dokumente zu belegen. ↑
- Johann, Nachbarn, S. 36 f. ↑
- Johann, Nachbarn, 37 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 36f.; Altaras, Synagogen 2007, S. 371; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 36 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 38 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 38 ↑
- Johann, Nachbarn, S. 40 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 36 ↑
- Altaras, Synagogen 2007, S. 371 ↑
- Altaras, Synagogen 2007, S. 371 ↑
- Vgl. Altaras, Synagogen 2007, S. 41 ↑
- HStAD, G 15 Büdingen, L 114 ↑
- HStAD, R 21 J, 3296 ↑
- Vgl. Altenstadt, Jüdischer Friedhof in LAGIS (s. Link unten) ↑
- Empfohlene Zitierweise ↑
- „Altenstadt (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/25> (Stand: 11.7.2023)