Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Bürgel Karten-Symbol

Gemeinde Offenbach am Main, Stadt Offenbach am Main — Von Wolfgang Fritzsche
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1575

Lage

63075 Offenbach am Main, Ortsteil Bürgel, Bürgerstraße 15 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Offenbach

religiöse Ausrichtung

liberal

erhalten

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Urkundlich wurde Bürgel zum ersten Mal im Jahr 790 erwähnt. Seit 1497 übte Kurmainz die Herrschaft im Ort aus, das ihn 1802 dem Fürsten zu Isenburg übergab. Mit Auflösung dieses Fürstentums kam Bürgel 1816 an Hessen-Darmstadt; am 1. April 1908 erfolgte die Eingliederung der Gemeinde Bürgel in die Stadt Offenbach am Main.

Die ältesten Hinweise auf Juden in Bürgel stammen von 1575, als Moses, Sohn des Isai Joseph geboren wurde. Er wurde später Rabbiner, zunächst in Bonn und ab 1624 in Friedberg, wo er sich Moses Bürgel nannte. Es ist davon auszugehen, dass zu dieser Zeit bereits eine Gemeinde im Ort bestand, die 1603 um eine Reduzierung der ihr auferlegten Steuerlast bat. Zu ihr gehörten auch die in Oberrodenbach und Groß-Krotzenburg wohnenden Juden.1

1622 wohnten in Bürgel nur noch zwei jüdische Familien, die des Heyum und die des Koppel. Gleichwohl fand 1629 eine Vorstandswahl statt, in deren Verlauf Jud Loeb zum Vorsteher gewählt wurde.2 Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg ließen sich wieder vermehrt Juden nieder, so dass die Zahl der Familien in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei zehn lag. Zu dieser Zeit gehörte die jüdische Gemeinde, zu der auch die in Offenbach wohnenden Juden zählten, zum Oberrabbinat Friedberg.3

Konkretere Nachrichten liegen erst ab Beginn des 19. Jahrhunderts vor, als die Gemeinde auch die Mühlheimer und Dietesheimer Juden umfasste. So waren 1803 etwa 20 jüdische Familien in Bürgel ansässig. 1828 betrug die Zahl 233 Personen bei 871 Einwohnern, was knapp 27 Prozent entspricht. Von ihnen galten zwei Drittel als arm.4 Ihren wohl höchsten absoluten Stand erreichte die jüdische Einwohnerschaft 1861 mit 304 jüdischen Personen, was immer noch fast 21 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Diese Zahl ging vor allem durch Wegzug in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und lag 1908 noch bei 105 Personen. Prozentual entspricht dies nur noch etwa 2 Prozent der Ortsbewohner, da die Zahl der christlichen Einwohner gestiegen war. 1924 zählte die Gemeinde 23 Familien mit 84 Mitgliedern.5

1887 schieden die Mühlheimer und Dietesheimer Juden aus der Gemeinde aus und bildeten eine eigene Gemeinde.

Fünf jüdische Männer aus Bürgel fielen im ersten Weltkrieg. Ihnen zur Erinnerung wurde am 13. November 1920 eine Gedenktafel in der Synagoge angebracht.

Um 1933 lebten noch 15 jüdische Familien mit insgesamt 60 Personen in Bürgel. Die meisten erwirtschafteten ihr Einkommen als Kaufleute und Händler, Viehhändler und Metzger. Zudem gab es einen Setzkastenfabrikanten.6

Mindestens 22 Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden im Holocaust ermordet.7

Zuletzt wurden im September 2016 in Bürgel Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Bürgel einen Betraum, der sich in einer Stube des Falltorturmes an der östlichen Seite des Bürgerplatzes befand. Bis zur Gründung einer eigenen Gemeinde in Offenbach im Jahr 1708 wurde er auch von den in Offenbach lebenden Juden besucht. 1767 stifteten das Ehepaar Leiser und Breinle Wimpfe der Gemeinde einen kupfernen Chanukkaleuchter, der später auch in die neue Synagoge überführt wurde, wo er zu einem unbekannten Zeitpunkt zerbrach. 1913 stiftete Dr. Siegfried Guggenheim aus Offenbach einen neuen Leuchter und erhielt die Einzelteile des alten, die er später dem Jüdischen Museum in New York übergab. Dort wurde die Menora restauriert. 1951 erwarb sie Ben Gurion anlässlich eines Besuches in den USA und schenkte sie Präsident Truman als Dank für die Unterstützung bei der Gründung des Staates Israel. Seitdem trägt sie den Namen „Truman Menorah“ und befindet sich heute in der Harry S. Truman Library in Independence, Missouri, USA.8

Schon um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert wollte die politische Gemeinde den Torturm samt dem angrenzenden Rathaus abbrechen. Während das Rathaus tatsächlich 1810 abgerissen wurde, blieb der Turm mit Rücksicht auf seine Nutzung als Gebetraum vorläufig stehen. 1814 erwarb die jüdische Gemeinde zwei alte Häuser in der damaligen Niedergasse, um dort eine Synagoge samt Schule und Mikwe zu erbauen. Das Geld dafür lieh sie sich bei dem israelitischen Krankenverein. Zudem wurden Sammlungen durchgeführt, die sich jedoch so weit hinzogen, dass die Gemeinde die beiden Häuser zwischenzeitlich wieder verkaufen musste. 1822 übernahm sie schließlich ein Grundstück in der Bürgerstraße 15 und ließ darauf die neue Synagoge bauen, die einen Schulraum und eine Mikwe umfasste. Zwei Jahre später, am 25. Juli 1824 fand die feierliche Einweihung statt.

Die Synagoge war ein „schlichter, durchaus massiver Bau. Äußerlich in den einfachsten Formen gehalten, stellt er sich aber immerhin als ein ansehnliches öffentliches Gebäude dar. Bei seiner Errichtung ist man offenbar nur von dem Gedanken ausgegangen, einen genügend großen Raum zur Aufnahme der Gemeindemitglieder zu schaffen, abgesehen davon, daß man auch mit geringen Geldmitteln rechnen musste. Dem Äußeren des Baues entsprach seine innere Ausstattung. Besonderen Wert hatte man auf die Ausschmückung der Thora gelegt. 24 hiesige israelitische Mädchen [...] hatten hierzu folgende silberne Gegenstände im Wert von 300 Gulden gestiftet: 1. eine silberne Krone mit drei größeren Glöckchen, 2. zwei desgleichen Aufsätze mit je acht kleineren Glöckchen, 3. ein dergleichen Brustschild mit einer dreifachen Kette, vier Glöckchen und fünf die verschiedenen Feiertage bezeichneten Herzschildern; außerdem: zwei silberne Deuter, ein kleiner silberner Becher, eine zinnerne Kanne. Die heilige Lade, Altartisch, Vorbeterpult usw. waren in den einfachsten Formen gehalten. Sechs messingene und drei gläserne Leuchter dienten neben ihren Zwecken noch der Zierde des Inneren. Die Synagoge bot Raum für 77 Männerstühle. Die Frauensynagoge fasste 43 Stühle.“9

Der freie Raum unter der Frauenempore war als Trauhimmel ausgestaltet und diente für Trauungen. Bereits 1839 reichten die Sitzplätze nicht mehr aus, so dass dieser Raum um 27 Frauenstühle erweitert wurde.

1856 fanden umfangreiche Reparaturarbeiten statt.

1874, zum 50jährigen Jubiläum, wurde die Beleuchtung auf Gaslichter umgestellt und 1878/79 das Innere neu ausgemalt. 50 Jahre später, 1924, wurden anlässlich des 100jährigen Bestehens des Synagogengebäudes abermals umfangreiche Sanierungen durchgeführt.

Die Synagoge wurde in der Pogromnacht innen vollständig zerstört und die Holzteile von der Bevölkerung als Brennholz entwendet. Mit Wirkung zum 20. Januar 1939 verkauften Leo Grünbaum und Salomon Reiss das Gebäude für 1.500 Reichsmark an Jean Willi Fritz Honig, der nach Kriegsende nochmals 3.000 DM an die JRSO entrichtete.10 Nach Schäden durch Kriegseinwirkung wurde es so umgebaut, dass seine ursprüngliche Funktion heute nicht mehr erkennbar ist.

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Spätestens seit 1810 bestand in Bürgel eine jüdische Krankenkasse, die noch 1924 unter dem Namen Israelitische Männer-Krankenkasse Bürgel aktiv war. Sie unterstützte ihre Mitglieder in Krankheit-, Todes- und Trauerfällen.

1866 wurde der jüdische Gesangverein Concordia gegründet, der zwei Jahre später seine Fahnenweihe mit einem großen Fest feierte. Er ging vermutlich aus dem bereits seit 1856 bestehenden Synagogenchor hervor und existierte bis 1924.11

Mikwe

Die erste nachweisbare Mikwe befand sich in einem christlichen Wohnhaus: 1780 erwarb die jüdische Gemeinde den Keller dieses Hauses und richtete darin das Bad ein.12 Es handelt sich um das gleiche Haus am Bürgerplatz, das sie 1823 vollständig übernahm, um darin die Schule einzurichten.

Anfang der 1820er Jahre wurde diese Mikwe aufgrund eines Runderlasses der hessischen Regierung mit der Begründung mangelhafter hygienischer Zustände geschlossen. Es sollte allerdings bis 1830 dauern, bis die Gemeinde finanziell in der Lage war, auf dem Synagogengrundstück einen Neubau als Bad zu errichten.

Die Mikwe war an eine Privatperson verpachtet, der die Verwaltung, die Reinigung und die Vorbereitung der Bäder oblag. Im Gegenzug konnte der Pächter mit jedem Bad 48 Kreuzer erwirtschaften. Die allgemeinen Zustände müssen aber schlecht gewesen sein, denn schon 1840 und später noch einmal 1853 kam es zu Umbauten und Reparaturen. Seit wann das Bad nicht mehr benutzt wurde, ist nicht bekannt.13 Bekannt dagegen ist, dass es 1924 als Waschküche für die Bewohner einer benachbarten Hofreite diente.

Schule

Mit Gründung der jüdischen Gemeinde und Einrichtung eines Betsaals im Falltorturm Ende des 17. Jahrhunderts fand dort auch Religionsunterricht statt. Ab 1823 wurde ein Haus am Bürgerplatz zu diesem Zweck genutzt.

1823 erwarb die Gemeinde ein zweistöckiges Wohnhaus und richtete im Erdgeschoss ein Schulzimmer ein. Im Obergeschoss befand sich die Lehrerwohnung. Der Klassenraum war allerdings klein und feucht und konnte die teilweise mehr als 50 Kinder nicht fassen. Daher entschloss sich die Gemeinde zu einem Neubau auf einem Nachbargrundstück der Synagoge. Auch hier entstand ein zweistöckiges Haus, in dessen Erdgeschoss der Schulraum lag und dessen Obergeschoss die Lehrerwohnung barg. Es wurde am 16. November 1854 eingeweiht.14

Die Auflösung dieser jüdischen Elementarschule erfolgte 1876 nach Umwandlung der Bürgeler Volksschule in eine Simultanschule. Schulgebäude und -einrichtung gingen anschließend in das Eigentum der politischen Gemeinde über.

Friedhof

Der Friedhof in Bürgel liegt heute etwa 1,5 Kilometer nördlich des Stadtteils unmittelbar an einer ehemaligen Kiesgrube. Er wird bereits im 16. Jahrhundert angelegt worden sein und diente bis 1708 auch den in Offenbach lebenden Juden als Begräbnisstätte. 1821 wurde er erweitert und erst 1842 von einer Mauer eingefasst.

Beisetzungen fanden bis 1938 statt. Von der Vielzahl der Gräber haben sich nur 91 Steine erhalten.

Auch auf dem städtischen Friedhof in der Arendstraße gibt es ein jüdisches Gräberfeld.

Bürgel, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildungen

Indizes

Personen

Lammert, Caspar

Fußnoten
  1. Lammert 1924, S. 9
  2. Lammert 1924, S. 15
  3. Werner, 1988, S. 16
  4. Lammert 1924, S. 17
  5. Lammert 1924, S. 10
  6. HHStAW 518, 1361
  7. Ruppel, 2008, S. 79
  8. Gehrlein, 1990, S. 45
  9. Lammert 1924, S. 19
  10. HHStAW 518, 1361
  11. Lammert 1924, S. 30
  12. Lammert 1924, S. 22
  13. Lammert 1924, S. 26
  14. Lammert 1924, S. 24
Empfohlene Zitierweise
„Bürgel (Stadt Offenbach am Main)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/138> (Stand: 7.12.2023)