Synagogen in Hessen
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- Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 107. Hanau
Rückingen
- Gemeinde Erlensee, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
- Basisdaten ↑
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Juden belegt seit
1465
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Lage
63526 Erlensee, Ortsteil Rückingen, An der Wasserburg | → Lage anzeigen
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erhalten
nein
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Jahr des Verlusts
ca. 1942
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Art des Verlusts
Abbruch
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Gedenktafel vorhanden
ja
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Weitere Informationen zum Standort
- Geschichte ↑
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Rückingen wurde 1173 erstmals urkundlich erwähnt. 1324 gehörte es zu Kurmainz, das es 1426 an die Grafen von Hanau verpfändet. 1476 lösten die Grafen von Isenburg diese Pfandschaft ein und vergaben es als Afterlehen an die Herren von Rückingen und von Rüdigheim. Nach dem Wiener Kongress kam es an das Kurfürstentum Hessen, das es 1821 dem Kreis Hanau zuteilt. 1866 wurde auch dieser Teil preußisch. 1970 schlossen sich Rückingen und Langendiebach zur Gemeinde Erlensee zusammen.
Der wohl älteste Hinweis auf einen im Ort lebenden Juden stammt aus dem Jahr 1465, als „Smohel von Rückingen“1 dem Grafen Philipp von Hanau ein Schreiben ausstellte, dem zufolge er sich nicht für die verhängte Gefängnisstrafe rächen wolle. Etwa aus der gleichen Zeit stammen Hinweise auf mehrere im Ort lebende Juden.
Aus dem Jahr 1546 liegt erstmals eine Liste mit Namen von Juden vor, die diejenigen aufführt, die in „Rückingen sesshaft und hauslich wohnen“2 und Geleit erhielten. Genannt werden Nathan, Freyselmann, Mosche, Symon, Samuell, Mannes, Ysaak und Beer. In der im gleichen Jahr erstellten Liste „Namen der Juden zu Rückingen“ werden Nathan, Freisselmann, Samuel, Simon, Mosche, Ysaak und Ehrmann genannt.3 Es kann also davon ausgegangen werden, dass in der Mitte des 16. Jahrhunderts mindestens sieben handeltreibende Juden in Rückingen lebten, die zumindest teilweise eine eigene Familie hatten.
Am 22. Januar 1571 erhielt Simon mit seiner Frau Rechlein, seinen Kindern und seinem Brotgesinde einen auf drei Jahre ausgestellten Schutzbrief, mit dem er in Rückingen wohnen und handeln durfte. Simon stammte aus Windecken, wohin er 1578 auch wieder verzog.4
Bis Ende 1633 war die Zahl der Schutzjuden auf zehn angestiegen. Dies waren Mayer, Michel Apt, Schwartz Mos, Mosche, David, Löw, Heyam, Mannl, Heimann und der kleine Wolf.5 Diese Zahl dürfte ausgereicht haben, um auch formal eine eigene Gemeinde zu konstituieren.
Leider liegen aus dem 18. Jahrhundert keine weiteren Nachrichten vor. Da aber Mitte des 18. Jahrhunderts bereits eine Synagoge und der Friedhof bestanden, kann von einer Gemeindegründung im 17./18. Jahrhundert ausgegangen werden.
Eine Liste aus dem Jahr 1824 gibt eine Übersicht über Personen, die Schutzgeld zu entrichten hatten. So versorgte Bender einen Haushalt mit sieben Personen. Er war 1807 in Schutz genommen worden. Elieser Simon führte seit 1795 seinen Schutzbrief. In seinem Haushalt lebten ebenfalls sieben Personen. Ebenso groß war der von Jona Herz. Juda Salomon war schon vor Mitte der 1780er Jahre in Schutz genommen worden. Sein Haushalt umfasste vier Personen. Der 1820 aufgenommene Loeb Moses hatte zwei eigene Kinder und ein Pflegekind. Leser Simon zahlte weder für sich noch für seine Frau oder seinen Sohn Schutzgeld. Im Haushalt von Götz Loeb lebten sieben Personen und eine Magd. Er war 1814 in Schutz genommen worden. Der alleinstehende Loeb Götz lebte mit zwei Söhnen und einer Haushälterin zusammen und genoss seit 1782 Schutz.6 Insgesamt handelte es sich folglich um 44 Personen.
Diese Zahl blieb im Verlauf des 19. Jahrhunderts vergleichsweise konstant und lag 1905 bei 39,7 1933 bei 26. Im 19. und 20. Jahrhundert gehörten auch die in Niederrodenbach lebenden Juden zu der Gemeinde Rückingen. Zählt man diese hinzu, lebten 1933 in beiden Orten 67 jüdischen Menschen.
In Rückingen lebten 1933 sechs jüdische Familien mit insgesamt 26 Personen. Viele ihrer Mitglieder nahmen aktiv am örtlichen Vereinsgeschehen teil. Ludwig Lilienfeld war Mitbegründer des Fußballvereins erste FC Germania 06 Rückingen und auch in der Gemeindepolitik aktiv.8
14 Personen konnten dem Holocaust durch Auswanderung entkommen, 16 wurden deportiert und ermordet.
Die Brüder Siegfried und Ludwig Lilienfeld überlebten den Holocaust und kehrten nach Rückingen zurück. Als einziger jüdischer Einwohner überlebte Julius Lilienfeld in Rückingen, vermutlich weil er mit einer nichtjüdischen Frau verheiratet war. Er war vom 1. Oktober 1945 bis 30. Juni 1952 Bürgermeister der Gemeinde und anschließend Regierungsbeamter in Hanau. Ab 1947 war er zudem Vorsitzender der neuen Jüdischen Gemeinde Gelnhausen.9
- Betsaal / Synagoge ↑
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Der früheste Hinweis auf eine Synagoge im Ort stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, als der Lehnsherr von Kameytsky die alte Synagoge mit dem Versprechen abbrechen ließ, eine neue zu erbauen.10 Wann der Bau erfolgte, ist nicht bekannt. Zu der Gemeinde und damit zu den Synagogenbesuchern gehörten auch die in Langendiebach und Niederrodenbach wohnenden Juden. Die bekannte Synagoge am Mühlenweg (heute An der Wasserburg) war um 1870 erbaut worden. Unmittelbar daneben befand sich die Mikwe.
Erst die nach dem Zweiten Weltkrieg angelegten Entschädigungsakten geben Aufschluss über das Gebäude. So war die Synagoge ein innen und außen verputzter Massivbau. Aus dem mit guten Dielen versehenen Betraum führte eine Holztreppe auf die Frauenempore. Die Sitzbänke waren unter Berücksichtigung ihres Alters in gutem Zustand.11
In der Pogromnacht wurde das Innere der Synagoge verwüstet und dabei der Bodenbelag, der Wandputz, die Verglasung und die Türen zerschlagen.
Zu der Inneneinrichtung gehörten 36 Sitzplätze für Männer, 16 für Frauen, eine Garderobe für 55 Einheiten, ein Thoraschrein mit Baldachin aus Eiche, ein Vorleserpult mit Podium und Wickelbank aus Eiche, ein Kronleuchter, vier Seitenleuchter, zwei Altarleuchter, 10 Meter Läufer, ein Schrank für Kultgeräte und zwei Porzellanöfen.
An Kultgegenständen wurde zerstört acht Thorarollen, fünf Thoraaufsätze mit Schellen, fünf Thoraschilder, ein silberner Lesefinger, acht Thoramäntel, 30 Wimpel von Hand bemalt oder mit Gold bestickt, vier Thoraschreinvorhänge aus Samt und Brokat, vier Decken für das Vorlesepult, eine Ewige Lampe aus Messing, ein siebenarmiger Leuchter, ein Channukahleuchter aus Messing, 30 Seelenlichter, ein silberner Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Megillah mit Mantel, ein Schofarhorn, zwölf Gebetmäntel, sechs Paar Gebetriemen, 20 Gebetbücher, 20 Sätze Festgebetbücher, 20 Pentateuche, ein Satz Aufrufplatten und eine silberne Ethrogbüchse.12
In den 1950er Jahren wurde das Gebäude wegen Baufälligkeit abgerissen.13 Ein bildliches Zeugnis hat sich ebenfalls nicht erhalten.
1987 wurde an der Einfriedungsmauer der Wasserburg eine Gedenktafel angebracht.
- Weitere Einrichtungen ↑
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Mikwe
Unmittelbar neben der um 1870 erbauten Synagoge lag die Mikwe, die mit zwei Badezellen durch eine Brandmauer abgetrennt war. Sie nahm bei den Novemberpogromen keinen Schaden, die Einrichtung wurde jedoch ebenfalls zerstört.14
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Schule
Es ist davon auszugehen, dass auch in Rückingen Unterricht gehalten wurde, auch wenn über ein eigenes Gebäude oder einen Unterrichtsraum nicht bekannt geworden ist. Der Lehrer hatte zumindest zeitweise seinen Wohnsitz in Langendiebach, später auch Wachenbuchen.
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Friedhof
Wann der Friedhof in der heutigen Römerstraße angelegt wurde, ist nicht bekannt. Da aber 1747 die Verstorbenen aus Langendiebach hier bestattet wurden, muss er zu dieser Zeit bereits bestanden haben. 1811 gehörte der Friedhof den beiden Gemeinden Rückingen sowie den elf Familien in Langendiebach. Sie hatten versucht aus dem Friedhofsverband auszutreten, dazu aber keine Genehmigung erhalten und mussten folglich alle anfallenden Kosten mittragen. Der Friedhof lag an dem stark frequentierten Weg nach Hanau. 1845 kam es zu Beschwerden aufgrund von Geruchsbelästigungen. Tatsächlich stellte man fest, dass die Särge oft ungenügend hergestellt worden waren und die Gräber die verordnete Tiefe von 5-6 Fuß nicht erreichten. Deswegen auftretende Verwesungsgerüche hielt der Gutachter für möglich, stellte später aber fest, dass sie von einem auf dem benachbarten Feld liegenden, verwesenden Tier stammten.15 1856 erwarb die Gemeinde ein Grundstück für eine Friedhofserweiterung. Heute ist der Friedhof 750 Quadratmeter groß. 1955 wurde die Mauer zu einem der angrenzenden Grundstücke geschlossen.
- Nachweise ↑
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Weblinks
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Quellen
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 365, Nr. 504: Geburtsregister der Juden von Langenselbold (enth. Rückingen), 1776-1843
- HHStAW Best. 503, Nr. 7362: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden. Band 7: Synagogen und andere Einrichtungen im Kreis Hanau (enth. Rückingen) 1960-1962
- HHStAW Best. 518, Nr. 1178: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Rückingen, 1954-1962
- HHStAW Best. 531, Nr. 324: Wiederherstellung und Pflege der jüdischen Friedhöfe im Regierungsbezirk Wiesbaden, 1955-1958
- Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM):
- HStAM Best. 108 c Rückingen, Nr. 114: Gesuche der Juden zu Rückingen, 1633, 1707-1832v70966
- HStAM Best. 180 Gelnhausen, Nr. in 3557: Statistische Tabellen der Juden in den Ämtern Meerholz und Langenselbold, 1822-1824
- HStAM Best. 180 Hanau, Nr. 4793: Gemeinschaftlicher Totenhof zwischen den Judengemeinden Langendiebach und Rückingen, 1835-1860
- HStAM Best. 82, Nr. c 1033: Israelitischer Totenhof zu Rückingen, 1856
- HStAM Best. 86, Nr. 26145: Schutzbriefe und Reverse der Juden zu Windecken, 1556-1610
- HStAM Best. 86, Nr. 28659: Geleit für die Juden zu Rückingen, 1546
- HStAM Urk. 66, Nr. 302: Jude Smohel zu Rückingen stellt den Grafen Philipp von Hanau eine Verschreibung aus, wonach er sich niemals wegen der durch jenen vorgenommenen Gefängnishaft rächen will, 1465 Oktober 24
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Literatur
- Alicke, Klaus-Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh 2008
- Altaras, Thea: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945? Königstein im Taunus 2007, 340-341
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972; hier Band 2, S. 237-239
- Borngräber, Werner: Sie lebten mitten unter uns. Aus der Geschichte der Juden in Langendiebach und Rückingen. Erlensee 2008
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Abbildungen
- Fußnoten ↑
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- HStAM Urk. 66, 302 ↑
- HStAM 86, 28659 ↑
- HStAM 86, 28659 ↑
- HStAM, 86, 26145 ↑
- HStAM 180 Rückingen, 114 ↑
- HStAM 180 Gelnhausen, 3557 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 237 ↑
- Borngräber, Sie lebten mitten unter uns, S. 8 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 237 ↑
- Borngräber, Sie lebten mitten unter uns, S. 4 ↑
- HHStAW 503, 7362 ↑
- HHStAW 518, 1178 ↑
- Altaras, Synagogen, S. 340 ↑
- HHStAW 518, 1178 ↑
- HStAM 180 Hanau, 4793 ↑
- Empfohlene Zitierweise ↑
- „Rückingen (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/406> (Stand: 18.10.2023)