Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Langstadt Karten-Symbol

Gemeinde Babenhausen, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Georg Wittenberger
Basisdaten | Geschichte | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | Nachweise | Indizes | Empfohlene Zitierweise
Basisdaten

Juden belegt seit

1701

Lage

64832 Babenhausen, Ortsteil Langstadt, Friedhofstraße 1 | → Lage anzeigen

erhalten

nein

Jahr des Verlusts

1964

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historisches Ortslexikon

Geschichte

Die ersten Juden sind in Langstadt für das Jahr 1701 nachgewiesen. 1748 wird in einer Steuerliste der Jude Moses erwähnt. Die Anzahl der Familien war überschaubar, in der Regel heirateten die meisten Kinder nach außerhalb oder wanderten, zahlenmäßig der größere Anteil, in die USA aus. Die israelitische Religionsgemeinde wurde zusammen mit Kleestadt und Schlierbach gebildet.

Im Jahre 1910 lebten in Langstadt laut Volkszählung vom 1. Dezember 612 Protestanten, fünf Katholiken und 14 Juden. Am 16. Juni 1925 ergab die Volkszählung 634 Protestanten, vier Katholiken und 10 Juden.1 Die Zahl der Juden erhöhte sich bis zum Stichtag 1. Januar 1936 nach einer Erhebung der Gendarmeriestation Babenhausen auf 11.2

Betsaal / Synagoge

Mit der Synagoge, die sich in einem Bauerngehöft befand, hat sich die Architektin Thea Altaras3 in den 1980er Jahren ausführlich beschäftigt und auch Rekonstruktionen vorgenommen. Nach ihren Forschungen wurden Balkeninschriften in dem enthaltenen Hofteil gefunden, die auf die Jahre 1780 und 1820 schließen lassen. Es kann vermutet werden, dass dies einmal das Entstehungsjahr ist, zum anderen, dass 40 Jahre später eine Erneuerung stattgefunden hat.

Die Synagoge war ein ebenerdiger Fachwerkbau mit zwei Türen, die vordere für die Männer, die hintere für die Frauen. Die Frauenabteilung war kaum überhöht, da die kleine Geschosshöhe eine Empore nicht zulassen konnte. In dem Fachwerkhaus, das sich direkt an die Synagoge anschloss, wohnte seit Mitte des 18. Jahrhunderts die Familie Breitwieser.4 Ob ein rituelles Bad bestand, ist nicht endgültig geklärt. Altaras vermutet, dass anfänglich (1780-1820) die im Hof befindliche Gebäudehälfte als Synagoge gedient hat. Sie war also von der Straße abgewandt. Dies erscheint möglich, da Ende des 18. Jahrhunderts eine Zurückhaltung bei der „Judenschul“ geübt wurde. Der vordere Gebäudeteil war Wohnhaus eines Bauern. Später (1820-1938) wurden die Gebäudeteile gewechselt. Im vorderen Teil wurde die Synagoge eingerichtet, der dem Hof zugewandte Teil wurde als Wohnhaus genutzt.5

In den 1930er Jahren wurde die Synagoge kaum genutzt. Die Langstädter Juden gingen nach Schaafheim oder Umstadt, jedoch auf keinen Fall nach Babenhausen, wie sich Max Oestreich 1989 bei einem Besuch in Langstadt erinnerte6. Walter Frank7 aus Babenhausen jedoch erinnerte sich, dass an hohen jüdischen Feiertagen u.a. die Langstädter Lichtensteins nach Babenhausen in die Synagoge kamen. Im September 1938 wurde der letzte jüdische Gottesdienst in der Langstädter Synagoge gehalten. Max Oestreich8, der im Mai 1941 mit seiner Frau Gertrud in letzter Minute über Berlin in die USA fliehen konnte, erzählte dies bei seinem dritten Besuch am 27. Juli 1997 in Langstadt. Er war es auch, der etwa zehn Tage vor der „Reichskristallnacht“ wohl aufgrund einer inneren Ahnung die Thora-Rollen aus dem Haus holte und in Sicherheit brachte. Eine Thora-Rolle sei nach Seligenstadt gekommen, eine im Auswandergepäck verloren gegangen, die restlichen nach Darmstadt.9

In der Vollzugsmeldung der SA-Gruppenführer an die SA-Gruppe Kurpfalz von 1938, sämtliche jüdischen Synagogen gesprengt oder in Brand gesetzt, ist Langstadt nicht erwähnt. Trotzdem kam es durch SA-Leute zu Verwüstungen im Innenbereich und zur Vernichtung von Kultgegenständen. Alsbald muss das Anwesen in christlichen Privatbesitz übergegangen sein, denn Bürgermeister Sauerwein meldet am 1. Oktober 1939 dem Landrat in Dieburg: „Die Synagoge in Langstadt ist an einen hiesigen arischen Einwohner zum Preis von 400 RM verkauft.“10

Dieser Hinweis muss in Dieburg jedoch verloren gegangen sein. Zwei Jahre später, am 23. Januar 1942, schreibt nämlich Bürgermeister Sauerwein auf eine diesbezügliche Anfrage der Geheimen Staatspolizei an den Landrat und nennt dabei einen späteres Verkaufsdatum sowie einen anderen Preis: „Die Synagoge wurde am 10. Oktober 1939 an Ludwig Fischer, mit dessen Haus sie unter einem Dach steht, verkauft zum Preis von 370 RM.“ Der Kaufpreis wurde durch die Bezirkssparkasse Groß-Umstadt am 1. Februar 1940 an die israelitische Religionsgemeinschaft Mainz überwiesen.11 Ludwig Fischer hatte das Wohnhaus in den 1930er Jahren von Konrad Breitwieser III., Totengräber in Langstadt, erworben. Breitwieser war nach Babenhausen gezogen.12 Am 17. Mai 1949 wurde die „Betstube“ Friedhofstraße 66 (Flur 1, Nr., 274, mit 63 Quadratmetern auf 400 Mark (Eigentümer Christine Fischer Wwe.) geschätzt.

Während eines gemeinsamen Gesprächs mit Fritz Drews und Max Oestreich am 27. Juli 1997 berichtete Drews, er habe das Gebäude von seinem Schwiegervater für 400 RM gekauft. Der Betrag sollte an die jüdische Reichsvereinigung überwiesen werden, sei aber in Groß-Umstadt hängen geblieben. Nach dem Krieg habe er nochmals 400 RM gezahlt. Im Vorderhaus – also dort, wo die Synagoge war – habe die Wehrmacht während des Krieges eine Waschküche eingerichtet. Nach der Besetzung durch die Amerikaner sei von diesen ebenfalls eine Waschküche für kurze Zeit, danach eine Verpflegungsküche eingerichtet worden. Dadurch seien die Holzbalken so in Mitleidenschaft gezogen worden, dass ein Abriss notwendig war. Bei Umbauarbeiten im hinteren Teil hat Fritz Drews hinter dem Dachbalken mehrere Pergamentrollen mit Holzgriff gefunden. Es wird vermutet, dass es alte Thorarollen waren. Max Oestreich hatte von diesen keine Kenntnis, wie er bei dem gemeinsamen Gespräch sagte.13 Etwas anders in Erinnerung hat es Anne Drews. In dem Haus sei 1944/45 eine Vollküche für Wehrmachtsangehörige [des Flugplatzes Babenhausen] mit zwei Kesseln untergebracht worden. Nach dem Einmarsch der Amerikaner sei in den zwei Kesseln Wäsche gewaschen worden. Gebügelt und ausgebessert worden sei die Wäsche im Pfarrsälchen. 1964 sei das Haus abgerissen, 1965 durch einen Neubau, etwas zurückgesetzt, ersetzt worden. Ähnliches wird auch in Leserberiefen dokumentiert.14

In den Jahren 1964/65 wurden an der Straßenseite großflächige Umbauten, um Wohnraum für Familiennachwuchs zu schaffen, vorgenommen. Es entstand ein großes Wohnhaus an der Friedhofstraße.

Am 11. März 1998 wurde von Bürgermeister Kurt Lambert eine schlichte Gedenktafel aus Messing an dem Wohnhaus angeschraubt. Die Initiative geht auf eine Anregung von Max Oestreich bei seinem dritten Besuch in Babenhausen im Sommer 1997 zurück. Der damalige Besitzer Fritz Drews war von Anfang an einverstanden, dass die Tafel an seinem 1965 neu gebauten Haus angebracht wurde.15

In Langstadt wurde eine Straße nach Julius Lichtenstein benannt. Er war der letzte Vorsteher der orthodoxen israelitischen Religionsgemeinschaft. Am 11. November 1938 wurde er verhaftet und nach Buchenwald gebracht. Am 25. November 1938 setzte sich der Dieburger Kreisdirektor für die Entlassung aus dem KZ bei der Geheimen Staatspolizei in Darmstadt ein, da Lichtenstein beabsichtige auszuwandern und im Besitz einer Schiffskarte sei.16 Dem Ehepaar Lichtenstein mit seinen zwei Kindern ist die Auswanderung gelungen.

Aus der weitverzweigten Familie Wetzler sind bis zum Ende des 20. Jahrhunderts einige Kantoren hervorgegangen. Bereits im19. Jahrhundert gelangte Simon Wetzler, geboren am 2. März 1853 in Langstadt, als Religionslehrer und Kantor in Aschaffenburg zu Ansehen. Als siebtes Kind von Isaac und Caroline Wetzler verlebte er seine Kindheit im Dorf. Wohin er zur Ausbildung ging, wissen wir nicht. Geheiratet hat er 1876 in Langen Johanna Simon. Zwei seiner vier Kinder sind dort geboren. Ab 1880 bis zum seinem Tod 1919 wirkte Simon Wetzler als Religionslehrer und Kantor an der Oberrealschule in Aschaffenburg. Wetzler hat dem liberalen Judentum angehört. In der 1933 erschienenen Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Oberrealschule wird Simon Wetzler ausdrücklich erwähnt.17

Weitere Einrichtungen

Schule

Zeitweise lebte ein jüdischer Lehrer in Langstadt: Jacob Katz aus Kirch-Brombach, der 1897 in Langstadt starb.

Friedhof

Die Juden von Langstadt wurden auf dem jüdischen Friedhof in Babenhausen beerdigt.

Babenhausen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Babenhausen, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

Nachweise

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildungen

Indizes

Personen

Moses · Breitwieser, Familie · Oestreich, Max · Frank, Walter · Oestreich, Gertrud · Sauerwein · Fischer, Ludwig · Breitwieser III, Konrad · Fischer, Christine · Drews, Fritz · Drews, Anne · Lambert, Kurt · Lichtenstein, Julius · Wetzler, Simon · Wetzler, Isaac · Wetzler, Caroline · Simon, Johanna · Katz, Jacob

Orte

USA · Kleestadt · Schlierbach · Babenhausen · Schaafheim · Groß-Umstadt · Berlin · Seligenstadt · Darmstadt · Mainz · Aschaffenburg · Langen · Kirch-Brombach

Sachbegriffe Geschichte

Reichskristallnacht · SA-Gruppe Kurpfalz · Buchenwald, Konzentrationslager

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten

Fußnoten
  1. Gemeindeverzeichnis 1926.
  2. HStAD G 15 Dieburg, Q 588.
  3. Altaras 1988.
  4. Skript von Pfarrer Rainer Haberstock anlässlich des Besuches von Bruce Wetzler in Langstadt vom 14.07.2006.
  5. Thea Altaras hatte 1988 für das Buch von Lötzsch/Wittenberger (1988) ihre Forschungsergebnisse sowie Fotos und Zeichnungen zur Verfügung gestellt.
  6. Gespräch mit Max Oestreich am 6.8.1989.
  7. Schreiben von Walter Frank (Lima) vom 09.07.1988.
  8. Wittenberger 1990.
  9. Gespräch mit Max Oestreich am 6.8.1989; Aufzeichnungen von Georg Wittenberger vom 27.07.1997; Offenbach-Post vom 13.03.1998.
  10. HStAD G 15 Dieburg, L 10.
  11. HStAD G 15 Dieburg, L 22.
  12. Haberstock 2006.
  13. Gespräch über die Langstädter Synagoge am 27. Juli 1997: Teilnehmer: Max Oestreich, Fritz Drews und Georg Wittenberger.
  14. Gespräch mit Frau Anne Drews am 11.3.1998. Leserbriefe von Frank Ludwig Diehl im „Main-Echo“ vom 30.3.1998, und „Darmstädter Echo“ vom 1.4.1998.
  15. Offenbach-Post vom 13.03.1998.
  16. HStAD G 15 Dieburg, Q 592.
  17. Wittenberger 1997.
Empfohlene Zitierweise
„Langstadt (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/syn/id/101> (Stand: 24.4.2022)