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Hessische Biografie

Portrait

Hans Achinger
(1899–1981)

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Achinger, Hans [ID = 623]

* 5.10.1899 Elberfeld, † 6.7.1981 Frankfurt am Main
Prof. Dr. rer. pol. – Nationalökonom, Sozialmanager, Geschäftsführer, Sozialwissenschaftler, Hochschullehrer
Biografischer Text

Hans Achinger wurde nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums direkt nach dem Abitur zum Kriegsdienst eingezogen. Nach der Rückkehr aus der englischen Kriegsgefangenschaft und einem Studium der Nationalökonomie in Köln, Berlin und Frankfurt am Main fand er eine erste Anstellung Jugendfürsorge der Rheinischen Mission, aber schon nach einem Jahr ein Wirkungsfeld in Frankfurt am Main, dem er dann bis ins hohe Alter treu blieb. Dieses biographische Bild soll insbesondere Achingers Eingebundensein in die NS-Ideologie aufzeigen und Kontur geben.

Ein zentraler Schritt in seiner Karriere war es für Hans Achinger, 1925 Geschäftsführer der Zentrale für private Fürsorge in Frankfurt am Main zu werden. Damit verfügte er über gute Einblicke in die Sozialpolitik, in die Vorstellungen von Sozialreformern und viele Kontakte.1 Schon während dieser Tätigkeit wurde er am 24. August 1936 Mitglied der Reichskulturkammer sowie der Reichsschrifttumskammer.2 Für seine angebliche Durchführung von Fürsorgeaufgaben, z. B. im Vormundschaftswesen habe er eine politische Legitimation irgendwelcher Art benötigt; dafür sei er dem Stahlhelm beigetreten. Mit diesem sei er in die SA übernommen worden. Dann sei er auf Grund listenmässiger Meldung durch die SA. mit Wirkung vom 1.5.37 als Parteianwärter geführt worden, was unzutreffend ist, da eine persönliche Mitgliedschaft erforderlich war.3 Achinger wirkte bei der antisemitischen Gleichschaltung der Zentrale für private Fürsorge mit.4 Im Mai 1937 setzte sich der NS-Stadtrat Bruno Müller beim NS-Oberbürgermeister für ihn, so dass für Herrn Dr. Achinger möglichst eine Dozententätigkeit an der Universität vorgesehen wird.5

1937 wechselte Achinger zur Industrie- und Handelskammer in Frankfurt am Main, wo er Redenschreiber, dann auch Schriftleiter6 und ab 1939 Hauptschriftleiter7 war für die Rhein-Mainische Wirtschafts-Zeitung. Amtliche Zeitschrift der Wirtschaftskammer Hessen. Nun lobte er den Gauleiter: Sprenger [hat] die Siedlungsarbeit in den Leistungskampf der deutschen Betriebe mitten hineingestellt.8 Ab 1942 veröffentlichte er Beiträge auf dem Deckblatt: er argumentierte unter Rechtfertigung über die Stilllegung von Unternehmen, weil es Verbrauchsgüter gibt, deren Fertigung in diesem Augenblick der höchsten Anspannung überhaupt eine Weile ausgesetzt werden muß.9 1942 äußerte er sich über das, was Kriegsentscheidend sei, dass nämlich der kontinental-europäische Block, den der Führer geschaffen hat, mit jedem Tage stärker wird … Die Konsolidierung der europäischen Ernährungsbasis, die immer weitere Ausbreitung der rüstungswirtschaftlichen Arbeit in ganz Europa und, im deutschen Zentralraum …, um im kommenden Jahr den Vorsprung uneinbringlich zu vergrößern, den der Führer und die deutsche Wehrmacht geschaffen haben.10 Aus Sicht deutscher Eroberungspolitik setzte er Deutschland mit Europa gleich; geherrscht wurde aus dem deutschen Zentralraum.

Anschließend wirkte Achinger als Hauptschriftleiter für die umbenannte Die Rhein-Mainische Wirtschaft. Amtliches Mitteilungsblatt der Gauwirtschaftskammer Rhein-Main.11 1944 behandelte das Blatt die Beschäftigung von Ostarbeitern in der Freizeit mit Gruppen- und Zeitakkorde der Kriegsgefangenen, oder die Lohnüberweisungen slowakischer Arbeiter.12

Achinger vertrat im Dritten Reich eine anscheinend utilitaristische Bejahung des nationalsozialistischen Totalitarismus13 und wollte dem Einzelnen eine Funktion und einen Lebensraum als Glied einer Gesamtordnung zuweisen,14 wie er in seiner Habilitation schrieb. Dort hatte er sich eigens in einem Exkurs: Minderwertigkeit und Vererbung15 mit der Sterilisation befasst, die für die Fürsorge von ganz besonderer Bedeutung sei. Prinzipiell war er dafür, mit Zwang vorzugehen, wo Einsicht nicht erwartet werden kann. Er hatte xenophobe Tendenzen, wenn er hoffte, es werde bei der innereuropäischen Migration der Zeitpunkt kommen, an dem ein stabiler Zustand erfolgt ist, wo möglichst jeder zu Hause bleibt.16 Das zeigt sich ebenso in seinem Aufsatz zur Raumordnung mit einem kolonialistischen Aufbau der Ostländer: Zwar ging er von einer Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte aus, die aber in größerer Zahl unerwünscht seien, denn er strebte eine sozialpolitische gesunde Menschenverteilung in volksbiologischer Hinsicht an. Als Sozialplaner im Nationalsozialismus lehnte er Freizügigkeit17 grundsätzlich ab. Er gehörte mit zu den Fachleuten bei Wilhelm Polligkeit im Soziographischem Institut, das seit 1943 Raumforschung im Sinne der nationalsozialistischen Siedlungs- und Aggressionspolitik18 betrieb.

1941 war Achinger darüber hinaus in der IHK ein Geschäftsführer geworden. Es kam im Oktober 1944 zur Aufteilung des Geschäftsbetriebs auf mehrere Standorte: Achinger residierte mit Teilen der Industrieabteilung, der Personalverwaltung sowie den Dezernaten für Berufsbildung, Statistik und allgemeines Wirtschaftsrecht sowie einer unübersichtlichen Reihe von Referaten aus anderen Abteilungen ... in Bad Homburg.19 Konsequenterweise wurden die Gauwirtschaftskammern nach der Besetzung der alliierten Truppen als nationalsozialistische Institutionen umgehend aufgelöst.20

Im Oktober 1945 wurde Achinger auf Druck der Militärregierung als Geschäftsführer der IHK entlassen.21 Er war anschließend unter anderem beschäftigt als Gutachter für arbeitsrechtliche Fragen beim Landesarbeitsamt Hessen. Im Fragebogen des Military Government behauptete er: Eine leitende Tätigkeit habe ich nicht ausgeübt. Dabei war er Dezernent für Berichterstattung und Sozialfragen,22 also ein Entscheidender gewesen, und er war Geschäftsführer; sein Gehalt lag 1943 über dem des Frankfurter Stadtrats Bruno Müller.23 Die Spruchkammer ordnete ihn in die Gruppe 4 der Mitläufer ein.24

Achinger begründete die verteilungspolitische Richtung der Sozialpolitik. Er war auch Sachverständiger und Gutachter für die Bundesregierung in Fragen sozialer Reformen, u. a. der Renten- und Krankenversicherung. Er wirkte als Mitglied der Sozialenquête-Kommission seit 1964 an deren Gutachten mit.25

Gunter Stemmler


  1. Vgl. sein Politisieren mit dem DNVP-Politiker August Jaspert, siehe Achinger, Praxis, S. 144.
  2. Siehe HHStAW, Abt. 520/11 Nr. 15014/1, Meldebogen, vom 19.4.1946.
  3. Nachweise und Zitate siehe HHStAW, Abt. 520/11 Nr. 15014/2, Achinger an Oberbürgermeister, vom 1.4.1946, S. 4; Stemmler, Gunter, Schuld und Ehrung. Die Kommunalpolitiker Rudolf Keller und Friedrich Lehmann zwischen 1933 und 1960 – ein Beitrag zur NS-Geschichte in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2017: [12.10.2017] urn:nbn:de:hebis:30:3-445442; http://d-nb.info/114137935X, S. 81 f.
  4. Siehe Dieter Eckhardt, Soziale Einrichtungen sind Kinder ihrer Zeit ... Von der Centrale für private Fürsorge zum Institut für Sozialarbeit, Frankfurt am Main 1999, S. 121-123.
  5. Institut für Stadtgeschichte, Stadtwerke 493, vom 19.5.1937verso.
  6. Nachweis und Zitat siehe Rebentisch, Zeiten, S. 204.
  7. Siehe dort im Impressum.
  8. Hans Achinger, Siedlungsaufgaben im Rhein-Main-Gebiet, in: Rhein-Mainische Wirtschafts-Zeitung […], 1939, S. 67-69, hier S. 67.
  9. Rhein-Mainische Wirtschafts-Zeitung. […], 1942, S. 261 (Juli).
  10. Ebenda, S. 311 (1.9.1942).
  11. Siehe dort, 1944, S. 12; vgl. Internetauftritt Deutscher Verein [Stand: 8.10.2018].
  12. Zitate und Nachweise siehe Rhein-Mainische Wirtschaft […], 1944, S. 31 f., 45.
  13. Siehe Eckhardt, Einrichtungen, S. 122 f.
  14. Achinger, Sozialpolitik, S. 129.
  15. Achinger, Sozialpolitik, S. 70-74.
  16. Zitate siehe Achinger, Sozialpolitik, S. 71, 90, 127.
  17. Zitate siehe Achinger, Raumordnung, S. 9-12.
  18. Sabine Schmitt & Matthias Willing, Geschichte des Deutschen Vereins, Webseite, [Stand: 2018].
  19. Zitate siehe Rebentisch, Zeiten, S. 217.
  20. Ulrich Eisenbach, Die Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main, in: www.Frankfurt1933-1945.de; Text erstellt 2003, aktualisiert am: 28.9.2009; http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_ak_handelskammer_01; siehe auch H.M., Persönliche Nachrichten. Hans Achinger, in: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Nachrichtendienst, 47, 1967, S. 486-488, hier S. 486.
  21. Hock, Achinger.
  22. Zitate siehe Abt. 520/11 Nr. 15014/2,, vom 28.11.1945.
  23. Gehalt 1943 „16161“ RM , siehe Abt. 520/11 Nr. 15014/1, Meldebogen, vom 19.4.1946; siehe zu Müller: HHStAW, 520 F, R 4704, K 2185, Bl. 2 „Arbeitsblatt“, vom 4.7.1946, 1943: 15.200 RM.
  24. Siehe Abt. 520/11 Nr. 15014/2, vom 21.3.1947.
  25. Zitate und Nachweis siehe Hock, Achinger.

Literatur
  • Frankfurter Biographie, Bd. 1, Frankfurt am Main 1994, S. 10 (Sabine Hock)
  • Dieter Rebentisch, Schwere Zeiten: Die Frankfurter Wirtschaft zwischen Republik, Diktatur und Krieg 1914–1945, in: Werner Plumpe/Dieter Rebentisch (Hrsg.), Dem Flor der hiesigen Handlung. 200 Jahre Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2008, S. 178-217