Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915

Abschnitt 5: Predigt I / 5 zu Joh. 14, 19 (Ostern)


Jesus spricht: „Ich lebe und Ihr sollt auch leben". Joh. 14, 19.

Liebe Kameraden!1

„Ostern, Ostern, Frühlingswehen, Ostern, Ostern, Auferstehen" — so singt und jubelt heute die Christenheit. Was hat uns das Osterfest zu sagen? Nur, daß der Frühling wieder einzieht und das wunderbare große Aufwachen von neuem durch die Natur geht? Gewiß, das auch. Niemand achtet dankbarer darauf, als wir hier draußen. Gott Lob, daß der lange, schwere Winter mit seinen endlosen dunkeln Nächten, mit seiner Kälte und dem Schmutz der Schützengräben glücklich vorüber ist. Sei uns gegrüßt du güldne Sonne, voll Freud und Wonne, mit deinem Licht und deinen wärmenden Strahlen! Nun quillt tausendfach wieder neues Leben, draußen in der Natur, und auch drin im Menschenherzen. — Aber das allein kann nicht den Inhalt der Osterfreude bilden; am wenigsten in diesem Jahr. Denn dazu haben die Granaten gar zu vieles um uns her hoffnungslos zerwühlt und zerrissen, so daß aus den Trümmern — trotz wärmender Sonne — kein neues Leben aufkeimt. Dazu sind der Gräber hier draußen und der Trauerkleider daheim zu viel, als daß die daran beteiligten Herzen so rasch darüber hinwegkommen könnten. Wollen wir fröhliche Ostern feiern, auch in diesem Jahr, dann brauchen wir mehr, als Frühlings-Träume und Frühlings-Stimmungen.

Wir haben mehr, wir haben die frohe Botschaft von einem lebendigen Heiland. Es ist uns bekannt, was die heilige Schrift davon erzählt: die zarten, feinen Geschichten von dem versiegelten Grab in Josephs Garten, von dem Gang der Frauen am Ostermorgen [S. 19] und ihrem und der Jünger Schrecken, als sie das Grab leer fanden, sowie von der Freude über die ersten Begegnungen mit dem Auferstandenen. Es ist uns auch bekannt, wie viel und wie heiß über alle diese Dinge seit Jahrhunderten in der Christenheit gestritten wird. Kameraden, dazu haben wir hier draußen weder Zeit noch Lust. Wenn wir hier nie wissen, ob der Gottesdienst, den wir heute halten und besuchen, nicht der letzte unseres Lebens ist, dann verlangt unsere Seele nach Klarem und Festem, daran sie sich halten kann. Als solches tritt uns aus allen Oster-Berichten der Bibel vor allem das Line entgegen: die Jünger Jesu sind durch das, was sie zu Ostern erlebt haben, neue Menschen geworden. Mit dem auferstandenen Christus ist eine neue Macht in ihr Leben hinein getreten, der sie sich gar nicht entziehen konnten. Was ihre Seele vorher nur dunkel geahnt hatte, das wurde ihnen nun zur unumstößlichen Gewißheit: Der Tod konnte im Leben Jesu nicht das letzte Wort behalten; das, was ihnen an ihm als etwas so aus Gott Geborenes entgegen getreten war, konnte unmöglich im Grabe bleiben; auf den Karfreitag mußte mit innerer Notwendigkeit Ostern folgen. Die Auferweckung des Herrn, von der sie sich mit frohem Erleben überzeugen durften, ward den Jüngern die sichere Bürgschaft dafür, daß Gott im Regimente sitzt, daß die Wahrheit stärker ist als die Lüge, die Liebe gewaltiger als der Haß, das Leben mächtiger als der Tod. —

„Ich lebe" — diese Botschaft des Osterfürsten, das ist für uns Grund und Inhalt unserer Osterfreude. Denn sie gilt auch heute noch. Machtvoll ist er, der lebendige Herr, seitdem durch die Geschichte der Menschheit geschritten. Zahllose Male hat man geglaubt, mit Jesus von Nazaret fertig zu sein; aber immer wieder hat sichs gezeigt, daß er nicht tot ist, sondern daß die Menschen genötigt werden, sich mit ihm auseinander zu setzen. Machtvoll schreitet er auch jetzt wieder durch die Geschichte unserer Tage. Seit Kriegsanfang [S. 20] haben wir es ja mit erlebt, wie so viele, viele die Hände wieder nach Ihm ausstrecken, und hier draußen bezeugt es mancher, daß ihm von allem Sicheren nun eins das Sicherste geworden ist: „Jesus lebt; denn er hat mir zurückgeholfen zum lebendigen Gott". Einer von ihnen hat im Namen vieler dieses sein großes Kriegserlebnis in die Worte gekleidet: „Mit Goethes Faust bin ich ausgezogen, mit dem Neuen Testament, mit dem Buch von Jesus, bin ich wieder heimgekommen."

Ich lebe — spricht Jesus —, und Ihr sollt auch leben! Wie hat sich das Wort damals an den Jüngern erfüllt. Wie sind sie in Gewißheit der Oster-Tatsache wahrhaft lebendige Menschen geworden: so stark und so getrost, so lebensfroh und so sterbefreudig, Kinder vor Gott, aber Helden vor den Menschen!

Kameraden, heute tritt der auferstandene Heiland zu uns mit diesem seinem Wort: Ihr sollt auch leben! Du deutsches Volk, hörst Du's? So gewiß Jesus auferstanden ist, so gewiß wird die Wahrheit Gottes über alles und über alle zuletzt den Sieg gewinnen. Aus dieser Gewißheit schöpfen wir die Kraft zum Aushalten und Durchhalten mit frohem Mut und ungeschwächter Energie. Welche furchtbare Macht der Lüge ist uns in diesem Krieg entgegen getreten! Wir haben ein Grauen bekommen vor diesen Mächten der Finsternis und der Tiefe. Aber wir fürchten uns nicht. Der auferstandene Heiland hat die Gewalt der Sünde gebrochen. Gott läßt es nicht zu, daß das Böse triumphiert und die Lüge siegt. Wohl mag er unser Volk schwere Wege führen; wir haben es reichlich verdient, und unser großer Heerführer wird recht behalten mit seinem Wort von den „schwer errungenen Siegen, die wir nötig haben". Aber Gott sitzt im Regiment. Hier, wie damals in Jerusalem, wird die Wahrheit das letzte Wort behalten. Die Rechte des Herrn ist erhöht; die Rechte des Herrn behält den Sieg.

So dürfen wir uns getrost unter den Glanz des Osterwortes „Ihr sollt auch leben" stellen, wenn wir bereit sind, uns unter [S. 21] seinen Ernst zu beugen. Was heißt „leben"? Nach der Meinung Jesu mehr, als essen und trinken, mehr, als sich recht und schlecht durch die Tage schlagen. Leben heißt: ablegen die Werke der Finsternis; leben heißt: den Willen Gottes tun! Wird unser liebes deutsches Volk in diesem Sinn „lebendiger" werden, als es vor dem Krieg war? — Denke an Dich, Kamerad! Solange wir leben, werden wir stolz und dankbar dafür sein, daß wir mit dabei sein durften. Aber wenn es einmal an die letzte Abrechnung mit Deinem Gott geht, dann wird es nicht heißen: hast Du einst vor Verdun oder sonst irgendwo mitgekämpft; nein, dann wird gefragt werden, ob Du den guten Kampf des Glaubens gekämpft, ob Du Treue gehalten und Dein Leben von Deinem Heiland hast heiligen lassen.

Und die vielen Kameraden-Gräber —, stören sie nicht unsere Oster-Freude? Auch über ihnen liegt das Wort des Oster-Fürsten: „Ihr sollt auch leben; denn wo ich bin, da soll mein Diener auch sein". Osterluft weht um sie. Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Sie haben überwunden. Nicht das Sterben ist das Letzte. Mögen die Leiber unserer gefallenen Brüder hier in fremder Erde ruhen oder in der irdischen Heimat; ihre Seelen suchen wir droben in der ewigen Heimat bei dem auferstandenen Heiland, der auch uns einst im Sterben heimbringen will, wenn wir uns im Leben an Ihn halten.

Amen.


  1. Ostern fiel 1915 auf den 4. April.

Personen: Eisenberg, Christian
Sachbegriffe: Feldpredigten · Feldgeistliche · Feld-Divisionspfarrer · Evangelische Kirche
Empfohlene Zitierweise: „Feldpredigten des Feld-Divisionspfarrers Christian Eisenberg aus Marburg, 1914-1915, Abschnitt 5: Predigt I / 5 zu Joh. 14, 19 (Ostern)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/76-5> (aufgerufen am 05.05.2024)