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Hessische Biografie

Portrait

Wilhelm II. Kurfürst von Hessen-Kassel
(1777–1847)

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Hessen-Kassel, Wilhelm II. Kurfürst von [ID = 4440]

* 28.7.1777 Hanau, † 20.11.1847 Frankfurt am Main, Begräbnisort: Hanau Marienkirche, evangelisch
Kurfürst
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Andere Namen

Geburtsname:

Hessen-Kassel, Wilhelm Erbprinz von

Weitere Namen:

  • Hessen, Wilhelm II. Kurfürst von
Familie

Vater:

Hessen-Kassel, Wilhelm IX. Landgraf von, * Kassel 3.6.1743, † Kassel 27.2.1821

Mutter:

Dänemark, Wilhelmine Caroline Prinzessin von, * Schloss Christianborg 10.7.1747, † Kassel 14.1.1820

Partner:

Verwandte:

Nachweise

Literatur:

Bildquelle:

Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, Tafel XXVIII. - Gemälde eines unbekannten Malers, um 1813 (Ausschnitt).

Leben

Der künftige Thronerbe Wilhelm wurde als letzter Spross der bereits zerrütteten Ehe des damals noch in Hanau residierenden späteren ersten Kurfürsten Wilhelm von Hessen im Schloss Philippsruhe geboren. Schon vor dem Regierungsantritt des Vaters in Kassel war der betont militärisch erzogene Sohn 1783/84 sowohl dänischer wie hessischer Oberst geworden. Das 1789 in Marburg begonnene, 1792 in Genf und Lausanne fortgesetzte Studium wurde durch die Teilnahme an der „Campagne in Frankreich“ unterbrochen; 1793/94 folgte ein letztes Studienjahr in Leipzig. Die im Januar 1795 vom preußischen König angeregte Verlobung mit dessen erst 14-jähriger Tochter Auguste entsprang rein politischem Kalkül: Preußen suchte die finanzielle Unterstützung des finanzstarken Landgrafen, Hessen angesichts der französischen Bedrohung die engere politische Bindung an Berlin. Nach der im Februar 1797 in Berlin gefeierten Hochzeit zeigte sich bald, dass das junge Paar nicht harmonierte; gleichwohl wurden in den ersten Ehejahren in Hanau fünf Kinder geboren, von denen allerdings zwei früh starben. Dass der Kurprinz, der seit 1804 auch preußischer Generalleutnant war, sich im Herbst des Krisenjahres 1806 in Preußen zum Dienst melden wollte, erschwerte die Neutralitäts-Bemühungen des Vaters. Als dieser im November aus Kassel vertrieben wurde, folgte ihm Wilhelm zunächst nach Schleswig-Holstein, ging dann aber, nachdem der Kurfürst sein Exil 1808 nach Böhmen verlagert hatte, doch zu seiner Familie nach Berlin zurück, was dort alsbald zur Verhärtung der Ehestreitigkeiten führte.

Wilhelm focht in der „Völkerschlacht“ von Leipzig im preußischen Heer, kehrte dann Ende Oktober 1813, noch vor seinem Vater ins durch russische Truppen befreite Kassel zurück und erließ dort einen Aufruf an die Hessen zum Kampf gegen Napoleon. Im Feldzug 1814 kommandierte er die neu aufgestellten hessischen Regimenter in Lothringen und Luxemburg. Im Folgejahr kam es, da der Kurprinz auch seine Mätresse Emilie Ortlöpp aus Berlin mit nach Kassel gebracht hatte, nach neuen Auseinandersetzungen in der Familie zu dem geheimen Trennungsvertrag vom 21. Oktober 1815, der Prinzessin Auguste mit den Folgevereinbarungen von 1821/22 eine standesgemäße Hofhaltung im Schlösschen Schönfeld bei Kassel garantierte. Trotz Interventionsversuchen von preußischer Seite blieben die folgenden Jahre ruhig. Erst nach der Thronbesteigung Wilhelms 1821 eskalierte die Situation erneut, als der nunmehrige Kurfürst Wilhelm II. seine Geliebte, von der er bereits fünf Kinder hatte, zur „Gräfin Reichenbach“ erhob und 1823 den oppositionellen „Schönfelder Kreis“ um Kurfürstin Auguste sprengen ließ, die beteiligten Beamten und Militärs versetzte und den Kurprinzen nach Marburg verbannte. Drohbriefe gegen Wilhelm und seine Mätresse führten unter anderem zur mehrjährigen Inhaftierung des Oberpolizeidirektors Ludwig von Manger (1770–1847), obwohl die Herkunft nie geklärt werden konnte.

Die zehnjährige Regierungszeit Kurfürst Wilhelms II. gehört zu den Stagnationsphasen der kurhessischen Geschichte. Nach dem positiven Auftakt mit dem modellhaften „Organisationsedikt“ vom 29. Juni 1821 zur Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung, zu der die überfällige Trennung von Justiz und Verwaltung gehörte, blieb es unter Vertagung der Verfassungsfrage beim spätabsolutistisch-restaurativen Regime des Vaters. Die Mätressenwirtschaft, die wirtschaftliche Verarmung des Landes und die strenge Zensur förderten das Negativ-Image des Kurfürsten im In- und Ausland. Die Auswirkungen der Juli-Revolution von 1830, die vehement über Kurhessen hereinbrachen, zwangen den Kurfürsten zur Einberufung der Landstände, die mit den Entwürfen von 1816 am 5. Januar 1831 eine ausgesprochen liberale Verfassung beschlossen. Der Kurfürst beurteilte die Situation und seine Reputation in der Öffentlichkeit jedoch völlig falsch und gestattete der verhassten Mätresse die Rückkehr nach Kassel, was neue Unruhen auslöste. Wilhelm verließ Kassel fluchtartig, ging zunächst nach Hanau und übertrug Kurprinz Friedrich Wilhelm im September 1831 für die Dauer seiner Abwesenheit die Mitregentschaft; da er nie wieder nach Kassel zurückkehren sollte, war dies eine faktische Abdankung.

Wilhelm lebte in der Folge mit seiner Gräfin Reichenbach, der er zur Sicherung der ihr vermachten mährischen Besitzungen 1824 den Zusatztitel einer erbländischen Gräfin von Lessonitz beschafft hatte, zunächst in Hanau und später vorwiegend in Frankfurt. Nachdem Kurfürstin Auguste 1841 in Kassel verstorben war, heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin und schloss, als die Gräfin bereits Anfang 1843 ebenfalls starb, noch im gleichen Jahr eine zweite morganatische Ehe mit der erst 23-Jährigen Karoline von Berlepsch (1820–1877), die er zur Baronin und später zur „Gräfin von Bergen“ erhob. Der alte Kurfürst verstarb am Vorabend der erneuten Revolution im November 1847 in Frankfurt, wurde aber, wohl entgegen seinen Wünschen, nicht im kurz zuvor errichteten „Reichenbach-Mausoleum“ auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, sondern neben seiner Mutter Landgräfin Marie in der Gruft der Hanauer Marienkirche beigesetzt.

Andrea Pühringer/Eckhart G. Franz

Zitierweise
„Hessen-Kassel, Wilhelm II. Kurfürst von“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/10430376X> (Stand: 14.1.2024)