Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen

  • Vorschaubild
  • Vorschaubild
  • Vorschaubild

Darbringung im Tempel (Gronau · Pfarrkirche)

Gronau · Pfarrkirche (Lage anzeigen) → Langhausfenster süd III
Basisdaten | Katalog | Indizes | Abbildungen
Basisdaten
ID:

108-1-01-01

Band:

III/1

Katalog Seite(n):

161 f.

Nr.:

o. A.

Titel:

Darbringung im Tempel (Gronau · Pfarrkirche)

Anmerkung:

H. 44,5 cm, B. 47,6–48,3 cm.

Breite:

48.30 cm

Höhe:

44.50 cm

Datierung:

um 1460-1470

Zuordnung:

Gronau · Pfarrkirche » Langhausfenster süd III

Katalog

Inschriften

Im Nimbus Mariens in gotischer Minuskel: • S(ancta) • maria • dei • genitrix. Mit hebräisch anmutenden Inschriften sind der Gürtel des Gewandes des Hohepriesters und die das mosaische Gesetz symbolisierenden Tafeln auf dem Altar versehen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Mischung aus realen und erfundenen hebräischen Buchstaben, die inhaltlich keinen Sinn ergeben<fn>6#Scholz, Bergstraße, 1994, S. 56 (Nr. 75).</fn>.

Erhaltung

Die Scheibe ist anscheinend allseitig beschnitten. Nur so ist zu erklären, dass große Teile der Darstellung – der Fliesenboden unten und der architektonische Abschluss des Altarraums oben – verloren sind bei ansonsten gutem Erhaltungszustand. Im Zuge dieses Eingriffs dürften Fehlstellen mit ausgeschiedenen Stücken geflickt und die ganze Scheibe neu verbleit worden sein. Von diesen Maßnahmen wie von zwei störenden Sprüngen abgesehen, die durch den Körper des Christusknaben und die Altartafeln im Hintergrund verlaufen, befinden sich die noch vorhandenen Teile in vorzüglichem Zustand. Auf einigen kleinen, vor allem hellen Glasstücken sind innenseitig flächendeckende, z.T. abblätternde Rückstände aus Kitt und Leinöl zu beobachten. Außenseitig weisen nur die roten und violetten Gläser mehr oder minder ausgeprägte Korrosionserscheinungen auf. – Eine Schutzverglasung wurde 1995 von der Werkstatt Münch, Groß-Umstadt, angebracht7.

Ikonografie, Komposition

Da eine aus dem Kontext des Lebens Mariä bzw. der Kindheit Christi herausgelöste Darstellung der Darbringung im Tempel nach Lc 2,22–38 nur ausnahmsweise und dann nur in gut zu begründenden Fällen begegnet8, muss die auf ein Feld beschränkte Szene in Gronau Teil eines einst umfangreichen, im Einzelnen jedoch nicht mehr rekonstruierbaren Bildzyklus gewesen sein. Zu ihren Besonderheiten zählt zum einen, dass Maria vor dem Altar mit zum Gebet zusammengelegten Händen kniet, zum anderen, dass Simeon in Gestalt des Hohepriesters das Kind hält9. Darin gemahnt sie nicht nur an Stefan Lochners berühmte, 1447 datierte Tafel in Darmstadt, sondern auch – und mehr noch – an dessen Darbringung im Darmstädter Gebetbuch von 145110. Allerdings weicht die Darstellung in Gronau von den Darstellungen Lochners darin ab, dass die Figuren Mariens und des Hohepriesters auseinandergerückt sind und ihre Köpfe sich zudem auf annähernd gleicher Höhe befinden; sie dürfte folglich auf eine Vorlage zurückgehen, in der Lochners viel zitierte Komposition bereits modifiziert war.

Farbigkeit, Technik

Die Darstellung wird von einem auffallend starken Kontrast dunkler und heller, in ihrem Zusammenspiel aber harmonisch aufeinander abgestimmter Farben geprägt, deren dominierenden Grundton ein wässriges, mit Braunlot abgedunkeltes Violett für den Altar und das Mauerwerk bildet; er wurde ursprünglich begleitet von dem Hell- und Graugrün des schachbrettartig gemusterten Fliesenbodens und – in den Ausblicken aus dem Tempelraum – von dem tiefen Blau des Himmels. Über ihre delikate Farbigkeit hinaus zeichnet die Darstellung sich durch eine routinierte, alle maltechnischen Möglichkeiten nutzende Ausführung aus. Dabei überwiegen Negativtechniken wie Stupfen, Radieren und Wischen; Schwarzlot-Schraffuren zur Unterstützung der Schattenlagen wurden hingegen nur sparsam eingesetzt. – Außenseitig sind die Schattenpartien im Gewand Mariens mit einer bräunlichen, z.T. radierten Halbton-Bemalung hinterlegt; vereinzelt Silbergelb.

Stil, Datierung

Da die vermutete Herkunft der Scheibe aus Gronau sich nicht bestätigen lässt, sind deren Entstehungsort und -zeit nur mit den Mitteln der Stilkritik zu bestimmen. Zwei charakteristische Merkmale sind hierbei hervorzuheben: zum einen die feine, gestupfte, dadurch etwas spröde wirkende, in der Konturzeichnung zugleich auch holzschnittartige Machart, zum anderen der gutmütig-naive Ausdruck in den rundlichen, stets freundlichen Gesichtern. Letzterer findet sich in eng verwandter Zeichnung in einer Gruppe von Fenstern aus der ehem. Karmeliter-Klosterkirche in Boppard wieder, hier namentlich in den Darstellungen aus dem Leben Mariä und Christi im Jesse- und des Dekalogs im Zehn-Gebote-Fenster (Fig. 94)11. Gleichwohl ist jene Fenstergruppe aus Boppard, die um die Mitte der 1440er-Jahre in einer – vermutlich – mittelrheinischen Werkstatt geschaffen worden ist, nicht als alleinige stilistische Voraussetzung für die Gronauer Scheibe anzusehen; vor allem deren maltechnische Ausführung, die alle Möglichkeiten der Stupf-, Radier- und – verhaltener – Zeichentechnik nutzt, um den Figuren wie den Gegenständen eine gewisse Körperlichkeit zu verleihen, ist gegenüber den genannten Fenstern neuartig und weist darin auch über Werke wie die Scheibenreste aus dem um 1435/40 verglasten Westchor der Katharinenkirche in Oppenheim (s. S. 363–374, Fig. 292, Abb. 96, 110), die ihr in dieser Hinsicht näherstehen, weit hinaus. So repräsentiert die Scheibe den Rest einer ansonsten verlorenen Farbverglasung, die in einer am Mittelrhein ansässigen Werkstatt in der weiten Nachfolge der in Oppenheim und Boppard tätigen Glasmaler-Werkstätten entstanden ist. Ihre fortschrittlichere maltechnische Ausführung lässt eine Entstehung im dritten Viertel des 15. Jh. vermuten, was auch in Einklang mit den Beobachtungen zu ihrer Komposition steht.

Bildnachweis:

CVMA GP 13018, Großdia GP 03/28

Indizes
Iconclass:

73B4 = die Darbringung des Christuskindes im Tempel; in der Regel im Beisein Simeons (und Annas) (Lukas 2:22-39)

Sachbegriffe:

Altäre · Fliesen · Hohepriester · Jesuskind · Minuskeln, gotische · Tafeln · Tempel · Inschriften

Personen:

Maria <von Nazareth> · Simeon <der Greis>

Abbildungen

Bildnachweise

  1. Darbringung im Tempel. Gronau, Pfarrkirche, Lhs. s III. Mittelrhein, um 1460/70. – CVMA Band III/1, S. 161 Fig. 93.
    © Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br. (Uwe Gast)
  2. Darbringung im Tempel: ES [= Erhaltungsschema] Lhs. s III – CVMA Band III/1, S. 162 Fig. 95.
    © Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br. (Rainer Wohlrabe)
  3. Darstellung des Ersten Gebots aus dem Zehn-Gebote-Fenster. Ehem. Boppard, Karmeliter-Klosterkirche. Köln, Museum Schnütgen. Mittelrhein, um 1445. – CVMA Band III/1, S. 161 Fig. 94.
    © Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br. (Dietrich Rentsch)
Empfohlene Zitierweise
„Darbringung im Tempel (Gronau · Pfarrkirche)“, in: CVMA Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/cvmahessen/id/108-1-01-01> (aufgerufen am 02.05.2024)