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Grabdenkmäler

Übersichtskarte Hessen

Dr. Johannes Pincier 1592, Eppstein

Eppstein · Gem. Eppstein · Main-Taunus-Kreis | Historisches Ortslexikon
Standort | Merkmale | Beschreibung | Inschrift | Nachweise | Zitierweise
Standort

Standort:

Eppstein

Gebäude / Areal:

Eppstein, Evangelische Pfarrkirche

Angaben zum Standort:

Der Standort des Grabdenkmals innerhalb der Talkirche ist ebenso unbekannt wie der Zeitpunkt des Verlustes, wenngleich Teile der Grabinschrift noch im 19. Jahrhundert überliefert wurden.

Merkmale

Datierung:

vor 1592

Typ:

Epitaph

Erhaltung:

verloren

Beschreibung

Beschreibung:

Chytraeus’ Mitteilung von 1604 zufolge hatte Pincier sein Epitaph zu Lebzeiten selbst konzipiert und mit eigener Hand vorgezeichnet („monumentum quod ipsemet excogitavit manuque sua delineavit“).1) Die nachfolgende Rekonstruktion des Denkmals folgt der Beschreibung von Chytraeus und leitet daraus eine Hypothese zum Typus ab. Das Epitaph bestand offenbar aus mehreren Teilen und dürfte wie eine mehrzonige Ädikula ausgesehen haben. Unter einem Gemälde, das im Folgenden noch zu beschreiben ist, befand sich ein zweiteiliges Epitaph („huic picturae subjectum est epitaphium“), das höchstwahrscheinlich auch nur gemalt war;2) dessen Rahmung interessierte den Beschreibenden nicht, weil auf deren Teilen keine weiteren Informationen standen. Chytraeus beginnt seine Beschreibung („initio“) mit dem an zentraler Stelle aufgebrachten Wappen („insignia“) des Verstorbenen, dem die Devise (A) beigefügt war. Offenbar beschreibt er aber das Objekt nicht konsequent von oben nach unten. Nach der oben angedachten Hypothese müsste der folgende Bildteil die zweite Zone der angenommenen Ädikula gewesen sein, und zwar wahrscheinlich eine zweite kleinere Ädikula.

Der Schöpfer der zentralen Darstellung spielt mit dem Gegensatz Wahrheit versus (An)Schein/Vorurteil in Begriffen und kurzen Redewendungen, die durch Darstellungen und längere Texte verinnerlicht werden und über das ganze Bild hinweg thematisch je einer Seite zugeordnet sind. Neben dem Wappen war zu beiden Seiten je eine beschriftete Säule zu sehen. Chytraeus präsentiert die rechte Säule („dextra“) typographisch links und folgt diesem Schema für alle Teile der Beschreibung. Offenbar bietet er dem Leser das Arrangement durch das Druckbild, so dass seine rechte Säule für den Betrachter links steht, also zur Rechten des imaginären Zentrums; im Folgenden werden daher alle Richtungsangaben auf den Blickwinkel des Betrachters umgestellt. Auf dem Kapitell der linken Säule stand das Terenz-Zitat (B1), darunter auf dem Säulenschaft die Texte (C1–G1), auf der Säulenbasis die Inschrift (H1) und am Schluss der in griechischen Buchstaben geschriebene Begriff (I1), die inhaltliche Füllung des eingehenden Zitats mit positiven Eigenschaften. An der rechten Säule, also zur linken Hand des imaginären Zentrums, standen die negativen Pendants, beginnend mit einer spätmittelalterlichen Spruchweisheit (B2), gefolgt von negativen Eigenschaften (C2–G2), einer grundsätzlichen Erwiderung zum Gegenpart (H2) und dem griechischen Gegenbegriff (I2). Zwischen den Säulen unterhalb des Wappens befand sich die griechisch abgefasste Antithese (K). Die zentrale Aussage des Epitaphgemäldes gilt der über das Vorurteil triumphierenden Wahrheit, die in weiteren Texten und allegorischen Bildern übermittelt wird: Im Bogen über dem Wappen, zwischen den Säulen, befand sich die Synthese (L). Auf diesem Bogen lagen Globen, links des Himmels, rechts der Erde, bei denen die Figuren der nackten Wahrheit und des von irdischem Glanz umgebenen Vorurteils standen. Die Wahrheit richtete an das Vorurteil die triumphierenden Worte (M). Darüber waren Wolken gemalt, auf denen die Allegorie der Wahrheit im Triumphwagen dahinfuhr und hinter sich die Figuren des Vorurteils, der Anmaßung und der Unwissenheit herzog. Resignierend antwortete die Allegorie des Vorurteils der Wahrheit, ihre Niederlage eingestehend (N). Chytraeus zufolge befanden sich unter den Allegorien und dem Wappen die Stifterinschrift für Johannes Pincier (O) und sein Grabgedicht (P).


  1. Chytraeus (1606) 651 Vorbemerkung.
  2. Ein jüngeres gemaltes Epitaph, allerdings in plastischer Rahmung, der Familie Homberg zu Vach steht in der Kirche zu Kleinvach (Bad Sooden-Allendorf), vgl. DI 87 (Werra-Meißner-Kreis I, Altkreis Witzenhausen) Nr. 242. Ausführliche Biographie und Setzung stimmen überein, in Kleinvach nichts (mehr?) zu Allegorien.

Geschlecht, Alter, Familienstand:

männliche Person(en)

Enthaltene Wappen:

Pincier7)


  1. Ein Storch mit einer Schlange im Schnabel, so nach der Beschreibung bei Chytraeus (1604) 651: „ciconia scilicet rostro serpentem tenens“; dieses Wappenbild auch auf dem Epitaph des Dr. Ludwig Pincier († 1612) im Lübecker Dom, vgl. Ketelsen-Volkhardt, Epitaphien Abb. 124; weitere Belege zu den Pincier und ihren Wappen zu Lübeck bei Henseling, Pintzier 178. Das alte Wappen der Pincier in Wetter zeigte unter dem Storch eine Hausmarke aus Dreieck, Stab und Wolfsangel, vgl. ebd. 177. Auf dem Epitaph des Johannes Pincier aus Rauschenberg († 1593) in Heidelberg, vgl. DI 12 (Heidelberg) Nr. 453 war lange noch der Storch mit der Schlange erkennbar. Etliche Vertreter der Familie aus Wetter bzw. dem benachbarten Rauschenberg, darunter 1597 auch ein Johannes „Epstein.“, vermutlich ein Nachkomme, waren in Heidelberg immatrikuliert, vgl. Toepke, Matrikel III 370 u. II 188 Nr. 44.

Dargestellte Personen:

In der ersten Ausgabe seines Werkes „Variorum in Europa itinerum Deliciae (...)“ von 1594 hatte Chytraeus lediglich Pinciers Lebenslauf (P) überliefert und im Vorspann die Stiftung der Gemahlin Katharina Breidenstein (O) paraphrasiert,8) was von den nachfolgenden Überlieferungen des Pincier-Grabmals übernommen wurde. Hingegen unterblieb die Übernahme der oben wiedergegebenen ausführlichen Beschreibung des Denkmals, die nur 1606 in der 3. Ausgabe der „Deliciae“ von Chytraeus offenbar aufgrund weiterführender, aber nicht genannter Informationen veröffentlicht worden war. Pinciers (nachgetragener) Sterbetag 9. Oktober wird durch die entsprechende Notiz im Totenverzeichnis des Eppsteiner Ev. Kirchenbuches mit „Johann Pintzier hessischer Amptman 9. Oct.“ bestätigt.9) Mit der Teiledition beim „Anonymus“ setzte die abweichende Feststellung des Sterbetages am 19. Oktober ein, die von Dieffenbach, v. Stramberg und Renkhoff kritiklos übernommen wurde; dabei handelt es sich wohl aber nur um den nach dem neuen Kalenderstil gerechneten Todestag, der über den halben kurmainzischen Anteil an Eppstein überliefert worden sein kann.

Das Thema des allegorischen Gemäldes und der Spruch- und Begriffsinschriften ist der Kampf der Wahrheit mit der Untugend des Vorurteils und des Betruges, was einen biographischen Hintergrund in Pinciers Lebenslauf vermuten lässt. Pincier machte Anleihen bei einigen zeitgenössischen literarischen Vorlagen; so zitierte er mit mundus vult decipi (B2) vermutlich aus Jakob Lochers lateinischer Nachdichtung „Stultifera Navis“ des deutschen „Narrenschiffs“ von Sebastian Brant aus dem Jahr 1494. Bei Brant kommt auch der Begriff ratiocinatio (F), d. h. geistige Arbeit, zum Tragen.10) Das sich über mehrere Ebenen ausdrückende Hauptthema findet seine prononcierte Formulierung in den Schlüsselwörtern ΑΛΗΘΕΙΑ und ΔΟΞΑ (I1–2) und ihrer pessimistischen Schau (K1–2), bevor im Himmel die Wahrheit triumphieren kann (L–M).

Hier ist eine komplizierte Rezeption anzuzeigen, ausgehend von einer zunächst noch niemandem zugeschriebenen Stelle in Platons Staat ‘τὸ δοκεῖν’, ὡς δηλοῦσί μοι οἱ σοφοί, ‘καὶ τὰν ἀλάθειαν βιᾶται’ (Platon, Politeia II 365c), deren Urtext in den Scholien des Euripides zu Orest (235) dem Simonides (von Keos) zu gewiesen wurde, in der neuesten Edition als „τὸ δοκεῖν καὶ τὰν ἀλάθειαν βιᾶται“.11) Zu dieser Passage lieferte Dionysius Lambinus (Denis Lambin, ca. 1520–1572) in seiner 1561 erschienenen Horaz-Ausgabe II 269 D mit “quandoquidem existimatio et opinio vim affert veritati“ eine annähernde Übersetzung;12) man vergleiche den Kommentar zu Ad Quinctium 16, 45 (d. i. Lambins Horazausgabe II, S. 370), wonach es sich bei Lambins Vorlage um ein leicht verändertes Zitat aus Platons Staat handelt, dem die Aussage des Simonides zugrundeliegen mochte. Die Vorlage für die Inschrift wird aber der zur Inschrift (K) identische (!) und angeblich auf Simonides beruhende Wortlaut im Widmungsbrief Melanchthons an Erzbischof Sigismund von Magdeburg ([Ende] April 1558) gewesen sein,13) in dem er seine Neubearbeitung der CarionChronik und protestantische Sichtweisen von Geschichtswissen darbietet – die Wahrheit im Sinne verlässlicher Kenntnis der Vergangenheit ist dem Autor Grundlage auch theologischer Erkenntnisse und somit hochwichtig. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass der Brief selbst die Vorlage bildete, der Textausschnitt wird aber von Melanchthons 1558 fertiggestellter und verbreiteter Bearbeitung der Chronik Johannes’ Carions, und zwar aus der Vorrede, in der Carion verschwiegen wird, übernommen oder daraus auf Umwegen Pincier bekannt geworden sein. In dem Textgefüge um ΑΛΗΘΕΙΑ und ΔΟΞΑ zeigt sich die ganz enge Verbindung der Inschriften (I, K) und (L mit M, N) und das Gewicht dieser Thematik für Pincier, möglicherweise mit Bezug auf in der Biographie (P) unterschlagene Erfahrungen, denn die letzte Position seiner Karriere in Eppstein muss nicht als Aufstieg verstanden werden.

Die Allegorie der taucht als Topos in den „Carmina“ des Horaz auf;14) als allegorische Gestalt ist sie als neue philosophische Figur der Ästhetik auf zeitgenössischen Gemälden – beispielsweise Sandro Botticellis „Verleumdung des Apelles“ oder Hans Baldung Griens „Tod als Würger von Schönheit und Jugend“ – abgebildet worden, die Pincier durchaus auf seinen Auslandsreisen kennengelernt haben kann.

Johannes Pincier wurde um 1538 in Wetter bei Marburg geboren; strukturell gleicht das Incipit dem des Vergilschen Grabepigramms (Mantua me genuit …), das nicht selten gesucht wurde. Johannes’ Vater war der Bürgermeister Christian Pincier, seine Mutter Mechtilde Becker, verwitwete Vultejus.15) Johannes studierte Jura in Marburg und Straßburg und unternahm, wie in seiner versifizierten Selbstbiographie (P) betont, zahlreiche Bildungsreisen durch europäische Länder. Die 1562 einsetzenden Hugenottenkriege erlebte er während seines 2. Frankreichaufenthaltes, später den spanisch-niederländischen Krieg ab 1568. 1570 wurde er nach Marburg als Rat des Landgrafen Ludwig IV. von Hessen-Marburg († 1604) berufen; die Formulierung tibi fidus Achates (= Gefährte des Aeneas) bezieht sich auf Pinciers treue Beraterdienste. Fünf Jahre später wirkte er als Amtmann und Rat in Eppstein; von seiner Hand stammt noch das wenige Monate vor seinem Tod entstandene eppsteinische Salbuch von 1592.16) Von seinen vier ihn überlebenden Kindern17) erscheint keines als Mitstifter des Epitaphs.


  1. Es heißt dort: „EPSTEINII IOHANNI PINCIERO I. V. D. ILLVSTRISSIMI HASSIAE PRINCIPIS DOMINI LVDOVICI, etcetera CONSIliario, Epsteinensi Praefecto, marito dilectissimo, vxor CATHARINA BREIDENSTEINIA amoris conubialis atque; fidei memor epitaphium hoc Epsteinii, ubi maritus vita pariter atque; officio defunctus est, et sepultus posuit, defunctique; personam sic loquentem introducit.“
  2. Vgl. Ev. KiBu Eppstein fol. 168r.
  3. Vgl. Gaier, Studien 45, 49.
  4. Vgl. Poltera, Simonides lyricus, F 308.
  5. Vgl. Immanuel Bekker, Platonis et quae vel Platonis esse feruntur vel Platonica solent comitari scripta Graeca omnia ad codices manuscriptos recensuit variasque inde lectiones diligenter enotavit Immanuel Bekker, annotationibus … 11. Platonis dialogi latine. London 1826, 350. Der Kommentar Lambins und vieler anderer zu Platon bzw. Simonides zeigt auch die Gleichbedeutung von δóξα und opinio im vorliegenden Fall. Hier ist nicht der Raum, um zu verschiedenen und sich verändernden Verständnisebenen von δóξα und ἀλήθεια, vgl. etwa Detienne, Masters of Truth 114f., Stellung zu beziehen.
  6. Corpus Reformatorum IX, Sp. 531–538, Nr. 6513 [14,4].
  7. Vgl. Avenarius-Herborn, Nuda veritas, passim.
  8. Vgl. Renkhoff, Nass. Biographie II, Sp. 612, Nr. 3356; „Vultejus, Justus“, in: Hessische Biografie (Stand: 12.2.2014); Henseling, Pintzier 179–183.
  9. Picard, Eppstein im Taunus 95.
  10. Zu den Kindern vgl. Henseling, Pintzier 183.
Inschrift

Umschrift:

A Veneno pinguesco

B1–2 Veritas odium parit3) Mundus vult decipi4)#Lat. Übersetzung des dt. Spruchs aus Sebastian Brants „Narrenschiff“, vgl. Jakob Locher, Stultifera navis bei Hartl, Stultifera navis.

C1–2 Constantia Pertinacia

D1–2 Electio Assensus

E1–2 Iudicium verum Falsa persuasio

F1–2 Ratiocinatio Appetitus

G1–2 Mens Phantasia

H1–2 Veritatis basis Scientia Opinionis basis Ignorantia

I1–2 ΑΛΗΘΕΙΑ ΔΟΞΑ

K ΔΟΞΑ ΒΙΑΖΕΤΑΙ ΤΗΝ ΑΛΗΘΕΙΑΝ5)

L Impostrix vario dominatur opinio mundo

Vimque facit vero, verum tamen usque triumphat.

M Tu speciosa quidem mundi vaga sceptra capessis,

Ast ego nuda polos te pereunte rego.

N Illa ego quae quondam dominabar opinio mundo

Victa triumphanti subjuga facta trahor.

O JOHANNI PINCIERO J(VRIS) V(TRIVSQVE) DOC/TORI · ILLVSTRIS-

SIMI HASSIAE PRINCIPIS domini Ludovici etcetera consiliario, Epsteinensi

praefecto, marito carissimo epitaphium hoc observantiae / connubialis ergo

Catharina Breidensteinia / vidua moestissima poni curavit.

P WETTERA me primum vitalibus intulit auris.

Tradidit Argentina bonas mihi nobilis artes.

Juris doctorem fecit me Gallia. Tellus

Itala me vidit peregrinum; vidit Ibera:

Vidit et Oceani dominatrix Anglia. Et inde

Gallia me reducem civilibus implicita armis

Ad Martem à Musis civilia traxit ad arma.

Cumque etiam Belgas tristis vexaret Enyo,

Semper eram, Ludovice Comes, tibi fidus Achates.

Hassiaci accitus posthaec ad Principis aulam,

Marpurgi quinos moror annos. Arcis Eponis

Hinc praefecturam clementi a Principe nactus

Sedulus officium facio tria lustra duasque

Messes; articulis aeger, sed pectore sanus.

Omnibus his functum cum me jam gratia CHRISTI

Exorata piis precibus dissolveret, aedem

Corpus in hanc tetulerea) meum, telluris et antro

Clausere obscuro penitus: sed spiritus alti

Cum Christo victurus adit fastigia coeli

Pectora sana meis obtrectatoribus optans.

< Vixit annos 54b), obiit 9c). Octobr(is) / anno 1592d) >.


  1. Sic! detulere Anonymus.
  2. quinquaginta quatuor Anonymus.
  3. decimo nono Anonymus, Dieffenbach, v. Stramberg.
  4. In der Ausgabe von 1594 fehlt noch der Sterbetag; Chytraeus schrieb an dieser Stelle nur Obiit Epsteinii anno 1592.
  1. Ter. Andr. 68.
  2. Belege und Diskussion unten ab Anm. 11.

Übersetzung:

(A) Durch das Gift werde ich stärker. – (B1–2) Die Wahrheit bringt Hass hervor // Die Welt will betrogen sein. – (C1–2) Standhaftigkeit // Rechthaberei. – (D1–2) Auswahl // Beifall. – (E1–2) Wahres Urteil // Falsche Überzeugung. – (F1–2) Vernünftige Überlegung // Begehren. – (G1–2) Geist // Phantasterei. – (H1–2) Das Fundament der Wahrheit ist die Wissenschaft // Das Fundament des Vorurteils ist die Unkenntnis. – (I1–2) Wahrheit // Schein / Vorgefasste Meinung. – (K) Der Schein / die vorgefasste Meinung // das Vorurteil „zwingt selbst die Wahrheit nieder“ (Poltera, Anm. 11). – (L) Das trügerische Vorurteil (Anschein) herrscht auf vielfältige Weise in der Welt und tut der Wahrheit Gewalt an. Am Ende aber triumphiert dennoch die Wahrheit. – (M) Du Wankelmütige und Gutaussehende hast zwar das Zepter der Welt ergriffen. Ich aber regiere in meiner Nacktheit die (Himmel-)Pole, wenn du untergehst. – (N) Ich, das Vorurteil, das einst die Welt beherrschte, bin jetzt besiegt und werde von der Triumphierenden als Unterjochte mitgeschleift. – (O) Dem Johannes Pincier, Doktor beider Rechte, des durchlauchtigsten Fürsten von Hessen, Herrn Ludwigs etc. Rat und Amtmann zu Eppstein und hochberühmten Gatten, hat die Witwe Katharina Breidenstein in tiefer Trauer dieses Epitaph aus ehelicher Verbundenheit setzen lassen. – (P) Wetter hat mich zuerst mit lebensspendenden Lüften umhegt, das edle Straßburg lehrte mich nützliche Wissenschaften. Gallien (= Frankreich) machte mich zum Doktor des Rechts, Italien sah mich auf Wanderschaft, ebenso Spanien, ebenso auch England, die Herrscherin des Meeres. Und danach sah Frankreich, in einen Bürgerkrieg verstrickt, mich wiederkehren und rief mich von den Musen zu Mars, zu den Waffen des Bürgerkriegs. Und auch als der grimmige Ennio die Belgier heimsuchte, war ich Dir, Graf Ludwig, stets ein treuer Achates. Danach wurde ich an den Hof des hessischen Fürsten berufen; in Marburg verweilte ich fünf Jahre; dann machte mich der gütige Fürst in Eppstein zum Amtmann. Mit Fleiß übte ich das Amt 15 Jahre und zwei Monate aus, in den Gelenken krank, aber in der Brust gesund. Als ich dies alles erledigt hatte, erlöste mich die Gnade Christi, die ich bereits in frommen Gebeten angefleht hatte. Meinen Körper hat man in diesem Bauwerk beigesetzt und in einer vollkommen dunklen Erdhöhle eingeschlossen. Der Geist aber, der mit Christus siegen wird, erklimmt die Gipfel des hohen Himmels und wünscht meinen Widersachern ein gesundes Herz. Er lebte 54 Jahre, er starb am 9. Oktober im Jahre 1592.6)


  1. Übersetzung Michael Oberweis, Mainz.

Kommentar:

Nach Chytraeus (1606) (A–P).

Zwei Hexameter (L); 20 Hexameter (P); zwei elegische Distichen (M, N).

Schrift:

Kapitalis und ggf. Humanistische Minuskel (?), Griechische Kapitalis (I, K).

Nachweise

Literatur:

Wappen:

Pincier

Bearbeitung:

Die Inschriften des Hochtaunus- und des Main-Taunus-Kreises. Gesammelt und bearbeitet von Yvonne Monsees und Rüdiger Fuchs (Die Deutschen Inschriften 97). 2019, Nr. 143.

Zitierweise
„Dr. Johannes Pincier 1592, Eppstein“, in: Grabdenkmäler <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/gdm/id/2467> (Stand: 20.3.2023)