Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Jüdische Grabstätten

Strauss, Abraham (1918); Strauss, Ernestine, geborene Neu (1921) – Marburg, Alter Jüdischer Friedhof

Grab Nr. 06-33, Marburg, Alter Jüdischer Friedhof, Gemarkung Marburg
Äußere Merkmale | Inschrift | Verstorbene(r) | Indizes | Nachweise | Zitierweise
Äußere Merkmale

Material:

Granit

Platzierung:

stehend

Beschreibung:

Doppelgrabstein. Darstellung: zwei Levitenkannen und ein kleines Gefäß.

Inschrift

Sprache der Rückseite:

deutsch, hebräisch

Übertragung:

Text Vorderseite

 

Rückseite


פ״נ

החבר רבי אליהו אברהם בר החבר

רבי ברוך הלוי ממשפחת שטרויס

עלה למרום אור ליום ה׳ ר״ח ניסן תרע״ח

כל ימי מגוריו האיר את פניו במאור

התורה והחכמה וילמד את בני עדתו

בנעם אמרותיו לעבוד עבדת הקדש

בטהרה אשתו ובניו יקוננו בלב מר המות

בגד בנו להפרידנו ואהבת עולם תחברנו

גם יחד










ופ״נ

האשה מרת אסתר בת ר׳ אשר אשת

החבר ר׳ אליהו אברהם שטרויס נאספה

אל עמיה ביום ו׳ תמוז תרפ״א

דרך אמונה בחרה מנעוריה ולא סרה

ממנו עד אחריתה בחכמת לבה היתה

עזר לבעלה בלכתם שניהם גם יחד

ולמדה להועיל את בניה והם באהבת

עולם יזכרוה

תנצב״ה

(Übersetzung der oberen hebräischen Inschrift:)

Hier ist begraben

der toragelehrte Herr Elijahu Awraham, Sohn des toragelehrten

Herrn Baruch Halevi aus der Familie Strauss,

›er stieg hinauf zur Höhe‹ zu Beginn des Tages 5, Neumond Nissan 678.

All seine Lebtage ›erleuchtete sein Antlitz‹ im Lichte

der Weisung und der Weisheit und er lehrte die Kinder seiner Gemeinschaft

mit seinen ›wohlgefälligen Reden‹ zu dienen den heiligen Dienst

in Reinheit, seine Gattin und seine Kinder wehklagen mit bitterem Herzen: Der Tod

hat uns verraten, indem er uns trennte, und ›ewige Liebe‹ wird uns miteinander

verbinden.


(Deutsche Inschrift:)

Lehrer Abraham Strauss

21.9.1865 - 13.3.1918.


Ernestine Strauss geb. Neu

30.5.1864 - 12.7.1921.


(Übersetzung der unteren hebräischen Inschrift:)

Und hier ist begraben

die Frau, Frau Ester, Tochter des Herrn Ascher, Gattin

des toragelehrten Herrn Elijahu Awraham Strauss, ›sie wurde versammelt

zu ihrem Volke‹ am 6. Tammus 681.

Sie wählte den verlässlichen Weg von ihrer Jugend an und wich nicht

von ihm ab bis an ihr Ende, mit der Weisheit ihres Herzens war sie

Beistand ihrem Gatten auf ihrem gemeinsamen Weg

und lehrte Nützliches ihre Kinder, und sie werden in ›ewiger

Liebe‹ ihrer gedenken.

Ihre Seelen seien eingebunden in das Bündel des Lebens.


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Zl 4: Ps 68,19

Zl 5: Koh 8,1

Zl 7: Vgl. Spr 15,26

Zl 9: Jer 31,2

Zl 17f: Gen 25,8 u.ö.

Zl 22f: Jer 31,2

Bemerkungen:

Zl 14: Hier wurde als Sterbejahr zunächst irrtümlich „1821“ statt „1921“ eingraviert, dann aber korrigiert.

Verstorbene(r)

Personendetails:

  1. Strauss, Abraham

    Geburtstag

    21.9.1865

    Sterbetag

    13.3.1918

    Geschlecht

    männlich

    Familienstand

    verheiratet

    Herkunftsort

    Altenhaßlau

    Wohnort

    Marburg

    Sterbeort

    Marburg

    Beruf

    Lehrer

  2. Strauss, Ernestine, geborene Neu

    Geburtstag

    30.5.1864

    Sterbetag

    12.7.1921

    Geschlecht

    weiblich

    Familienstand

    verwitwet

    Wohnort

    Marburg

    Sterbeort

    Marburg

Anmerkungen:

Laut Grabstein:

1) Abraham Strauss (Herr Elijahu Awraham, Sohn des toragelehrten Herrn Baruch ha-Levi aus der Familie Strauss), Lehrer, geboren am 21.09.1865, gestorben am 13.03.1918.

2) Ernestine Strauss geb. Neu (Ester, Tochter des Herrn Ascher, Ehefrau des toragelehrten Herrn Elijahu Awraham), geboren am 30.05.1864, gestorben am 12.07.1921.

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Ergänzungen aus Schriftquellen und Literatur:

zu 1)

Abraham Strauss, Lehrer, wohnhaft in Marburg;

geboren errechnet 1855/56 in Altenhaßlau, Kreis Gelnhausen;

Eltern: Baruch Strauss, Lehrer, zuletzt wohnhaft in Hanau, und Esther geb. Strauss, zuletzt wohnhaft in Kitzingen;

heiratete Ernestine geb. Neu (siehe unten);

gestorben am 13.03.1918 in Marburg.


zu 2)

Ernestine Strauss geb. Neu;

eventuell eine Schwester des in Hanau beerdigten Lehrers Abraham Neu [Hanau, Stein Nr. 12/32/3], der ein Sohn des Anselm (Ascher) Neu und der Sophie geb. Grimm in Hobbach (Unterfranken) war.

heiratete Abraham Strauss (siehe oben);

nicht in Marburg verstorben (kein Eintrag im standesamtlichen Sterberegister).


Abraham Strauss war fast dreißig Jahre lang Lehrer in Marburg. Zu seinem Tode erschien am 7. Juni 1918 der sehr lange Artikel "Ein jüdischer Lehrer" von Jonas Plaut in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums". Darin heißt es unter anderem:

Wem er den Keim seiner sittlichen Weltanschauung ins Herz gepflanzt hatte, mochte hier und da wohl noch straucheln, aber er konnte nicht mehr fallen und untergehen. Das war die unmittelbare Wirkung einer Persönlichkeit, deren Macht und Zauber jedem offenbar wurde, der in ihren Schatten trat. Er war die geborene Autorität - die Autorität des großen Menschen. Seine Herrschaft war die Herrschaft des Geistes, dem Seeluftzug vergleichbar, scharf anfassend, aber kräftigend und fördernd. Von Mitarbeitern und Schülern verlangte er viel. Er selbst jedoch tat immer mehr, als er von anderen forderte. - So wurden Generationen seine wahren Schüler. [...]

Als Strauß nach Marburg kam, bot die jüdische Gemeinde, durch Zuzug aus den angrenzenden Dörfern und Städtchen vergrößert, ein wenig einheitliches Bild. Wenn heute diese Gegensätze vielfach ausgeglichen sind, so bleibt das, neben der anregenden Luft der alten Universitätsstadt, das unbestrittene Verdienst von Strauß. Im Laufe der Jahre hatte sich ein einzigartiges Verhältnis zwischen Lehrer und Gemeinde herausgebildet. Es gab keine wichtige Frage, die ohne seinen bestimmenden Einfluss entschieden worden wäre. Vor ihm hatte niemand so leicht ein Geheimnis. In allen möglichen Lagen fand man den Weg zu ihm. Mit unbegrenztem Vertrauen wurde ihm begegnet; ein kostbares Gut, das er durch angestrengte Arbeit, Hingebung und Selbstlosigkeit hundertfach verdient hatte. Nie konnte jemand mit mehr Recht das lebenspendende Zentrum seiner Gemeinschaft genannt werden als die in Strauß verkörperte, schier unerschöpfliche Kraftquelle. Er war ihr Herz und Kopf zugleich. [...]

Ein stark betontes Standesbewusstsein blieb stets in ihm lebendig, und bei Abweisung ungerechtfertigter Angriffe kannte und übte er keinerlei Rücksicht. In solchen Stunden konnte man in dem grundgütigen Menschen eine scharfe Kampfnatur erkennen. [...] Sein Haus war mehr als der Mittelpunkt seiner Gemeinde, es war eins der geistigen Zentren der altberühmten Universitätsstadt. Was Wunder auch, dass dieser seltene Mann einen erlesenen Kreis von Freunden sich erwarb, wohin er auch immer kam. Gelehrte, Künstler, Schriftsteller, Journalisten von europäischem Ruf zählten dazu. Jahrelang hatte er in gründlichster Weise, hauptsächtlich auf theologisch-philosophischem Gebiet, akademische Studien getrieben. Sein jüdisches Wissen war erstaunlich. Mit der alttestamentlichen Forschung war er aufs Genaueste vertraut, Syrisch und Arabisch war ihm geläufig. Bei den führenden christlichen Theologen Marburgs stand er in höchster Achtung. [...]

Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus entsprang mit seiner kräftigen Initiative. Der Politik widmete er sich im Übrigen Zeit seines Lebens mit Leidenschaft. Führte ihn dabei auch seine Überzeugung weit nach links, so hat ein angeborener Takt ihn doch stets vor jedem Anstoß bewahrt. [...]


(Rumpf-Lehmann, Barbara: Der Alte Jüdische Friedhof zu Marburg, S. 171; Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 915, Nr. 5710, Eintrag Nr. 133; Jonas Plaut: "Ein jüdischer Lehrer", in: Allgemeine Zeitung des Judenthums, Heft 23 (7.6.1918), S. 269f., zuletzt abgerufen am 16.06.2022)

Indizes

Personen:

Neu, Ernestine, verheiratete Strauss · Strauss, Baruch · Strauss, Esther, geborene Strauss · Strauss, Esther, verheiratete Strauss · Ester, Tochter des Ascher · Ascher, Vater der Ester · Esther, Tochter des Ascher · Ascher, Vater der Esther · Elijahu Awraham, Sohn des Baruch ha-Levi · Baruch ha-Levi, Vater des Elijahu Awraham · Elijahu Abraham, Sohn des Baruch ha-Levi · Baruch ha-Levi, Vater des Elijahu Abraham · Neu, Abraham · Neu, Anselm · Neu, Sophie, geborene Grimm · Grimm, Sophie, verheiratete Neu

Orte:

Altenhaßlau · Hanau · Hobbach · Kitzingen · Marburg

Sachbegriffe:

Leviten · Lehrer · Levitenkannen · Kannen · Doppelgrabsteine · Herren

Nachweise

Bearbeitung:

Dr. Barbara Rumpf-Lehmann 2015, Nathanja Hüttenmeister 2021, Andreas Schmidt (Wettenberg) 2022

Zitierweise
„Strauss, Abraham (1918); Strauss, Ernestine, geborene Neu (1921) – Marburg, Alter Jüdischer Friedhof“, in: Jüdische Grabstätten <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/juf/id/18059> (Stand: 19.6.2022)