Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Grabdenkmäler

Übersichtskarte Hessen
  • Vorschaubild

Catharina Magdalena Wagner 1731, Walburg

Walburg · Gem. Hessisch Lichtenau · Werra-Meißner-Kreis | Historisches Ortslexikon
Standort | Merkmale | Beschreibung | Inschrift | Nachweise | Zitierweise
Standort

Standort:

Walburg

Gebäude / Areal:

Hessisch Lichtenau-Walburg, Kirchhof

Angaben zum Standort:

Aufgestellt im Kirchhof westlich der Kirche in einem Pavillon zusammen mit acht weiteren Grabmalen; es ist – von der Kirche aus gesehen – der dritte Stein von links in der hintersten Reihe.

Merkmale

Datierung:

1731

Typ:

Grabstein

Erhaltung:

erhalten

Größe:

90 x 159 cm (B x H)

Größe der Buchstaben:

(A) 2,3, (B-E, G) 2,5, (F) 2, (H) 3 cm

Beschreibung

Beschreibung:

Grabstein der Catharina Magdalena Wagner. Hochrechteckiger Stein mit Seitenhang und Aufsatz, zweigeteilt, oberer Teil fehlend. Auf der heute unzugänglichen Vorderseite im unteren Teil des Aufsatzes Wappen, begleitet von Initialen (A). Mittelteil mit Inschrift B und C, C in gestaffelten Zeilen, von Halbsäulen gerahmt, über den Kapitellen statt Engelköpfen zwei Büsten von Pfarrern.1) Im Sockelfeld Knochen und Totenschädel, seitlich Postamente, volutenartig geschwungen mit mittig gesetztem Perlstrang.

Auf der Rückseite im Aufsatz ein gekrönter, geflügelter Engelskopf, darunter eine blühende Märzenbecherstaude. Im Mittelfeld ist oben der Tod (Skelett) mit Sense und Stundenglas dargestellt; links daneben Inschrift D, rechts Inschrift E, jeweils zu den benachbarten Utensilien des Todes gehörend. Im unteren Abschnitt des Hauptfeldes drei Inschriften F-H ohne architektonische Trennung, alle gestaffelten Zeilen. Die Zeilen nach dem Leichtext F – zwei in Kapitalis, die letzen vier in Fraktur – sind trotz Verwitterung im Ganzen noch lesbar. Alle Inschriften erhaben, als seltene Trenner Quadrangel.


  1. So die Deutung von Cornelius, s. Chronik Walburg 165.

Geschlecht, Alter, Familienstand:

weibliche Person(en)

Enthaltene Wappen:

Wagner8)


  1. Wappen Wagner (Pferd und achtspeichiges Rad; in der Helmzier steigender Löwe).

Dargestellte Personen:

Magdalena Catharina Wagner geb. Koch war die dritte Tochter des Pfarrerehepaares Johann Heinrich und Magdalena Koch.14) Zu Johann Franz Wagner s. Kat.-Nr. 303.


  1. s. Chronik Walburg 156.

Sonstiges:

Am Text fallen die zahlreichen Zitate der unterschiedlichsten Herkunft auf. Ovid und Hieronymus waren Bildungsgut. PARCO NULLI ist die Devise des Todes. Er ist auch der grausige Feind, dem niemand widerstehen kann. Die Kombination RUIT HORA – ADEST AETERNITAS geht wohl auf den Theologen Conrad Mel (1666–1733), einen nur wenig älteren Zeitgenossen, zurück. Denn ein Kupferstich mit dessen Bildnis zeigt in den Zwickeln eine Sanduhr und einen Kreis(?) mit den Beischriften ruit hora und adest aeternitas.9) Dabei greift RUIT HORA die Devise des Hugo Grotius (†1686) auf, die dieser selbst erdacht haben soll, und ADEST AETERNITAS knüpft an Thomas von Aquin an.10)

Bemerkenswert ist der Ausspruch der Olympia Morata, die fast 200 Jahre früher lebte. Man fragt sich, woraus der Verfasser (wohl der Ehemann Johann Franz Wagner) das Zitat geschöpft hat. Denn dass es ein solches ist, braucht m. E. nicht in Zweifel gezogen zu werden:

Nur der Umstand, dass zwei Zitate aneinandergereiht werden, macht den auffälligen Wechsel in der Grammatik verständlich (von der 3. Person Singular bei Ovid zur 1. Person Singular bei Olympia Morata). Die folgende Antwort liegt nahe: Wagner kannte die Viten des Melchior Adam, und da auch Pfarrer Johann Heinrich Koch aus diesen Viten zitiert,11) werden sie wohl Pflichtlektüre bei der Ausbildung zum Pfarrer gewesen sein.

Bei den Reimversen in H sind Einflüsse aus dem Kirchenlied feststellbar. Ludmilla Elisabeth von Schwarzburg (1640–1672) benutzt im Kirchenlied „Ach, wer schon im Himmel wäre“ in 11 Strophen ein abschließendes Verspaar mit dem Reim Weltgetümmel/Himmel. U. a. formuliert sie „Darum weg, du Weltgetümmel“ und „Ach, du schnödes Weltgetümmel“ – zu wenig, um eine Abhängigkeit zu konstatieren. Den Reim kann man oft finden, z. B. auch bei Sigmund von Birken: „weg mit schnöder Lust und Welt! weg! mein wünschen ist gestellt

Auf die stolze Ruh im Himmel Gute Nacht, O Weltgetümmel!“ und in demselben Gedicht weiter unten: „Auf das schnöde Weltgetümmel folget stolze Ruh im Himmel.“12) Die Verse zeigen wohl auch den Einfluss von Abraham a Santa Clara (1644–1709): „In solchem irdischen Himmel achtete sie wenig das Weltgetümmel und war ihr die goldene Einsamkeit die größte Lustbarkeit. Sie brachte ihr Leben zu in stetem Fried und Ruh, sie wusste von keinem Tanzen noch Schanzen, Streiten noch Beuten, Klagen noch Jagen, Schulen noch Buhlen, als von einem Tanz mit dem Herrn Jesu, von einer Schanz, wie zu bewahren sich vor den Lastern . . .“13)


  1. Der Kupferstich wurde von Heinrich Jakob Otto zwischen 1702 und 1718 angefertigt. Er befindet sich in Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Inventar-Nr. MP 15708, KapselNr. 275. Das Bildarchiv Marburg weist ihn im Digitalen Porträtindex nach und noch ein zweites Exemplar. – Die Zitate passen zu Mels Lehre, wie Schoenborn 88 Anm. 224 zeigt.
  2. Summa contra gentiles I 66,8: Cuilibet tempori vel instanti temporis praesentialiter adest aeternitas. Freundlicher Hinweis Michael Oberweis, Mainz. Er merkt an, „dass Thomas bereits Zeit und Ewigkeit gegenüberstellt; die Kombination RUIT HORA – ADEST AETERNITAS scheint hier fast schon vorweggenommen.“ Auch auf Grotius hat er mich freundlicherweise aufmerksam gemacht.
  3. s. Kat.-Nr. 291.
  4. s. Birken, Todten-Andenken und Himmels-Gedanken, Gedicht 2,60–72 u. 87 f.
  5. Zitiert nach: Mercurialis oder Wintergrün. Passau 1837. S. 352 f.
Inschrift

Umschrift:

A I(OHANN) · F(RANZ) · // W(AGNER) ·

B ALLHIER UNTER DIESEM GRABMAHL / RUHET DER ENTSEELTE

CORPER , IN HOFNUNG EINER ERFREÜLICHEN AUF/ERSTE-

HUNG AM IÜNGSTEN TAGE , DER / WO⌣HLEDLEN UND TUGENT

SAHMEN FRAU / CATHARINA MAGDALENA GEBOH⌣RENEN

KOCHIN / EH⌣RENa) JOHANN FRANZ WAGENERS ZEITIGEN / PRE-

DIGERS ZU WALBURGK GEWESENEN / EH⌣ELIEBSTEN , DIESELBE

IST ALLDA GEBOH⌣REN / IM IAHR 1699 d(en) 10 AUG(USTI) IN

DEN EHESTAN⌣Db) GETRETTEN MIT OBBESAGTEM 1722 / d(en) 19

NOV(EMBRIS) GESTORBEN 1731 d(en) 12 APRIL(IS) U(ND) FOLG-

LICH ALT GEWORDEN / 31 IAHR 8 M(ONAT) U(ND) 8 TAGE ·/

C ECCE:c) AD TE VENIO, O PIE IESU: / SUSCIPE, QUEM, TUO RECU-

PERA/STI SANGUINE2) · / SIC TRANSIT GLORIA / MUNDI3) ·

D PARCO NULLI · / HUIC HOSTI / DIRO NEMO / RESISTERE PO-

TEST4) ·

E RUIT HORA / ADEST AETE/RNITAS4) ·

F Der leich Text Von der Seelig verstorbenen ist / gewesen aus PS(alm) CXXVI

· V(ER)S 5 · / Die mit threäend) säen werden mit freuden ern[d]tene) / Sie ge-

hen hin und weinen und tragen / edlenf) samen und kommen mit freüden /

und bringen ihre garben5) · /

G POST FATA QUIESCIT6) · / TOTA LAETA SUM7) · /

H Weg du schnödes welt getümmel /

Wa[s i]ch suche ist im Himmel /

Ich will nach [A]llem Scha(n)zeng) /

In den Wahren Himmelsh) Ta(n)z[en]


  1. EHRN für Herr, s. DWB s. v. EHR, m. und zur Flexion s. v. ER (Bd. 3, Sp. 693). Das Wort erscheint nicht selten in Inschriften (Kat.-Nr. 180 – Glocke von 1655; Kat.-Nr. 291 – Grabmal Koch von 1719) und in Dokumenten der Pfarrgeistlichkeit, vgl. Belege bei Kat.-Nr. 184 (Altar 1660) und Kat.-Nr. 202 (Grabstein Hartung).
  2. EHESTA(N)T Cornelius.
  3. In dem lateinischen Zitat sind anscheinend Satzzeichen gesetzt.
  4. Sic!
  5. Letzter Buchstabe teilweise auf dem erhöhten Rand.
  6. vielen Cornelius.
  7. Kürzungszeichen: Querstrich über a.
  8. Sic! Sicher langes s.
  1. Das sollen nach Eusebius die letzten Worte des Hieronymus gewesen sein. (Migne PL 22, Sp. 275). – „Post haec ad extremum propinquans (ut Eusebius scribit) devotissime communicavit, et manus in modum crucis super pectus tenens canticum Simeonis, scilicet Nunc dimittis etc. peroravit. Tunc cunctis, qui aderant, cernentibus lux caelitus instar solis ad horam ibi refulsit, in qua luce angeli visi sunt discurrere. Vox quoque caelitus lapsa est audita, dicens: „Veni, dilecte mi, tempus est, ut mercedem accipias pro laboribus, quos mei causa supportasti.“ Et Hieronymus ait: „Ecce ad te venio, pie Iesu, suscipe, quem tuo recuperasti sanguine.“ Tunc subito lux illa disparuit, et anima carne soluta caelos in ea adiit, odorque tantus subsecutus est per dies non modicos, ut omnis miraretur aetas. Obiit autem anno aetatis suae XCIX. circa annos Domini CCCXCVIII. Et sepultus est in sepulcro, quod sibi construxerat in ore speluncae, in qua Dominus natus iacuit.“ (So schreibt Pelbartus de Themeswar: Pomerium de sanctis, Pars aestivalis, Legenda sancti Hieronymi).
  2. Das Zitat stammt aus dem von Patricius 1516 beschriebenen Zeremoniell der Papstkrönung: Wenn der neue Papst die Peterskirche betritt, entzündet der Zeremoniar dreimal ein Bund Werg auf einem Rohrstabe mit einer Kerze und ruft bei jedem Male aus: „Pater sancte, sic transit gloria mundi“ – ein Hinweis, dass selbst der Papst vergänglich ist. Das Zitat geht auf das Wort „O quam cito transit gloria mundi!“ des Thomas von Kempen zurück, der es vermutlich nach 1 Joh 2,17 „Mundus transit et concupiscentia eius“ geprägt hat, s. http://de.wikipedia.org/wiki/Sic_transit_gloria_mundi (Stand 23. 02. 2016).
  3. Zu den Zitaten s. Kommentar.
  4. PsH 126,5–6.
  5. Ov. am. 1,15,39.
  6. Der Satz stammt von Olympia Fulvia Morata, einer italienischen Humanistin, die von 1526 bis 1555 lebte. Sie starb also in ähnlich jugendlichem Alter wie Magdalena Catharina Wagner. Die zitierten Worte sprach sie auf dem Sterbebett, wie aus einem Brief ihres Mannes hervorgeht, den Melchior Adam in ihrer Vita anführt; man lese nach unter http://www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/adam/adam1/jpg/adam182.jpg. Ihre Kurzbiographie findet man unter: http://www.s197410804.online.de/Personen/Morata.htm. Auch unter: http://www.bibelskolan.com/cms/index.phpoption=com_content&task=view&id=3519&Itemid=83 wird ihr das Zitat zugeschrieben. Doch es ist in dieser Quelle nicht weiter belegt, s. auch DI 12 (Heidelberg) Nrr. 276 f.

Übersetzung:

(C) Siehe, zu dir komme ich, frommer Jesus; nimm (mich) auf, den du durch dein Blut erlöst hast. So vergeht der Ruhm der Welt.

(D) Ich schone keinen. Diesem grausigen Feind kann niemand widerstehen.

(E) Die Zeit vergeht, die Ewigkeit bricht an.

(G) Nach dem Tod ruht sie. Ich bin ganz und gar froh.

Kommentar:

Dimeter, anapästischer katalektischer (Prud. cath. 10) oder Hexameter 2.Teil (C, SICMUNDI);

Deutsche Reimverse (H).

Nachweise

Literatur:

Wappen:

Wagner

Bearbeitung:

Die Inschriften des Werra-Meißner-Kreises I : Altkreis Witzenhausen. Gesammelt und bearbeitet von Edgar Siedschlag unter Mitarbeit von Rüdiger Fuchs (Die Deutschen Inschriften 87). 2017, Nr. 300.

Zitierweise
„Catharina Magdalena Wagner 1731, Walburg“, in: Grabdenkmäler <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/gdm/id/2419> (Stand: 20.3.2023)