Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Grabdenkmäler

Übersichtskarte Hessen

Witta (Albuin) 1564, Hersfeld

Bad Hersfeld · Gem. Bad Hersfeld · Landkreis Hersfeld-Rotenburg | Historisches Ortslexikon
Standort | Merkmale | Beschreibung | Inschrift | Nachweise | Zitierweise
Standort

Standort:

Bad Hersfeld

Gebäude / Areal:

Bad Hersfeld, Stiftskirche.

Merkmale

Datierung:

1564

Typ:

Epitaph

Erhaltung:

verloren

Beschreibung

Beschreibung:

Epitaph des Witta (Albuin). Brouwer sah das Grab 1610 an der Südwand der Kirche. Er vermerkte, das Epitaph sei roh und vor nicht allzu langer Zeit am Grab angebracht worden.1) Bei den Grabungen von Joseph Vonderau 1921/1922 wurde ein Sarkophag in einer Nische der Südmauer der Stiftsruine entdeckt, der mit dem von Brouwer erwähnten Grab identisch sein könnte. Das Epitaph wurde allerdings nicht aufgefunden.2) Diese hypothetische Identifizierung ging jedoch nur von der mit Brouwers Lokalisierung scheinbar übereinstimmenden Fundlage aus und wurde später abgelehnt.3)

Fünf elegische Distichen.

Obwohl Brouwer anscheinend selbst noch durch Punkte und marginal vorgebrachte Alternativen Lese- bzw. sogar Erhaltungsprobleme anzeigte, kann man den Text in großen Teilen akzeptieren; freilich indizierte Brouwer nicht alle problematischen Stellen. Das zweite Distichon, das einen Hinweis auf die Datierung der Inschrift enthält oder wenigstens das Alter des Grabes berechnet, wurde später in Zweifel gezogen. Rechnet man die 750 Jahre von Wittas Tod – das ist kurz vor dem Luls im Jahr 786 (Nr. 1) – ergibt sich das Jahr 1536; rechnet man vom Tod Karls d. Gr., ergibt sich das Jahr 1564. Beides paßt zur Bemerkung Brouwers, das Epitaph sei noch nicht alt, und doch verwundern beide Daten, weil die im Bauernkrieg in Mitleidenschaft gezogene Stiftskirche anscheinend noch lange einer Restaurierung harren mußte, wenn die Einsetzung Abt Ludwig Landaus (Nrr. 213f.) 1571 in der Stadtkirche vollzogen wurde und Joachim Roell 1594 das Dach erneuerte (Nrr. 274f.). Hier könnte aber auch ein in Hersfeld bekannter mittelalterlicher Reflex auf solche Situationen zu Tragen kommen, der eigenen Kirche mit Hilfe von Translationen und Elevationen heiliger Gebeine zu Pilgern und somit zu zusätzlichen Einnahmen zu verhelfen. Dann wäre sogar 1564 wahrscheinlicher, weil man dem offen mit Luther sympatisierenden Crato Melles (1516–1556, Nrr. 145f.) eine solche Verhaltensweise nicht zutrauen mag. Die nachfolgenden Äbte Michael Landgraf (Nr. 179f.) und Ludwig Landau (Nr. 213f.) unternahmen offen nichts gegen die hessische Dominanz auch in Glaubensangelegenheiten, doch war gerade letzterem, wie der Bilderzyklus (Nr. 211) zeigt, der Status der alten Reichsabtei höchst wichtig. Auch dezidiert altgläubige Aktivitäten in seiner von der Reichsabtei Fulda geprägten Heimat könnten auf eine nicht aufgebene Hoffnung deuten, die Verhältnisse im Zuge der Gegenreformation einst zu ändern; dann wären auch Inschriften für ein Heiligengrab im Zuge der Stiftssanierung denkbar.

Der anscheinend inhaltliche Ausschluß führte dazu, die Überlieferung Brouwers massiv in Frage zu stellen und eine abweichende Lesung – in Wirklichkeit eine umfassende Konjektur Brouwers – vorzulegen. Wunder schlug für das zweite Distichon vor:4)

QVINQVAGINTA MVNIS QVINGENTOS QVINQVE PER ANNOS

NVNC IACVI FAMVLVS CAESARE DE CAROLO.

Damit ergäben sich nach Meinung Wunders 555 Jahre nach dem Tod Wittas (Albuins) (786), die Inschrift stamme also aus dem Jahr 1341, als man unter Abt Ludwig II. von Mansbach gemäß dessen Urkunde vom 14. Januar 1341 das Grab fand und wegen der Heilungswunder eine Heiligsprechung forderte, allerdings vergeblich.5) Der Inschrifttext, gleich welcher Variante, entbehrt einer dieser Zeit angemessenen Poesie, da es damals – und schon gar nicht in einem solchen Zusammenhang – keine reimlose Dichtung gab, der Text also durchaus im Einklang mit Brouwers Bemerkung zum geringen Alter der Inschrift einen Renaissancecharakter besitzt.6) Gegen die Rekonstruktion Wunders sprechen auch die Sperrung von MVNIS zu FAMVLVS und die doppelte Verwendung dieses Begriffes, auch in der letzten Zeile, in unterschiedlichen Zusammenhängen.

Angesichts der runden Zahl von Jahren (800–50 = 750) darf man bezweifeln, ob der Text überhaupt auf eine exakte Berechnung eines Datum angelegt war. Vielleicht sollte er nur daran erinnern, daß Witta (Albuin), was man ja aus Lampert wußte, zur Zeit Kaiser Karls d. Gr. nach Hersfeld überführt worden war,8) und das sei eben 750 Jahre her. Dann würde sich das ominöse FATVM auf den Tod Wittas beziehen – nach [SVB]IACVI wäre das sogar leichter – , wäre CAESARE DE CAROLO dann zeitlich zu betrachten und das Ganze ergäbe so nur die Nachricht, daß Witta (Albuin) eben schon lange und zwar seit dem großen Gönner des Hauses Karl dort liege. Ob in Hersfeld damals tatsächlich präzise Daten, sei es das Todesjahr Wittas (Albuins) 786 oder das Alkuins (804) bzw. Karls (814) präsent und dann als Bezugspunkte gewollt waren, ist eher zweifelhaft; man hätte doch auch dem Unkundigen eine Hilfe gegeben, wenn das wichtig gewesen wäre.

Die Anfertigung des Epitaphs für Witta (Albuin) im mittleren Drittel des 16. Jahrhunderts und die dezidierte Nennung der wichtigsten Personen, mit denen die Frühgeschichte Hersfelds verbunden ist, Wigbert, Lul und Karl der Große, lassen den Text als einen Versuch erscheinen, in der Zeit des Niedergangs die alte Bedeutung Hersfelds noch einmal zu beschwören. Zugleich wird die Bedeutung und Wirksamkeit gleich von drei Heiligen hervorgehoben, von deren Attraktivität man sich etwas zu versprechen schien. Immerhin konnte man dazu auf eine Initiative zur Heiligsprechung des Albuin unter Abt Ludwig II. von Mansbach (Nr. 211/ZZ) zurückgreifen, in deren Umfeld die Inventio des Grabes nicht nur hervorgehoben, sondern als Auslöser an den Anfang gestellt worden war.12)


  1. Brouwer 41: “Epitaphium quod rude, nec aetatis longissimae, affixum illius sepulcro nuper adhuc extabat in basilica Hersfeldensi.”
  2. Vonderau, Ausgrabungen 20f. mit Abb. XII; vgl. auch Neuhaus, Gründonnerstag.
  3. Vgl. Wunder 158, vornehmlich nach Feldtkeller, Karolingische Großkirche.
  4. Wunder 155f.
  5. Ebd. 154–158 mit ausführlichen Zitaten aus der Urkunde HStA Marburg, Best. 56, Urk. 341.
  6. Die Beobachtung Wunders 158, Anm. 8, zu formalen Übereinstimmungen mit dem Lul-Epitaph (Nr. 1), besonders die einleitende Namensansage, woraus auf eine Gleichzeitigkeit zu schließen sein, geht in die Irre.
  7. Zur Übertragung Wigberts nach Hersfeld vgl. Lampert, Vita Lulli 17 (Holder-Egger 331).
  8. Vgl. Ziegler, Mitra und Krummstab; Wunder, Wigberttradition 155f.; vgl. dazu auch die Rezension von K.-U. Jäschke, in: HessJb. 20 (1970), 412–415, hier 413.

Geschlecht, Alter, Familienstand:

männliche Person(en)

Stand:

Adlige · geistliche Personen

Dargestellte Personen:

Witta, angelsächsisch für „der Weiße“, wird bei Lampert von Hersfeld Albuin genannt. Das Grabgedicht nennt ihn Albinus, was ebenfalls „weiß“ bedeutet. Brouwer bezog den Namen allerdings auf Alkuin, den Berater Karls des Großen, den Einhard als Albinus mit dem Beinamen Alkuin bezeichnete. Dieser war jedoch nie in Hersfeld.9)

Witta (Albuin) war ein Gefährte des Bonifatius und erscheint auf dem Concilium Germanicum, das 742 oder 743 stattfand, als Bischof des neu eingerichteten Bischofssitzes auf der hessischen Büraburg.10) Dieses Bistum existierte aber nur kurz. Für die Zeit nach 742/43 sind Nachrichten über Witta (Albuin) nur noch in Lamperts Vita Lulli überliefert, die zwischen 1063 und 1073 entstand. Danach sorgte Witta (Albuin) mit Luls Unterstützung für die Translation Wigberts nach Hersfeld und begleitete jenen dorthin, starb dort und wurde von Lul im Kloster Hersfeld beigesetzt.11) Sein Todesjahr ist nicht explizit genannt; die Aktion gehört aber zu Luls († 768, Nr. 1) letzten Handlungen.


  1. Einhard, Vita Karoli c. 25 (Holder-Egger 30). Schlegel griff die Überlegung Brouwers und anderer Autoren auf, wendete die Identifizierung hin und her, um sich in Spekulation über den Begräbnisort zu verlieren. Schon die Urkunde von 1341, vgl. bei Anm. 6, identifizierte Albuin mit Alkuin von Tours. Die Identifizierung mit dem Büraburger Bischof Witta/Albuin schon überzeugend bei Schmincke § XVIII, d. i. S. 15.
  2. MGH Conc. 2,1, 2; vgl. Schieffer, Karolinger 54f.
  3. Lampert, Vita Lulli 17 und 21 (Holder-Egger 331 und 334f.).
Inschrift

Umschrift:

ALBINVS EGO [DICOR]a) QVEM SACRA TVMBA RECONDIT

DIGNE EXORATVS TRISTIA QVAEQVE FEROb)

QVINQVAGINTA MINVS OCTINGENTOSQVEc) PER ANNOS

NVNC IACVI [FATVM]d) CAESARE DE CAROLOe)

HICQ(VE) MANET CELEBRISf) VIGBERTVS QVEM QVOQ(VE)

LVLLVS

IVSSERAT HVC TRA[H]Ig) SVBVENIENTE DEO3)

QVOS QVI MEQVE SIMVL PRECIBVS AGITAVERIT VLLIS

ILLIVS ERGA DEVM NON SVMVS IMMEMORES

ID LIQVIDO POTERIT SIGNIS MONSTRARI EXh) ALMIS

[QVOD SV]BEOi) FAMVLIS ANXIETATE MEIS


  1. Brouwer schlug für die mit fünf Punkten gekennzeichnete Fehlstelle marginal SVM vor (Schlegel folgt ihm darin, ebenso Schmincke u. a.), das aber für den Vers nicht ausreicht, weil EGO nach der Zäsur zweimal kurz gemessen wird. Es fehlt ein ganzer Fuß, also ein zwei- bis dreisilbiges Wort, das sich auf Albinus beziehen läßt. In jedem Falle muß bei SACRA muta cum liquida angewendet sein.
  2. AVFFERO nur bei Brouwer und Schmincke, jeweils marginal.
  3. Marginal bei Brouwer HIC OCTINGENTA, so auch bei den Abschreibern. Auffällig est eher, daß die Kasusangleichung nicht auf QVINQVAGINTA ausgedehnt wurde. Siehe auch im Kommentar zur Textrekonstruktion Wunders.
  4. FACTVM Schlegel und Schmincke gegen Brouwers FATVM; wie bei SVM (Anm. 1) die Übernahme und damit Bestätigung von Brouwers Marginalie FACTVM nach IACVI. Die Schlegelsche Kopie weicht davon nicht ab. Hier scheint ein Text- oder massiver Überlieferungsfehler vorzuliegen.
  5. Hörle 37 nimmt davor den Ausfall von zwei Versen an, doch gibt es dafür weder einen Anhaltspunkt in der Überlieferung noch einen inhaltlichen Grund. Zwar fehlt vor FATVM möglicherweise ein POST, da dies nicht mehr in den Pentameter paßte, aber daraus kann man kaum zwingend auf den Ausfall zweier Verse schließen. Immerhin würden sie helfen, diese Stelle zu verdeutlichen. Hörles Übersetzung inkl. Ergänzung: „ … Fünfzig fehlen an achthundert Jahren, [daß Hersfeld es Heiles entbehrte. Glücklich] liege ich nun da [und sehe erfüllt] die Verheißung seit Kaiser Karl“.
  6. Wunder 151 schlug CELEBER vor, das ist auch mit dem nachklassischen CELEBRIS gemeint.
  7. TRAXI wohl statt TRAHI bei Brouwer und allen anderen so auch von Wunder 151 gefordert.
  8. MONSTRARIER Brouwer und ihm folgend alle anderen. Mit dem oben eingefügten Gegenvorschlag könnte der Gedanke verbunden werden, die Verwechslung von r und x resultiere aus einer Minuskel(?)schrift. Die anderen Leseprobleme stützen diese Annahme nicht.
  9. Ergänzung nach Hörle. Brouwer setzte hier fünf Punkte, ihm folgend Schlegel, der aber …BEA endet, und alle anderen.
  1. Vgl. Wunder 158, vornehmlich nach Feldtkeller, Karolingische Großkirche.

Übersetzung:

Der Weiße (heiße) ich, den dieses heilige Grab birgt. Würdig gebeten nehme ich alles hinweg, was traurig ist. Für 800 weniger 50 Jahre (750 Jahre) liege ich nun hier tot seit Kaiser Karl (nach seinem(!) Tod ? / das wurde bewirkt von Kaiser Karl ?). Und hier wartet der berühmte Wigbert; Lul hatte befohlen, ihn mit Hilfe Gottes hierhin zu bringen. Wer mich und diese zugleich mit gleich welchen Bitten angeht, den werden wir vor Gott nicht vergessen. Das wird sich gewiß anhand segenspendender Zeichen erweisen lassen, daß ich nämlich meinen Dienern in der Not zu Hilfe komme.

Kommentar:

Nach Brouwer.

Schrift:

Kapitalis

Nachweise

Literatur:

Bearbeitung:

Die Inschriften des Landkreises Hersfeld-Rotenburg. Gesammelt und bearb. von Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs (Die Deutschen Inschriften 91). 2015, Nr. 164.

Zitierweise
„Witta (Albuin) 1564, Hersfeld“, in: Grabdenkmäler <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/gdm/id/2264> (Stand: 20.3.2023)