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Grabdenkmäler

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Unbekannte Person um 1350, Marburg

Marburg · Gem. Marburg · Landkreis Marburg-Biedenkopf
Standort | Merkmale | Beschreibung | Inschrift | Nachweise | Zitierweise
Standort

Standort:

Marburg

Heutiger Aufbewahrungsort:

Wohl vom Kirchhof an der lutherischen Pfarrkirche stammend und Mitte des 15. Jahrhunderts an einem Giebel des ehemaligen Dominikanerklosters vermauert. Seit dem Abbruch dieses Giebels verschollen.

Merkmale

Datierung:

um 1350

Typ:

Scheibenkreuz-Grabstein

Material:

Sandstein, vermutlich

Erhaltung:

verloren

Größe:

45 x 45 cm (B x H)

Beschreibung

Beschreibung:

Scheibendurchmesser um 45; Breite der Kreuzbalken um 7 cm.

Im Rahmen seiner Arbeiten über frühe Photos und alte Ansichten der Stadt Marburg fand Dr. Kurt Meschede auf der Bickell-Aufnahme Nr. 324 einen offenbar runden Stein mit einem Kreuz in Flachrelief. Mußte die Identifizierung seiner einstigen Funktion zunächst als aussichtslos erscheinen, so darf aufgrund der Ergebnisse der Arbeiten über mittelalterliche Scheibenkreuz-Grabsteine in Hessen auch der Marburger Stein als mittelalterliches Grabmal angesprochen werden.

Der Stein zeigt ein in Flachrelief ausgeführtes gleicharmiges Kreuz mit abgefasten Kanten, dessen Balkenenden nahtlos in die ebenfalls flach erhabene Umrandung übergehen, worin er dem Scheibenkreuz-Grabstein aus Odenhausen/Lahn entspricht. Zwar läßt sich aus der Abbildung nicht mehr ersehen, doch genügte dies für eine bescheidene zeichnerische Darstellung der vertikalen Ansicht. Der Scheibendurchmesser dürfte um 45 cm, die Breite der Kreuzbalken um 7 cm betragen haben.

Da das Marburger Scheibenkreuz ein mittelalterlicher Grabstein war, zeigt ihn die Abbildung in einer ihm fremden, sekundären Umwelt. Das Denkmal muß bei Errichtung des abgebildeten Giebels am ehemaligen Dominikanerkloster zweckentfremdet wiederverwandt worden sein. Bei der Suche nach dem ursprünglichen Standort des Scheibenkreuz-Grabsteins hilft eine auf W. Bücking zurückgehende Anmerkung Carl Schäfers weiter (Schäfer, Carl: Von deutscher Kunst - gesammelte Aufsätze und nachgelassene Schriften, Berlin 1910, S. 85). Aus den Marburger Baurechnungen der Pfarrkirche ließ sich ersehen, daß die Fabrik der Pfarrkirche im Jahr 1447 Steine, die "hinter der Pfarrkirche" lagen, den Predigermönchen verkaufte. Hierzu schreibt Carl Schäfer: "Diese Notiz, näher angesehen, ist es zuvörderst klar, daß die Kirchenfabrik in keinem Falle wohl neue, aus dem Bruche kommende Steine an die bezeichnete Stelle hinauffuhr, um hier Handel mit denselben zu treiben, sondern es muß sich um altes, einem Abbruch entstammendem Material handeln. Daß man es ferner mit den Steinen zu tun hat, welche im Predigerkloster in dieser, oben auf etwa 1450 angesetzten Zeit zur Fortführung des Refektoriums und Schlafhauses vermauert wurden, liegt auf der Hand; unter diesen Steinen aber finden sich eben mannigfache Reste von Gesimsen, Säulen u. dgl.". Sicherlich befand sich unter den Steinen "hinter der Pfarrkirche" auch das Scheibenkreuz, das einst wohl auf dem Kirchhof an der Südseite der Pfarrkirche errichtet, später jedoch entfernt wurde und als unnützes Stück unter das Abbruchmaterial "hinter der Pfarrkirche" geraten sein muß. Von dort dürfte dann der Scheibenkreuz-Grabstein im Jahr 1447 an die Dominikaner als Baumaterial verkauft und bei der Errichtung des Giebels herangezogen worden sein. Einige dieser wiederverwendeten Werkstücke traten beim Abbruch des ehemaligen Dominikanerklosters erneut zutage und befinden sich jetzt im Lapidarium des Marburger Universitätsmuseums. Über den Verbleib des einzigen, in Marburg bisher nachweisbaren Scheibenkreuz-Grabsteins ist hingegen leider nichts bekannt; er dürfte seit dem Abbruch des Giebels verschollen sein.

Durch Carl Schäfers baugeschichtlichen Hinweis läßt sich der Marburger Scheibenkreuz-Grabstein recht zuverlässig datieren. Er kann nicht nach 1447 angefertigt und nachträglich in das aufstrebende Mauerwerk des Giebels eingesetzt worden sein; eine solche Möglichkeit erscheint ausgeschlossen. Da dieser Scheibenkreuz-Grabstein vom ehemaligen Stadtfriedhof stammt, von dort entfernt wurde und im Jahr 1447 "hinter der Pfarrkirche" lag, muß der Stein lange vor 1400, wahrscheinlich um 1350 angefertigt worden sein. Wesentlich älter ist er nicht. Offensichtlich konnte im Jahr 1447 niemand mehr etwas mit dem inschriftlosen, damals rund hundert Jahre alten Stein anfangen. Darüber hinaus dürfte die mündliche Überlieferung, wem dieser Stein einst gesetzt worden war, inzwischen versiegt gewesen sein. Schließlich darf man annehmen, daß in Marburg während des 15. Jahrhunderts der mittelalterliche Scheibenkreuz-Grabstein durch den Grab-Kreuzstein abgelöst wurde. Damit stand der Zweitverwendung des Scheibenkreuzes als Werkstück an so deutlich sichtbarer Stelle nichts im Weg.

In Anlehnung an den Scheibenkreuz-Grabstein aus Odenhausen/Lahn lassen die fehlende Inschrift und die Zeit seiner Anfertigung darauf schließen, daß der Marburger Stein auf seiner nicht sichtbaren Seite ebenfalls mit einem Kreuz versehen war, da Handwerkszeichen in einer so frühen Zeit noch nicht gebräuchlich waren.

Der Marburger Scheibenkreuz-Grabstein darf als charakteristisch für Denkmäler dieses Typs im Raum Gießen - Marburg angesehen werden, da sich der etwas jüngere Stein aus Odenhausen/Lahn sowie die beiden Steine aus Kirchberg eng an das Marburger Vorbild anlehnen.

Dargestellte Personen:

Unbekannte Person, um 1350 verstorben.

Nachweise

Literatur:

  • Azzola, Juliane und Friedrich Karl: Mittelalterliche Scheibenkreuz-Grabsteine in Hessen (= Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde Heft 10), Kassel 1972, S. 24-26 (Text) und 92-93 (Abb.)
  • Azzola, Friedrich Karl: Ein mittelalterlicher Scheibenkreuz-Grabstein in Marburg?, in: Hessische Heimat NF 15 (1965), Nr. 4, 22-23

Orte:

Kirchberg · Odenhausen

Bearbeitung:

Azzola, Juliane und Friedrich Karl: Mittelalterliche Scheibenkreuz-Grabsteine in Hessen (= Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde Heft 10), Kassel 1972 [danach Andreas Schmidt, HLGL].

Zitierweise
„Unbekannte Person um 1350, Marburg“, in: Grabdenkmäler <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/gdm/id/1674> (Stand: 6.2.2007)