Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Topografie des Nationalsozialismus in Hessen

Übersichtskarte Hessen

Michelstadt, Zwangsarbeitslager (u.a. auch Kgf.) Hüttenwerk Eisengießerei u. Maschinenfabrik Michelstadt

Michelstadt, Gemeinde Michelstadt, Odenwaldkreis | Historisches Ortslexikon
Unterer Hammer 2 – In der NS-Zeit: Unterer Hammer
Klassifikation | Nutzungsgeschichte | Indizes | Nachweise | Abbildungen | Zitierweise
Klassifikation

Kategorie:

Wirtschaft

Subkategorie:

Zwangsarbeit 

Nutzungsgeschichte

Objektbeschreibung:

Das Zwangsarbeiterlager befand sich im ehemaligen Uhrenbau (Haus Bonum, im Jahr 2007). Dort waren die Kriegsgefangenen und zivile Zwangsarbeiter strikt voneinander getrennt untergebracht. Das Lager verfügte zudem über eine eigene Küche, die in dem nach Asselbrunn hin gelegenen Gebäudeteil lag. In den Kriegsjahren wurde zur Ernährung auf einer Mümlinginsel ein Feld mit Kohlrüben angelegt. Jedes Fenster des Gebäudekomplexes war vergittert. Heute zugemauert, waren diese Fenster wohl noch bis Ende der 1960er Jahre sichtbar.

Beschreibung:

Das Zwangsarbeitslager Hüttenwerk, in dem auch Kriegsgefangene arbeiteten, existierte nach Haag vom 18. Juni 1942 bis zur Auflösung am 1. April 1945. Aufgrund der auf Verlangen der Alliierten erstellten Fremdarbeiter-Listen (F-Listen) rekonstruiert Haag eine durchschnittliche Stärke des Lagers von 145 Personen.

West- wie Ostarbeiter wurden dort eingesetzt. Von August 1944 bis zum 19. Februar 1945 waren unter anderem auch 73 russische Offiziere dort untergebracht. Diese wurden noch vor dem Einmarsch der US-Armee per Lkw nach Groß-Umstadt transportiert und dort den Behörden übergeben. Die Firma Hüttenwerk ließ laut Rechnung des Gesundheitsamtes Erbach in der Zeit vom 1. April bis Ende September 1943 insgesamt 248 „Ostarbeiter“ in der Entlausungsanstalt Erbach baden.

Am 1. April 1943 setzte die Firma Hüttenwerk Eisengießerei und Maschinenfabrik Michelstadt in ihrem Werk laut DAF-Liste 38 Kriegsgefangene ohne Angabe der Nationalität als Zwangsarbeiter ein. Dazu mussten zeitgleich 48 männliche und elf weibliche „Russen“ sowie sieben weibliche „Tataren“ als „Ostarbeiter“ Zwangsarbeit leisten. Am 21. September 1942 gab die DAF eine Stärke von 54 männlichen „Ostarbeitern“ aus Russland an. Zwischen Juni und Oktober 1942 ließ das Hüttenwerk Michelstadt 169 „Russen“ und 160 Decken in der Anstalt in Erbach entlausen.

Bereits am Einrichtungstag des Lagers muss es nach Haag zu einem Fluchtversuch von ca. 40 Russen gekommen sein. An diesem 18. Juni 1942 wurde auf dem Unteren Hammer durch Kopfschuss Herr Borowsky aus Leningrad getötet, eine weitere Person soll ebenfalls erschossen worden sein. Die anderen Flüchtenden wurden unter anderem am Heuberg aufgegriffen und danach gezwungen, im Fabrikhof im Kreis herumzulaufen, wobei sie von SA und NS-Parteigenossen ausgepeitscht wurden. Es soll auch zu weiteren Misshandlungen gekommen sein, indem sich die Geflüchteten mit nacktem Oberkörper auf Eisenbahnwagen (möglicherweise sogenannte Rungenwagen) legen mussten und SA-Angehörige mit Nagelstiefeln über sie gelaufen sein sollen.

Die Lebensmittelversorgung soll völlig unzureichend gewesen sein. Anfangs wurde offenbar nur einmal in der Woche Brot geliefert, was durch Unterstützung eines Bäckers aus einem Nachbarort ausgeglichen worden sein soll.

Bemerkungen:

Das Hüttenwerk produzierte während des Krieges laut Haag Geschosse für Granatwerfer sowie schwere Artilleriegranaten. Das Rowenta-Werk in Erbach lieferte die Zünder für diese Geschosse. Daneben umfasste die Produktion nach wie vor landwirtschaftliche Maschinen.

Nutzungsanfang (früheste Erwähnung):

18. Juni 1942

Nutzungsende (späteste Erwähnung):

1. April 1945

Nutzung nach NS-Zeit:

Ab spätestens 2007 Altenpflegeheim Haus Bonum GmbH

Indizes

Orte:

Michelstadt

Sachbegriffe:

Zwangsarbeit · Militär · Stalag · Wirtschaft

Nachweise

Literatur:

Ungedruckte Quellen:

Zitierweise
„Michelstadt, Zwangsarbeitslager (u.a. auch Kgf.) Hüttenwerk Eisengießerei u. Maschinenfabrik Michelstadt“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/3189> (Stand: 26.11.2022)