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Contemporary History in Hessen - Data · Facts · Backgrounds

FDP in Hessen bei Bundestagswahlen zweitstärkste Partei, CDU mit starken Verlusten, 14. August 1949

Bei den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag wird in Hessen die mit der NPD verbundene FDP1 überraschend zweitstärkste Partei vor der im Bund vorn liegenden CDU. Die Christdemokraten verlieren dagegen bei der Wahl fast zehn Prozentpunkte rutschen mit etwas mehr als 450.000 Stimmen auf den nur noch dritten Platz hinter SPD und FDP.

Parteichef Adenauer – Gegner des in Hessen bestehenden Koalitionsbündnisses seiner Partei mit den Sozialdemokraten – äußert im Rahmen einer Versammlung der Landesvorsitzenden der CDU am 31. August 1949, dass die drastischen Verluste der Christdemokraten in Hessen gezeigt hätten, das sich eine große Nachgiebigkeit gegenüber der SPD nicht auszahle. Der Landesvorsitzende Dr. Werner Hilpert (1897–1957) entgegnet demgegenüber, dass vor allem der Umstand, dass 240.000 Flüchtlinge die Unabhängigen gewählt hätten zum schlechten Abschneiden der CDU geführt habe.2

Der Landeswahlausschuss stellt am 25. August folgendes Endergebnis fest:3
• Zahl der Wahlberechtigten: 2.906.239 (2.380.109)
• Abgegebene Stimmen: 2.247.390 (1.741.416)
• Wahlbeteiligung: 77,3 % (73,2 %)
• Zahl der gültigen Stimmen: 2.128.278 (1.609.388)
• Zahl der ungültigen Stimmen: 120.830 (132.028)

Die Ergebnisse der Parteien im Einzelnen:
SPD 684.042 (687.431) oder 32,1 % (42,7 %)
CDU 454.437 (498.158) oder 21,4 % (30,9 %)
FDP 597.081 (252.207) oder 28,1 % (15,7 %)
KPD 142.539 (171.592) oder 6,7 % (10,7 %)
Arbeiterpartei 5.887 oder 0,3 %
Parteiunabhängige Bewerber 244.292 oder 11,5 %

Die SPD kann somit zwölf Direktmandate erringen, sieben gehen an die FDP, drei an die CDU. Über die Landeslisten erringen die Parteien: sechs Mandate die CDU, fünf die FDP, zwei die KPD und eines die SPD (in Klammern das Erststimmenergebnis der gewählten Bewerber bzw. der Platz auf der jeweiligen Landesergänzungsliste):

Gewählte Abgeordnete

SPD

Altmaier, Jakob (1889–1963); Journalist und Schriftsteller; Flörsheim – Wahlkreis XIV: Hanau (31,9 %)
Arndt, Dr. jur. Adolf (1904–1974); Ministerialrat; Hofheim – Wahlkreis V: Hersfeld (33,8 %)
Bergsträsser, Prof. Dr. Ludwig (1883–1960); Regierungspräsident a.D.; Darmstadt – Wahlkreis XVIII: Groß-Gerau (38,8 %)
Birkelbach, Wilhelm (1913–2008); Leiter der Landesgewerkschaftsschule; Frankfurt am Main – Wahlkreis XVI: Frankfurt am Main II (39,3 %)
Brill, Dr. Hermann (1895–1959); Staatssekretär; Wiesbaden – Wahlkreis XV: Frankfurt am Main I (38,7 %)
Freidhof, Rudolf (1888–1983); Regierungsrat; Kassel – Wahlkreis III: Eschwege (35,6 %)
Knothe, Wilhelm (1888–1952); Politiker und Journalist; Frankfurt am Main – Wahlkreis XI: Friedberg (33,1 %)4
Koch, Dr. Harald (1907–1992); Minister für Wirtschaft und Verkehr; Wiesbaden – Wahlkreis XIX: Offenbach (37,2 %)
Müller, Heinrich (1901–1966); Landrat a.D.; Usingen – Wahlkreis X: Obertaunuskreis (30,7 %)
Richter, Willi (1894–1972); 1. Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes; Frankfurt am Main – Landesergänzungsliste (1)
Ritzel, Georg Heinrich (1893–1971); Oberregierungsrat a.D.; Michelstadt – Wahlkreis XXI: Dieburg (36,6 %)
Stierle, Georg (1897–1979); kaufmännischer Angestellter; Frankfurt am Main – Wahlkreis XVII: Frankfurt am Main III (40,4 %)
Zinn, Georg August (1901–1976); Justizminister; Kassel – Wahlkreis II: Kassel-Stadt und -Land (42,3 %)5

CDU

Arndgen, Josef (1894–1966); Minister für Arbeit und Wohlfahrt; Wiesbaden – Wahlkreis XII: Limburg (38,6 %)
von Brentano, Dr. Heinrich (1904–1964); Rechtsanwalt und Notar; Darmstadt – Wahlkreis XXII: Bergstraße (35,3 %)6
Götz, Dr. Hermann (1914–1987); Angestellter; Eckelshausen – Landesergänzungsliste (6)
Heiler, Anna-Marie (1889–1979); Hausfrau und Stadträtin; Marburg – Landesergänzungsliste (4)
Hilpert, Dr. Werner (1897–1957); Finanzminister; Oberursel/Taunus – Landesergänzungsliste (1)7
Köhler, Dr. Erich (1892–1958); Präsident des Wirtschaftsrates; Wiesbaden – Landesergänzungsliste (3)8
Massoth, Willy (1911–1978); Geschäftsführer der CDU und Landesleitung der Jungen Union; Steinheim – Landesergänzungsliste (5)
Sabel, Anton (1902–1983); Leiter des Arbeitsamtes Fulda; Fulda – Wahlkreis IX: Fulda (43,0 %)
Schlange-Schöningen, Dr. Hans (1886–1960); Direktor der Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten; Frankfurt am Main – Landesergänzungsliste (2)9

FDP

Becker, Dr. Max (1888–1960); Rechtsanwalt und Notar; Hersfeld – Landesergänzungsliste (3)
Euler, August-Martin (1908–1966); Rechtsanwalt und Notar; Hersfeld – Wahlkreis IV: Fritzlar-Homberg (35,5 %)10
Faßbender, Heinrich (1899–1971); Kaufmann; Rotenburg/Fulda – Landesergänzungsliste (2)
Friedrich, Dr. Hans (1917–1998); Arzt; Frankenberg (Eder) – Landesergänzungsliste (5)11
Gaul, Karl (1889–1972); Oberschulrat; Frankfurt am Main – Wahlkreis VII: Wetzlar (29,8 %)
Hammer, Dr. Richard (1897–1969); Arzt; Darmstadt – Wahlkreis XX: Darmstadt (36,8 %)
Kneipp, Dr. Otto (1884–1965); Landwirt; Bad Homburg-Gonzenheim – Landesergänzungsliste (6)
Leuchtgens, Dr. Heinrich (1876–1959); Volkswirt; Friedberg – Landesergänzungsliste (4)12
Preiß, Dr. Ludwig (1910–1996); Dipl.-Landwirt; Leidenhofen – Wahlkreis VI: Marburg (36,2 %)
Preusker, Dr. Viktor-Emanuel (1913–1991); Volkswirt; Wiesbaden – Wahlkreis XIII: Wiesbaden (36,4 %)
Rüdiger, Karl (1896–1951); Landwirt; Immenhausen – Wahlkreis I: Waldeck (35,2 %)13
Schneider, Dr. Ludwig (1898–1978); Rechtsanwalt und Notar; Lollar/Kreis Gießen – Wahlkreis VIII: Gießen (39,5 %)

KPD

Fisch, Walter (1910–1966); Parteivorsitzender; Neu-Isenburg – Landesergänzungsliste (1)
Müller, Oskar (1896–1970); KPD-Landesvorsitzender; Offenbach-Bürgel – Landesergänzungsliste (2)
(KU/LV)


  1. Die nationalkonservative, betont antisozialistisch und föderalistisch auftretende Nationaldemokratische Partei (NPD; nicht zu verwechseln mit der 1964 aus der Deutschen Reichspartei hervorgegangenen rechtsextremen Partei gleichen Namens) verbucht in Hessen bereits seit den Gemeindewahlen 1948 größere Erfolge. Die FDP sieht in der NPD zunehmend einen Konkurrenten, der ihr den Rang der am deutlichsten strikt antimarxistisch positionierten Rechtspartei abzulaufen droht. Um die NPD zu neutralisieren, hat die hessische FDP zur Bundestagswahl 1949 ein Wahlabkommen getroffen, aufgrund dessen der Vorsitzende der NDP, Heinrich Leuchtgens (1876–1959), in den Deutschen Bundestag einzieht.
  2. Neitzke, Die CDU Hessen 1950–1967, Wiesbaden 2010, S. 28.
  3. Staats-Anzeiger für das Land Hessen, Nr. 35, 27.8.1949, S. 353 f.
  4. Knothe verstarb am 20. Februar 1952 in Bonn. Bundestagspräsident Dr. Hermann Ehlers (1904–1954; CDU) würdigte ihn am selben Tag in der 194. Sitzung des Bundestages: Heute früh gegen sechs Uhr ist in Bonn an einem Herzschlag der Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses Herr Willy Knothe aus Frankfurt/Main verstorben. Der Verstorbene war schon länger an Herzschwäche leidend. Sein plötzlicher Tod wird auf Überarbeitung zurückgeführt. Ich darf auch darauf hinweisen, daß sicherlich zu diesem plötzlichen Tode auch die Erregungen beigetragen haben, die durch den Vorwurf, im „Dritten Reich“ Agent der Gestapo gewesen zu sein, hervorgerufen worden sind. Wir empfinden es als eine freundliche Fügung, daß wenige Tage vor seinem Tode dieser Vorwurf als unbegründet festgestellt wurde. Herr Abgeordneter Willy Knothe ist am 1. Mai 1888 in Kassel geboren. Er hat in Offenbach die Schule und die kaufmännische Handelsschule besucht und war zunächst als Kaufmann tätig. Im Jahre 1920 wurde er Parteisekretär der SPD für den Unterbezirk Wetzlar. In den Jahren 1921 bis 1933 war er Stadtverordneter und Kreistagsmitglied in Wetzlar. 1934 wurde' er aus politischen Gründen verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Im Jahre 1945 wurde er Erster Landesvorsitzender der SPD in Hessen. Er war Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung und seit 1946 Abgeordneter des hessischen Landtags und Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Er gehörte auch dem Hauptvorstand der SPD an. Herr Knothe ist in den Bundestag im Wahlkreis 11 in direkter Wahl gewählt. Er war ordentliches Mitglied des Ausschusses zum Schutz der Verfassung und stellvertretendes Mitglied im Organisationsausschuß, im Ausschuß für Wirtschaftspolitik und im Ausschuß für Beamtenrecht. Meine Damen und Herren, ich darf seiner Fraktion und seinen Angehörigen die herzliche Anteilnahme des Deutschen Bundestages an diesem schweren Verlust zum Ausdruck bringen und das dankbare Gedenken an die Arbeit des Herrn Abgeordneten Knothe in unserem Kreise bezeugen. Protokoll des Deutschen Bundestages, 1. Legislaturperiode, S. 8325. Für ihn wurde am 4. Mai 1952 Kurt Moosdorf (1884–1956; Bürgermeister; Bad Vilbel; SPD) nachgewählt. Er setzte sich dabei mit 53,9 % der Stimmen gegen Robert Wenzel (FDP; 35,6 %) und Helmut Weber (Sozialistische Reichspartei; 10,5 %) durch. Staats-Anzeiger für das Land Hessen, Nr. 20, 17.5.1952, S. 365.
  5. Zinn schied nach seiner Wahl zum hessischen Ministerpräsidenten am 21. Januar 1951 aus dem Bundestag aus. Für ihn wurde am 11. März 1951 Ludwig Preller (1897–1974) nachgewählt, der am 16. März 1951 sein Mandat antrat. Preller setzte sich bei der Nachwahl mit 55,1 % der Stimmen gegen Siegfried Preuß (FDP, 40,3 %) und Heinrich Rademacher (1908–1984; KPD; 4,6 %) durch. Staats-Anzeiger für das Land Hessen, Nr. 13, 31.3.1951, S. 145.
  6. Brentano war ab 30. September 1949 Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
  7. Hilpert schied bereits am 10. Oktober 1949 aus dem Bundestag aus, für ihn rückte Heinrich Hohl (1900–1968) nach.
  8. Köhler war vom 7. September 1949 bis zum 18. Oktober 1950 Präsident des Deutschen Bundestages.
  9. Schlange-Schöningen schied am 9. Juni 1950 aus dem Deutschen Bundestag aus. Für ihn rückte am 10. Juni 1950 Peter Horn (1891–1967) nach.
  10. Euler war vom 10. Januar 1951 bis 6. Mai 1952 Vorsitzender der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.
  11. Friedrich war ab 5. Oktober 1950 zunächst fraktionslos, schloss sich dann am 16. November 1950 dem BHE/DG an, um ab 2. April 1952 als Gast der FDP-Fraktion zu fungieren.
  12. Leuchtgens war Vorsitzender der NDP und wurde nach einem Wahlabkommen über die Landesergänzungsliste der FDP gewählt. Ab 21. Januar 1950 gehörte er der Deutschen Reichspartei an, ab 5. Oktober 1950 war er fraktionslos, am 6. Dezember 1950 schloss er sich der Deutschen Partei an, ab 27. Juli 1953 war er partei- und fraktionslos.
  13. Rüdiger verstarb am 20. Februar 1951. Für ihn wurde am 15. April 1951 Hans Merten (1908–1967) nachgewählt, der am 23. April 1951 in den Deutschen Bundestag eintrat. Merten setzte sich mit 47,2 % der Stimmen gegen Reinhold Rompf (FDP; 42,1 %), Karl Mengel (1900–1975; CDU; 8,0 %) und Heinrich Rausch (KPD; 2,7 %) durch. Staats-Anzeiger für das Land Hessen, Nr. 18, 5.5.1951, S. 209.
Records
Additional Information
Recommended Citation
„FDP in Hessen bei Bundestagswahlen zweitstärkste Partei, CDU mit starken Verlusten, 14. August 1949“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/961> (Stand: 4.6.2023)
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