Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda

Abschnitt 6: Glockenabgabe, Sammelaktionen, Hamsterfahrten

[618-620] [Der folgende Teil der Kirchenchronik ab 1917 wurde von Pfarrer Heinrich Weber geführt.]

Unsere größte Glocke in Groß-Felda fiel unter das Zwangsgebot der Ablieferung, da ihr ein künstlerischer Wert nicht zuerkannt wurde. Die beiden anderen, von denen die Feuerglocke wohl Altertumswert besitzt, hat man uns gelassen. Ehe die Glocke an einem Seil herabgelassen werden konnte, mußte die Nordseite des Turmes aufgebrochen werden. Verschiedene Stadien der Abnahme liegen bei. d. h. ihre Photographien. Der Glockenabschied wurde im Gottesdienst gebührend gefeiert. [S. 619]

Unsere Orgel ist von der Ablieferung von Pfeifen verschont geblieben. In Windhausen stand das schöne ziemlich neue Geläute in Gefahr zerstört zu werden (ges - b - des). Ich wandte mich an Kirchenmusikmeister Professor Arnold Mendelsohn in Darmstadt. Durch sein Eintreten wurde uns das Geläute erhalten. Hier wurden nur die beiden Kuppelhauben des außen am Turm angebrachten Schlagwerkes der Uhr abgeliefert. Das Schlagwerk wurde auf die Glocken gelegt.

Unter die Ablieferungspflicht fiel in Windhausen auch das Hauptregister der Orgel. Die Pfeifen wurden am 21. 11. 1917, die Schlagglocken der Uhr am 1. 11. 1917 12.30 Uhr abgenommen.

Die Schulkinder entfalteten eine eifrige Sammeltätigkeit, sowohl für die Volksernährung, wie für die Heeresversorgung. Mit ihren Lehrern zogen sie hinaus in den Wald und sammelten Bucheckern für Öl und Laubheu für Heereslieferung. Ebenso in den Häusern Zink, Blei, Gummi und Goldstücke. Auch an den Kriegsanleihen beteiligten sie sich.

Der früher so manchesmal verachtete Bauernstand gewann jetzt Bedeutung und hohes Ansehen. Gebildete, auch solche höheren Standes kamen auf das Land, erinnerten sich dort ihrer guten Freunde und gaben ihnen gut Wort, um Lebensmittel zu bekommen. Die Bauern waren nun die Herren der Lage. Zwar wurden ihnen vom Staat Gesetze auferlegt, die Gesetze der Zwangswirtschaft, der Lebensmittelkarten und der Rationierung. Sie waren eigentlich nicht mehr Herrn ihrer eigenen Erzeugnisse. Kleine Militärkommandos erschienen auf den Dörfern und holten den Leuten das Vieh aus dem Stall. Trotzdem blieben sie die Herrn der Lage, weil alle Welt von ihnen abhängig war.

Die Landbevölkerung hatte es immer noch besser als die hungernde Stadtbevölkerung. Eine neue Kategorie von Menschen bildeten in dieser Zeit die ‚Hamsterer', die zum dörflichen Straßenbild [S. 620] gehörten. In ihre Rucksäcke wanderten gegen hohe Bezahlung alle Arten von Lebensmitteln.


Persons: Weber, Heinrich · Mendelsohn, Heinrich
Places: Groß-Felda · Windhausen · Darmstadt
Keywords: Glockenablieferung · Glocken · Glockenabschied · Orgeln · Orgelpfeifen · Sammelaktionen · Schüler · Lehrer · Metallsammlungen · Gummisammlungen · Goldabgabe · Kriegsanleihen · Bauern · Hamsterer · Hamsterfahrten · Lebensmittelkarten
Recommended Citation: „Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda, Abschnitt 3: Glockenabgabe, Sammelaktionen, Hamsterfahrten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/28-6> (aufgerufen am 16.04.2024)