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Rücktritt des hessischen Umweltministers Joschka Fischer, 9. Februar 1987

Der amtierende hessische Ministerpräsident Holger Börner (1931–2006; SPD) nimmt das Rücktrittsgesuch von Umweltminister Joschka Fischer (geb. 1948; Die Grünen) an. Börner hatte zuvor den seit 1985 amtierenden grünen Umweltminister zum Rücktritt gedrängt. Als Grund für diesen Schritt nennt Börner ein Ultimatum, das die hessischen Grünen der SPD am vorangegangenen Sonntag auf ihrer Landesversammlung im mittelhessischen Langgöns gestellt hatten. Dort hatten die Grünen die SPD mit großer Mehrheit aufgefordert, ihre Haltung zu dem mit der Fertigung von Uranbrennelementen beschäftigten Hanauer Nuklearunternehmen Alkem zu „revidieren“. Die SPD solle der Brennelemente-Fabrik der Firma, einer Tochtergesellschaft der in Hanau ansässigen NUKEM GmbH, bis zur nächsten Landtagssitzung am 17. Februar die beantragte atomrechtliche Genehmigung versagen. Diese Forderung unterstrichen die Delegierten der Grünen mit der Drohung, das seit 1985 bestehende rot-grüne Regierungsbündnis aufzukündigen und vorgezogene Landtagswahlen anzustreben. Umweltminister Joschka Fischer hatte bei der Versammlung in Langgöns dem Ministerpräsidenten vorgeworfen, er habe mit seiner Atompolitik die „historische Chance“ der ersten rot-grünen Regierungskoalition auf Landesebene „mutwillig kaputtgeschlagen“. In einem Schreiben wertet Börner die außerdem von Fischer in Langgöns vorgebrachte Äußerung, er halte seine letzte Rede als Minister, als „Rücktrittsangebot“: „Es ist sicherlich nicht üblich, Rücktrittsangebote auf Parteikongressen und damit über die Medien zu erklären. Dies mag zum neuen, unkonventionellen Stil gehören. Ich nehme Ihr Rücktrittsangebot an.“1 Mit dieser Erklärung umgeht Börner eine förmliche Entlassung, für die nach der hessischen Landesverfassung eine Zustimmung des Landtages erforderlich gewesen wäre. Daraufhin nimmt Fischer am heutigen Montagnachmittag seine Entlassungsurkunde in Empfang.

Börner erinnert in seinem an Fischer gerichteten Schreiben an seine Regierungserklärung vom 5. November 1986, in der er bekräftigt habe, dass die hessische Landesregierung die Hanauer Brennelementefirma nicht schließen werde. Zugleich lehnt der Ministerpräsident die atompolitischen Forderungen der Grünen ab. Nach seinen Worten sei eine Streichung von Arbeitsplätzen „mit der SPD nicht zu machen“.

Als Reaktion spricht die Landtagsfraktion der Grünen davon, Börner habe Fischer „nach Mafia-Art“ aus dem Kabinett „hinausgeschmissen“ stellte noch am heutigen Tag einen parlamentarischen Antrag auf Auflösung des Landtages. Damit steht die rot-grüne Koalition in Hessen, bereits knapp 14 Monate nach ihrer Vereinbarung vor dem Aus.
(KU)


  1. Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.2.1987, S. 1.
Records
Additional Information
  • Hessischer Landtag, 11. Wahlperiode, Plenarprotokoll 11/93 vom 5.11.1986, 93. Sitzung: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technik zu dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN betreffend Genehmigung der Hanauer Atomfabriken, [Erklärung Börner] S. 5403-5406, als elektronische Ressource online unter der Adresse URL: http://starweb.hessen.de/cache/PLPR/11/3/00093.pdf (eingesehen am 9.2.2016)
  • Wikipedia: Holger Börner (eingesehen am 9.2.2016)
  • Wikipedia: Joschka Fischer (eingesehen am 9.2.2016)
Hebis-Klassifikation
406110 ,Parteien und Politiker
Hebis-Schlagwort
Hessen ; Koalitionen ; Landtagswahlen ; SPD ; Gruene ; CDU
Recommended Citation
„Rücktritt des hessischen Umweltministers Joschka Fischer, 9. Februar 1987“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/1532> (Stand: 26.11.2022)
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