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Misserfolg und Theaterskandal bei der Uraufführung des Stücks „Vatermord“ von Arnolt Bronnen in Frankfurt, 22. April 1922

Die Uraufführung des expressionistischen Schauspiels „Vatermord“ aus der Feder des österreichischen Schriftstellers und Regisseurs Arnolt Bronnen (1895–1959) am Schauspielhaus in Frankfurt am Main wird ein spektakulärer Misserfolg. Die Aufführung des Einakters unter der Regie von Wolfgang Harnisch macht als Theaterskandal anschließend reichsweit Schlagzeilen und lässt den jungen Autor des heftig diskutierten „Generationsstücks“ über Nacht bekannt werden. Das Stück entstand in einer ersten Fassung bereits 1915. Der bis 2001 am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur an der Eberhard Karls Universität Tübingen lehrende und forschende Germanist Jürgen Schröder (geb. 1935) fasste den Inhalt des Stückes gegen Ende der 1960er Jahre folgendermaßen zusammen:

Der Vater „Fessel“ – ein „armer Hund“, subalterner Schreiber, Alkoholiker, prügelnder Familientyrann aus dem ohnmächtigen Groll des Getretenen und Gescheiterten – will seinen Sohn Walter, der vor der Matura steht, zum willigen Werkzeug seiner proletarischen Rache abrichten: „Daß du Rechtsanwalt wirst, und für die Arbeiter eintrittst, und dein Blut rächst.“ Walter aber, erstickend an der Enge, an der hilflosen Knechtschaft des Sohnes und am panischen Blutandrang der Pubertät, will hinaus ins Freie, hinaus aufs Land […] Nach einer Bettszene mit dem perversen Freund Edmund, der ihn „verderben“ will, zündet der schwelende Konflikt: höhnisch verweigert der Vater die Unterschrift unter ein Freistellengesuch an eine landwirtschaftliche Schule. Der geschundene Sohn muckt auf. Sie fallen einander an, mit zügellosen Worten und Beschimpfungen, dann mit Gebärden, Fäusten und Füßen; dann wieder lauernde Familienpausen gestauter Erregung, nach denen sie wie eingesperrte Bestien mit Stuhlbeinen, Wasserschüsseln und Bügeleisen aufeinander losgehen. Die Mutter („So sonderbar jung und frisch“) wird über dieser monomanischen Vernichtungsorgie zum geilen Weibchen: abwechselnd zieht sie Sohn und Mann an ihre Brüste und stachelt Walter zum Vatermord. Tierische Brunst und Mordlust werden eins. Im Endkampf taumelt der messerstechende Sohn zwischen der nackten, lustsomnambulen Mutter und seinem schnaufenden, revolverbewehrten Vater. […]1

Die sich der Frankfurter Uraufführung anschließende Aufführungsserie endet an einigen Spielorten im Aufruhr; vereinzelt kommt es zu Handgreiflichkeiten, so zum Beispiel in Bremen. Drei Wochen nach der Uraufführung in Frankfurt am Main feiert das Stück (unter der Regie von Bertolt Brecht (1896–1956)) auch in der Reichshauptstadt Berlin Premiere. In Ulm wird das Stück noch vor seiner Premiere aufgrund eines polizeilichen Verbots wieder abgesetzt.
(KU)


  1. Zitiert nach Jürgen Schröder, Arnolt Bronnen, in: Wolfgang Rothe (Hrsg.): Expressionismus als Literatur. Gesammelte Studien, Bern u. a. 1969, S. 585-594, hier: S. .
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Hebis-Schlagwort
Bronnen, Arnolt / Vatermord;
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„Misserfolg und Theaterskandal bei der Uraufführung des Stücks „Vatermord“ von Arnolt Bronnen in Frankfurt, 22. April 1922“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/1917> (Stand: 7.12.2020)
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