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Contemporary History in Hessen - Data · Facts · Backgrounds

In Wiesbaden findet das von Arbeitsminister Fischer angestrebte Vermittlungsgespräch im Tarifkonflikt der Hessischen Metallindustrie statt, 23. August 1951

In Wiesbaden findet das vom hessischen Staatsminister für Arbeit, Landwirtschaft und Wirtschaft Heinrich Fischer (1895–1973; SPD) angeregte Vermittlungsgespräche zwischen den streitenden Parteien im Tarifkonflikt in der hessischen Metallindustrie statt. Fischer hatte am 20. August gegenüber der Industriegewerkschaft Metall und dem Arbeitgeberverband der hessischen Metallindustrie eine entsprechende Einladung ausgesprochen. An dem Gespräch nehmen als Vertreter des Arbeitsministeriums neben Fischer noch der Ministerialdirektor Reuss und der seit Februar 1951 amtierende neue hessische Landesschlichter Arbeitsgerichtsdirektor Dr. Ebel teil, seitens der IG Metall Bezirksleitung sind Hans Eick (1906–1979), Hans Brümmer (1886–1966), Hermann Kutschbach und August Kriegshäuser vertreten. Der Arbeitgeberverband wird durch die Herren Eichler, Jäger, Hoeller und Schäfer repräsentiert. Weiterhin nimmt auch der Landesvorstand der DAG mit den Herren Mausbach, Franke und Benedickt an dem Gesprächstermin teil.1

Fischer will beide Seiten zu Kompromissen bewegen

Arbeitsminister Fischer verfolgt bei den Gesprächen weiterhin die bereits in seinem Brief an die Metallgewerkschaft vom 20. August deutlich gewordene Absicht, beide Streitparteien zu einer Kompromisslösung zu bewegen, an ihre Verpflichtung dem gesellschaftlichen „Gemeinwohl“ gegenüber zu appellieren und wirtschaftsschädigende Kampfmaßnahmen zu vermeiden. Das Sitzungsprotokoll notiert zu dieser Haltung: „Herr Staatsminister Fischer teilt nochmals seine Beweggründe zum Eingreifen in den Streik mit. Aus einem Kampf bleibe immer eine Erbitternis zurück. Wir sässen alle gemeinsam bei drohenden Gefahren in einem lecken Boot. Wie sollten wir mehr Kraft finden, wenn wir in innerer Verbitterung stünden. Die Frage von heute sei vielmehr die, wie wir unsere inneren Kräfte fester gestalten könnten, zum Wohle des Ganzen. Er möchte gern das Äusserste verhindern und hätte sich deswegen auch eingeschaltet.2

Arbeitgeberverband fordert Erfüllung von Vorbedingungen

Die Kommission des Arbeitgeberverbandes beharrt im Verlauf der Unterredungen jedoch auf Vorbedingungen, ohne deren Erfüllung nach ihrer Ansicht keine Lösung des Tarifkonflikts gefunden werden kann:
(1.) Vor dem Eintritt in Verhandlungen über konkrete Lohnerhöhungen seien grundsätzliche Fragen der Lohnfindung und der Berechnung der Preisindexziffern3 besprochen werden.
(2.) Die verteilungspolitische Variante der gewerkschaftlichen Lohnforderungen könne nicht auf Landesebene, sondern nur in Spitzengesprächen zwischen Gesamtmetall und dem Vorstand der IG Metall behandelt und gelöst werden.
(3.) Lohnverhandlungen könnten insgesamt nur ohne Streikdrohung beginnen.4

Anders als die Arbeitgeberseite, die mit den genannten Vorbedingungen an der im Juli durch den Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft ausgesprochenen Empfehlung zur lohnpolitischen Strategie der Unternehmer festhält („bei etwaigen Verhandlungen den gestellten Forderungen nicht zu entsprechen“) weichen die Vertreter der Metallgewerkschaft von ihrer bisher offensiv vertretenen Lohnforderung ab und stellen die bislang einheitlich zum Ziel der Verhandlungen gemachte Erhöhung des Arbeiter-Stunden-Ecklohns um 12 Pfennig zur Disposition: es sei vorstellbar, die Forderung gemäß den wirtschaftlichen Bedingungen der einzelnen Betriebe aufzusplittern. Die unnachgiebige Haltung der Arbeitgebervertreter bedeutet das Scheitern des von Staatsminister Fischer angestoßenen Vermittlungsversuchs. Der Standpunkt der in Wiesbaden beteiligten Kommission wird am Nachmittag des 23. August auf einer Beiratssitzung des Arbeitgeberverbandes der hessischen Metallindustrie nochmals bekräftigt und die Möglichkeit von Lohnverhandlungen ohne Berücksichtigung der drei formulierten Vorbedingungen verneint: „Wir müssen es aber ablehnen, mit der Industriegewerkschaft Metall über die Höhe der Lohnforderung zu verhandeln, bevor über die Frage ihrer Berechtigung und der wirtschaftlichen Verantwortbarkeit Klarheit besteht.“5
(KU)


  1. Der Landesvorstand der Deutschen Angestelltengewerkschaft DAG war anfangs nicht von Fischer eingeladen worden und wurde erst nach einem Beschwerdebrief an das Ministerium hinzugezogen.
  2. Protokoll über das Gespräch am 23.8.1951, hier zitiert nach Bettien, Arnold: Arbeitskampf im Kalten Krieg : hess. Metallarbeiter gegen Lohndiktat u. Restauration, Marburg 1983 (zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1982 u. d. T.: Bettien, Arnold: Arbeitskämpfe in der Gründungsphase der Bundesrepublik), S. 158.
  3. Die Gewerkschaft hatte den Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln zu einem Hauptargument ihrer Forderungen gemacht. Diesem Argument wurde vom Arbeitgeberverband heftig widersprochen.
  4. Bettien, Arnold: Arbeitskampf im Kalten Krieg (wie Anm. 2), S. 158-159.
  5. Abschrift eines Schreibens des Arbeitgeberverbandes der hessischen Metallindustrie an den Hessischen Arbeitsminister vom 23.8.1951, hier zitiert n.: Bettien, Arnold: Arbeitskampf im Kalten Krieg (wie Anm. 2), S. 160.
Records
Recommended Citation
„In Wiesbaden findet das von Arbeitsminister Fischer angestrebte Vermittlungsgespräch im Tarifkonflikt der Hessischen Metallindustrie statt, 23. August 1951“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/4711> (Stand: 27.11.2022)
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