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Anschlag der Roten Armee Fraktion auf das Frankfurter Hauptquartier der US-Armee, 11. Mai 1972

Das Kommando „Petra Schelm“1 der Roten Armee Fraktion (RAF) verübt einen Bombenanschlag auf das Offizierskasino („Terrace Club“) des 5. Armeekorps der amerikanischen Streitkräfte in Westdeutschland, das seinen Sitz im ehemaligen I.G. Farben Haus (im US-Jargon „Farben-Building“) in Frankfurt am Main hat. Bei dem Anschlag kommt der amerikanische Bataillonskommandeur Oberstleutnant Paul A. Bloomquist (geb. 1932) ums Leben, 13 weitere Personen werden durch die Explosion verletzt. Es ist der erste Terroranschlag der sogenannten ersten Generation von RAF-Mitgliedern auf staatliche bzw. US-amerikanische Einrichtungen in Deutschland und zugleich der erste, bei dem ein Mensch getötet wird.
Gegen 19 Uhr detonieren zwei Sprengsätze im I.G. Farben-Haus, dessen Foyer völlig zerstört wird. Eine weiterer Explosionskörper (selbstgebastelte Rohrbomben mit Batterie- und Uhrenzündung) verwüstet den Eingangsbereich des dahinter liegenden Terrace-Club, hier wird der mehrfach dekorierte Vietnam-Veteran Bloomquist durch umherfliegende Glasscherben schwer getroffen und erliegt wenig später im amerikanischen Militärkrankenhaus seinen Verletzungen. Ein Bekennerschreiben, das als „Kommandoerklärung“ vom 14. Mai 1972 wenige Tage später auftaucht, erläutert die Motive der Terroristen in folgendem Wortlaut:
Für die Ausrottungsstrategen von Vietnam sollen Westdeutschland und West-Berlin kein sicheres Hinterland mehr sein. Sie müssen wissen, daß ihre Verbrechen am vietnamesischen Volk ihnen neue, erbitterte Feinde geschaffen haben, daß es für sie keinen Platz mehr geben wird in der Welt, an dem sie vor den Angriffen revolutionärer Guerilla-Einheiten sicher sein können.2
Einen zentralen Hintergrund des Attentats stellt die am Tag zuvor angelaufene Luftoffensive der amerikanischen Streitkräfte in Vietnam dar, die als „Operation Linebacker (I)“ bis Oktober 1972 hauptsächlich zur Bekämpfung des Nachschubs der seit Ende März nach Süden vorrückenden nordvietnamesischen Volksarmee durchgeführt wird.
Darüber hinaus bekräftigen die Anführer der „1. Generation“ der RAF Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe einige Jahre später in den im Stammheimer Prozess eingereichten Beweisanträgen, dass das ehemalige I.G. Farben-Gebäude nicht nur die Europazentrale der amerikanischen Streitkräfte und das Hauptquartier des V. US-Korps beherbergt, sondern auch Sitz des europäischen Hauptquartiers des einflussreichsten amerikanischen Nachrichtendienstes, der National Security Agency (NSA) ist. Damit ergibt sich nach Darstellung der Täter als weiteres Motiv die Absicht, mit dem Anschlag das wichtigste Geheimdienstzentrum der USA und der NATO in Europa zu treffen, zu dessen Aufgaben auch die Unterstützung des US-Militärs im Vietnamkrieg zählt.
Im Rahmen der später so betitelten „Mai-Offensive“ kommt es am 12., 15., 19. und am 24. Mai zu weiteren Anschlägen der RAF, bei denen insgesamt drei Menschen getötet und 54 verletzt werden. Das I.G. Farben-Haus wird 1976 und 1982 erneut zum Ziel terroristischer Anschläge, diesmal des militanten linksextremistischen Netzwerks „Revolutionäre Zellen“.
Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe werden am 28. April 1977 vom Oberlandesgericht Stuttgart unter anderem für die Beteiligung an den Bombenanschlägen vom 11. Mai 1972 zu lebenslanger Haft verurteilt. Es bleibt jedoch ungeklärt, wer für welchen Teil der Tat verantwortlich ist, und ob weitere Personen an der Vorbereitung und Durchführung beteiligt waren. Die Zünder der bei dem Anschlag verwendeten Sprengkörper stammen aus einem Einbruch in mehrere Gebäude eines Basaltsteinbruchs am Ortsrand der nordhessischen Ortschaft Oberaula (Schwalm-Eder-Kreis) am 2. April 1972.
(KU)


  1. Das RAF-Mitglied Petra Schelm, geb. 1950, wurde am 15. Juli 1971 in Hamburg bei einem Schusswechsel mit der Polizei tödlich verwundet.
  2. Labourhistory.net: Bekennerbrief der RAF vom 14. Mai 1972 zu dem Anschlag auf das Hauptquartier des V. Armeekorps in Frankfurt (Kopie des Originals) (eingesehen am 4.5.2012)
Records
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.5.1972, S. 51: Schwere Explosionen am IG-Hochhaus: Ein Todesopfer / Verwüstungen am Hauptquartier und am „Terrace Club“
Recommended Citation
„Anschlag der Roten Armee Fraktion auf das Frankfurter Hauptquartier der US-Armee, 11. Mai 1972“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/207-034> (Stand: 11.5.2023)
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