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Georg-Büchner-Preis an Elfriede Jelinek, 17. Oktober 1998

Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek (geb. 1946) bekommt den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen.

„Jelinek ist in den achtziger Jahren vor allem durch Romane wie ‚Die Klavierspielerin‘ und ‚Lust‘ bekannt geworden, in denen sie Familie und Liebe als einen brutalen, von sexuellen Grausamkeiten durchzogenen Kampf darstellt. Ihren Haß auf ihre Heimat hat sie unter anderem in ihrem Roman ‚Die Kinder der Toten‘ von 1995 geschildert. Daneben hat sie in Theaterstücken, Hörspielen und Drehbüchern das Geschick der Frau in dieser Gesellschaft als Geschichte ihrer Vernichtung beschrieben. Im Januar hatte das Wiener Burgtheater ihr ‚Sportstück‘ mit viel Erfolg uraufgeführt“, berichtet das Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ anlässlich der Preisverleihung.1

Jelinek stößt mit ihren Texten und Theaterstücken stets auf Irritation und Unverständnis und „hat ein großes Gespür für Provokationen.“2 Sie thematisiert Geschlechterverhältnisse, Sexualität und Gewalt und ihren Hass auf Österreich auf schonungslose und ehrliche Art.3 Zudem bezeichnet sich Elfriede Jelinek als Radikalfeministin, und will künftig, so die F.A.Z., da sie sich „in Österreich wegen kritischer Analysen zu den Themen Sexualität, Gewalt und Macht und wegen ihrer radikalfeministischen Haltung nicht genug anerkannt fühlt, ihre Stücke nur noch vom Berliner Ensemble uraufführen lassen. In den bisherigen Bühnenstücken befaßte sie sich unter anderem mit Ibsens ‚Nora‘, mit Clara Schumann oder mit der nationalsozialistischen Vergangenheit berühmter Burgtheater-Schauspieler, mit Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz.“4

Für ihr provokantes, radikales und ungemütliches Werk, erhält sie nun den mit 60.000 DM ausgezeichneten Georg-Büchner-Preis als erst fünfte Frau überhaupt in der Geschichte des Literaturpreises seit 1951. Die Preisverleihung findet im Rahmen der alljährlichen Herbsttagung der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt statt. Eine Laudatio auf Jelinek hält der Literaturkritiker und Theaterintendant Ivan Nagel (1931–2012), der die Geschlechterdarstellungen Jelineks in ihren Romanen und Dramentexten analysiert.5 Jelinek selbst nutzt ihre Dankrede für eine ausführliche Reflexion über das Schriftstellerinnendasein, dessen Möglichkeiten und Grenzen.6

Der Georg-Büchner-Preis wurde 1921 vom Land Hessen und der Stadt Darmstadt gestiftet, um Dichter*innen, Künstler*innen, Schauspieler*innen und Sänger*innen aus Hessen auszuzeichnen. Seit 1953 fungiert der Stiftungspreis als Literaturpreis, der durch die in Darmstadt ansässige Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung an „Schrift­stellerinnen und Schrift­steller, die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervor­treten und die an der Gestaltung des gegen­wärtigen deutschen Kultur­lebens wesentlichen Anteil haben“ vergeben wird.7
(NT)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.5.1998, S. 1: Elfriede Jelinek erhält den Büchner-Preis.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.5.1998, S. 41: Der schrille Ton.
  3. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.10.1998, S. 26: „Klage über den Verlust von Güte und Herzlichkeit“.
  4. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.10.1998, S. 26: „Klage über den Verlust von Güte und Herzlichkeit“.
  5. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Elfriede Jelinek: Laudatio.
  6. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Elfriede Jelinek: Dankrede.
  7. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis
Records
Additional Information
Recommended Citation
„Georg-Büchner-Preis an Elfriede Jelinek, 17. Oktober 1998“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/5575> (Stand: 9.12.2022)
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