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Hessischer Kultusminister Ludwig von Friedeburg legt sein Amt nieder, 4. Dezember 1974

Der hessische Kultusminister Ludwig von Friedeburg (1924–2010; SPD) erklärt auf einer Klausurtagung der SPD in Bad Orb den Verzicht auf sein Amt, nachdem die FDP seine Ablösung gefordert hat.

Friedeburg, ehemaliger Direktor des Instituts für Soziologie an der Freien Universität Berlin, amtiert seit 1969 als Kultusminister der SPD-Regierung unter Ministerpräsident Albert Osswald (1919–1996). Osswald, Anfang Oktober 1969 zum Nachfolger des aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Georg August Zinn (1901–1976; SPD) gewählt, führte zunächst eine SPD-Alleinregierung. Stimmenverluste (bzw. das deutliche Erstarken der Union) bei der Landtagswahl am 8. November 1970 zwingen ihn zu Koalitionsverhandlungen mit der FDP zur Bildung eines sozialliberalen Regierungsbündnisses nach Bonner Muster.

Die politische Linie des sich seit Jahren für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem einsetzenden amtierenden Kultusministers bildet nach Ansicht der Freien Demokraten dabei jedoch ein großes Hindernis: insbesondere Friedeburgs Bemühungen zur Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems in hessischen Gesamtschulen stoßen auf vielfach erbitterten Widerstand. Kernziele der von ihm betriebenen Schulpolitik (die Umwandlung der 5. und 6. Klassen in schulformübergreifende Förderstufen, die Umwandlung aller weiterführenden Schulen in Gesamtschulen und die Neufassung der Lehrplaninhalte in Deutsch und Gesellschaftskunde), vor allem aber die von ihm 1972/73 vorgelegten Rahmenrichtlinien für die Grund- und Mittelstufe und die Gymnasien: eine tendenzielle Abkehr vom Lernziel Deutsch als Hochsprache im Deutschunterricht,1 die Abschaffung des Geschichtsunterrichts zu Gunsten des neuen Fachs Gesellschaftslehre, und die Gestaltung des Deutsch- und Gesellschaftslehreunterrichts, nach inhaltlichen Vorgaben, welche an emanzipatorischen, gesellschaftskritischen Sozialisations- und Kommunikationstheorien orientiert sind.

Um Gefahren für die Koalitionsfähigkeit der sozialliberalen Bündnispolitik sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene aus dem Weg zu räumen beugt sich Friedeburg schließlich dem Unwillen über seine unpopuläre Kulturpolitik. Auf Druck der FDP, sowie der Bonner und einiger Wiesbadener Parteispitzen der SPD verzichtet der Soziologe auf das Amt des Kultusministers. Nach Ankündigung seines Verzichts erklärt er: „Ich sehe nun für meine Partei gegenüber den Freien Demokraten eine veränderte Situation, die es ihr gestattet, um so nachdrücklicher unsere Bedingungen in die nächste Verhandlungsrunde einzubringen“. Er wisse um die großen Widerstände in der eigenen Partei gegen diesen Entschluss, habe sich es jedoch reiflich überlegt. Ausschlaggebend sei für ihn die Überlegung gewesen, die hessische SPD nicht in eine Oppositionsrolle hineinzutreiben.2
(KU)


  1. Vgl. dazu DER SPIEGEL 12/1974, 18.3.1974, S. 136-143: Feuer auch von links? (eingesehen am 19.10.2016), hier: S. 138.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.12.1974, S. 1.
Records
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„Hessischer Kultusminister Ludwig von Friedeburg legt sein Amt nieder, 4. Dezember 1974“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/1350> (Stand: 4.12.2022)
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