Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Contemporary History in Hessen - Data · Facts · Backgrounds

Schwere Krawalle wegen Fahrpreiserhöhungen in Frankfurt, 27. Mai 1974

Am ersten Werktag nach der Einführung des Frankfurter Tarif- und Verkehrsverbundes finden in Frankfurt am Main wegen der damit verknüpften Fahrpreiserhöhungen schwere Krawalle statt. Dabei blockieren rund zweitausend Demonstranten, die zumeist von einer großen Zahl schaulustiger Passanten umgeben sind, die Straßenbahnschienen vor der Katharinenkirche, stürzen Bänke und Blumentöpfe auf der Zeil um und versuchen, daraus Sperren auf den Schienen zu errichten. Gegen die anrückenden Wasserwerfer der Polizei fliegen an der Hauptwache und später auch in der Nähe der Konstablerwache Steine, Schotter und Bruchstücke zerstörter Gegenstände. Ein Teil des „harten Kerns“ der Demonstranten zieht sich zeitweise an den Paulsplatz zurück, wo Betonklötze auf die Straße gerollt werden.

Gewalt auf beiden Seiten, rücksichtsloses Vorgehen der Polizei

Die Polizei geht, späteren Schilderungen in der Presse zufolge, rücksichtslos gegen die Ausschreitungen vor und richtet die Rohre der Wasserwerfer, die ein dichtes Gemisch aus Wasser und Tränengas verschießen, „wahllos auf alles, was sich bewegte“1. Flüchtende werden von Polizeibeamten verfolgt, „die auf Gestürzte und Liegende zu mehreren einschlugen. Es kam zu Verfolgungsjagden, bei denen mehrere Polizisten sich einzelne Demonstranten herausgriffen, sie schlugen und anschließend festnahmen oder laufenließen. Es kam an der Zeil/Ecke Stiftstraße zu dem Auftritt eines Einsatzkommandos behelmter und mit Stock und Schild ausgerüsteter Polizei, das auf Umstehende ohne Ansehen der Person für Minuten einschlug und bei Näherkommen von Bereitschaftspolizei aus der Stiftstraße und von der Zeil her im Laufschritt in den wegen der zahlreichen aufgefahrenen Polizeiautos unübersichtlichen Raum nach. der Hauptwache hin verschwand.“2 Der Straßenbahnverkehr auf der Zeil muss kurz nach 15 Uhr vollständig eingestellt werden. Später kommt auch der Autoverkehr an der Hauptwache zum Erliegen. Die Polizei geht nach der Aufforderung, die Schienen vor vor der Katharinenkirche zu räumen, mit Wasserwerfern und gezogenen Knüppeln gegen die Demonstranten vor. Es gelingt den Beamten zwar nicht, die Schienen freizuräumen, kann aber die Masse der Demonstranten und zahlreiche Schaulustige Schritt für Schritt um Distanzen von weniger als hundert Meter abdrängen und so eine wachsende Fläche im Zentrum der Einkaufsmeile kontrollieren. Trotz des massiven Polizeieinsatzes ist es bis zum Abend nicht möglich, den Ring der Demonstranten und der umstehenden Bevölkerung aufzulösen.3

Schülerproteste gegen die Fahrpreiserhöhungen am Vormittag

Die sowohl von Seiten der Ordnungskräfte als auch von Seiten der Demonstranten durch Gewaltanwendung begleiteten Proteste richten sich gegen den offiziell bereits am Vortag eingeführten gemeinsamen Tarif des Frankfurter Verkehrs- und Tarifverbundes (FVV), der für die Verkehrsmittel der Stadtwerke Frankfurt und den Regionalverkehr der Deutschen Bundesbahn (inklusive der Bahnbusse) Gültigkeit besitzt. Ihren Anfang nehmen die Ausschreitungen am Vormittag gegen 11 Uhr, als etwa einhundert Schüler zwischen zwölf und 17 Jahren vergleichsweise friedlich auf der Zeil gegen die Fahrpreiserhöhung protestieren. Die Jugendlichen stoppen für wenige Minuten einige Straßenbahnen, bis sie von einigen Polizeibeamten ohne Anwendung von Gewalt von den Gleisen gedrängt werden. Als sich die Zahl der auf die Gleise tretenden Schüler, die teilweise in geschlossenen Gruppen geschlossen von einzelnen Schulen herankommen, später weiter erhöht, bildet die Bereitschaftspolizei ein Spalier, um den Straßenbahnwagen die Durchfahrt zu ermöglichen. Nach Beruhigung der Lage wird die Bereitschaftspolizei um die Mittagszeit zunächst wieder abgezogen.

Vorfälle in der Frankfurter Innenstadt bereits am vorangegangenen Wochenende

Mehrere junge Männer sind bereits am vorangegangenen Samstag, den 25. Mai, bei Vorbereitungen für eine Demonstration gegen die Fahrpreiserhöhungen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung und Beleidigung von der Polizei vorübergehend festgenommen worden. Bei dem Versuch, einen Lautsprecher an einem Blumenkübel auf der Zeil zu befestigen, kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf zwei Beamte leicht verletzt wurden. Nach dem Eintreffen von Verstärkung, gelang es den Ordnungskräften, insgesamt vier Männer festzunehmen. Nach Angaben der Polizei handelte es sich dabei um zwei Studenten, einen Drucker und einen Schüler im Alter zwischen 20 und 24 Jahren. Nach Feststellung ihrer Personalien wurden die jungen Männer wieder auf freien Fuß gesetzt. Am gestrigen Sonntagmorgen wird auf dem Radweg unmittelbar neben dem Gleiskörper der Straßenbahn-Linie 27 in der Oberschweinstiegschneise eine Sprengpatrone ohne Zünder gefunden.
(KU)


  1. So die Frankfurter Allgemeine Zeitung am folgenden Tag, den 28. Mai 1974, S. 29.
  2. Zitiert nach ebd.
  3. Vgl. ebd.
Records
Additional Information
  • Grimminger, Horst: Hausbesetzungen in Frankfurt. Chronik eines Konflikts, seine politischen und ökonomischen Hintergründe und Konsequenzen, in: HeBIS Beiträge zur Konfliktforschung 6. Jg. (1976), H. 3, S. 91 ff.
Recommended Citation
„Schwere Krawalle wegen Fahrpreiserhöhungen in Frankfurt, 27. Mai 1974“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/1340> (Stand: 29.6.2023)
Events in April 1974 | May 1974 | June 1974
WedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFri
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31