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Schwerer alliierter Bombenangriff auf das Zentrum von Kassel und Zerstörung der Landesbibliothek im Fridericianum, 8. - 9. September 1941

Nach fast elfmonatiger Unterbrechung1 greifen britische Bomber wieder Industrieanlagen und Wohngebiete in Kassel an. Etwa 60 bis 70 Maschinen attackieren von 23:32 bis etwa 3:00 Uhr die Innenstadt in drei Wellen und werfen schätzungsweise 270 Spreng- und 6.000 Brandbomben ab, die Wohnflächen, Verkehrsanlagen und öffentliche Einrichtungen treffen, darunter vor allem den Hauptbahnhof und die Umgebung des Friedrichsplatzes. Besonders betroffen ist die Landesbibliothek im Fridericianum, wo das durch Dutzende abgeworfener Brandbomben ausgelöste Feuer große Teile der wertvollen Bestände vernichtet.2 In der Innenstadt werden außerdem das „Rote“ kurfürstliche Residenzpalais (Friedrichsplatz) und das Palais Reichenbach (Obere Königsstraße) stark beschädigt, im Roten Palais führt ein Brand zum Einsturz der Oberdecken. Auch hier kann nur ein Teil des künstlerisch-wertvollen Mobiliars gerettet werden. Die eigentlichen Ziele des Angriffs, die Fabrikanlagen der Firmen Henschel & Sohn und Waggonfabrik Gebrüder Credé & Co. in Niederzwehren, werden von den britischen Bombern (zweimotorige Flugzeuge der Typen Handley Page H.P.52 Hampden, Armstrong Whitworth Whitley und Vickers Wellington) weitgehend verfehlt.
Der einige Wochen später in den Kasseler neuesten Nachrichten abgedruckte offizielle Bericht des für Kassel zuständigen Betriebsluftschutzleiters der Landesverwaltung resümiert die Folgen der Bombardierung in folgenden Worten3:
In der Nacht vom 8. zu 9. September wurde Kassel von britischen Fliegern angegriffen. Sinnlos wurden Brand- und Sprengbomben in größerer Anzahl ausschließlich auf Wohnhäuser abgeworfen. Besonders ruchlos ist die Vernichtung der Kulturdenkmäler des Roten Palais und der Landesbibliothek. Größere Gebäudeschäden traten ein auf dem Friedrichsplatz und in dem Gebiet Königstor-Weigelstraße. An Verlusten sind bei der Bevölkerung fünfzehn Tote und 35 Verletzte zu beklagen. Infolge Explosionsgefahr einiger Blindgänger mußten an verschiednen Stellen der Stadt Absperrmaßnahmen getroffen werden.
(KU)


  1. Der letzte vorhergehende Luftangriff traf die Stadt Kassel in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 1940. Dabei richteten fünf abgeworfene Sprengbomben nur kleiner Schäden an.
  2. Insgesamt fallen etwa sieben Achtel der zu diesem Zeitpunkt in der Landesbibliothek im Museum Fridericianum aufbewahrten Bücher unmittelbar den Auswirkungen des Brandes zum Opfer. Zahlreiche besonders kostbare Bücher und Handschriften werden durch die große Hitzeentwicklung selbst in Panzerschränken verformt oder verschmoren. Der einen bedeutenden Teil des Handschriftenbestandes beherbergende Zwehrenturm bleibt allerdings von Bombentreffern und Feuer verschont, sodass viele der wertvollsten Stücke nach dem Brand zunächst in einen Kasseler Banktresor und anschließend in Ausweichquartiere außerhalb Kassels gebracht werden können. Ein Rest der in Kassel selbst verbliebenen Bände wird bei späteren Bombenangriffen auf die Stadt vernichtet. Einige Handschriften „verschwinden“ nach der Besetzung aus den Auslagerungs-Stellen in Bad Wildungen und in der Nähe von Wanfried (heute: Werra-Meißner-Kreis) und bleiben verschollen. Zu Jahresbeginn 1947 beziffert sich der Bestand der Landesbibliothek, auf Grund Raummangels zur Hälfte noch in den Bergungsstätten untergebracht, durch planmäßige Neubeschaffung, Geschenkgaben, usw. bereits wieder im Wachsen begriffen, auf rund 70.000 Bände. Vgl. Georg Leyh, Die deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken nach dem Krieg, Tübingen 1947, S. 129.
  3. Bericht des Betriebsluftschutzleiters der Landesverwaltung über den Einsatz der Luftschutzkräfte beim Luftangriff auf Kassel in der Nacht vom 8./9. September 1941, abgedruckt in: Kasseler neueste Nachrichten, vom 10. Oktober 1941, hier zitiert nach Christopher Koch, Flächenbombardierung als Kriegsmittel: die Luftangriffe auf Kassel im Zweiten Weltkrieg, München u.a. 2003, S. 75.
Records
Additional Information
Hebis-Schlagwort
Weltkrieg, 1939-1945; Kriegsschaden
Recommended Citation
„Schwerer alliierter Bombenangriff auf das Zentrum von Kassel und Zerstörung der Landesbibliothek im Fridericianum, 8. - 9. September 1941“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/4630> (Stand: 4.6.2021)
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