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Aufnahmestopp für Asylbewerber in Frankfurt, 2. Juli 1980

Der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main weigert sich, weitere Asylbewerber aufzunehmen.

Oberbürgermeister Walter Wallmann (1932–2013, CDU) verkündet einen Aufnahmestopp Geflüchteter in der Stadt Frankfurt am Main und äußert sich in der Begründung, „Frankfurt sei objektiv nicht mehr imstande, weitere Asylanten aufzunehmen. Die Verweigerung von Duldungsbescheinigungen sei nicht auf fehlenden guten Willen zurückzuführen, sondern sei eine dringend gebotene Notwendigkeit“.1 Der Bau eines Sammellagers für Geflüchtete in Frankfurt könne „angesichts der Tatsache, daß der Ausländeranteil in der Stadt weit über zwanzig Prozent betrage“ nicht in Frage kommen.2

Bei Innenminister Ekkehard Gries (1936–2001, FDP) stößt die rigorose Anordnung Wallmanns auf großen Unmut. Er bezeichnet die Handlungen Wallmanns als „schlechten Stil“3 und zeigt sich besonders verärgert darüber, dass sich der Oberbürgermeister außerdem weigere, Duldungsbescheinigungen an Geflüchtete, die am Frankfurter Flughafen ankommen, auszustellen. Er sagt weiter, er sei „bereit, das Frankfurter Verhalten vorübergehend zu tolerieren. Wenn es in Hessen erst ein Sammellager für Asylbewerber gebe werde die Stadt ihre Haltung ändern müssen.“4

Der in Frankfurt durchgeführte Aufnahmestopp gibt in den kommenden Tagen Anlass für hitzige Debatten und Organisationsschwierigkeiten. Während in Frankfurt ankommende Geflüchtete von Behörde zu Behörde geschickt werden und die Bedingungen der Aufnahme unklar bleiben, beschließt die Frankfurter Flughafengesellschaft, den Transitbereich für Asylsuchende, die ihren Antrag bereits gestellt haben, nur noch nachts und am Wochenende offenzuhalten. Die Politik des Oberbürgermeisters wirkt sich im Endeffekt also auf die Geflüchteten aus, die weder eine gesicherte Bleibe noch sichere Informationen über ihr Asylverfahren bekommen können.5

Wenige Wochen später später weist der Innenminister Wallmann dazu an, den Aufnahmestopp aufzuheben, da dieser rechtswidrig sei. Die Stadt habe sich nicht an einen Erlass des Innenministeriums vom 26. Juli 1977 gehalten, der bestimmt, daß eintreffende Asylsuchende zunächst auf dem Gebiet der Bundesländer bleiben, in denen sie angekommen sind, und die betroffenen Gemeinden und Städte den Flüchtlingen die Duldungsbescheinigungen ausstellen müssen.6 Auch der Vorsitzende der SPD-Fraktion des Hessischen Landtags, Horst Winterstein (1934–2006, SPD), kritisiert die Asylpolitik Wallmanns scharf. „Wer, wie Wallmann, Asylbewerber über Hunderte von Kilometern verschicke, wohl wissend, daß sie am Zielort nur in unzumutbaren Unterkünften untergebracht würden, der müsse sich die Frage gefallen lassen, wie er es mit dem Asylrecht und dem Schicksal von Menschen halte“, äußert er sich in seiner Rede im Hessischen Landtag.7 Ministerpräsident Holger Börner (1931–2006, SPD) sagt in seiner Ansprache: „Ich habe kein Verständnis für Parteifreunde, die zwar das Kommunalwahlrecht für Ausländer fordern, in ihrer Gemarkung aber die Aufnahme von Asylbewerbern ablehnen. Ich schäme mich für den Mangel an Solidarität, wie er sich in einzelnen Stellungnahmen ausgedrückt hat.“ Wallmann, der von seiner Position nicht abweichen möchte und den Aufnahmestopp nicht zurückzieht verlässt indes mitsamt der kompletten CDU-Landtagsfraktion den Saal.8
(NT)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.1980, S. 43: Wallmann setzte sich beim Innenminister wegen der Asylbewerber durch.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.1980, S. 43: Wallmann setzte sich beim Innenminister wegen der Asylbewerber durch.
  3. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.1980, S. 43: Wallmann setzte sich beim Innenminister wegen der Asylbewerber durch.
  4. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.1980, S. 43: Wallmann setzte sich beim Innenminister wegen der Asylbewerber durch.
  5. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.7.1980, S. 31: Asylbewerber werden von Behörden hin und her geschoben.
  6. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.7.1980, S. 31: Innenminister weist die Stadt an, wieder Asylanten aufzunehmen.
  7. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.1980, S. 45: Attacke gegen Wallmann: CDU verläßt den Saal.
  8. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.1980, S. 45: Attacke gegen Wallmann: CDU verläßt den Saal.
Records
Recommended Citation
„Aufnahmestopp für Asylbewerber in Frankfurt, 2. Juli 1980“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/1430> (Stand: 26.11.2022)
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