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Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Gutes Abschneiden der SPD in Hessen bei den Reichstagswahlen, 12. Januar 1912

Die SPD erreicht bei den Reichstagswahlen in den Wahlkreise in Hessen mit 37,7 % der Stimmen acht von insgesamt 20 Sitzen.

In seinem vierteljährlichen Zeitungsbericht an den Kaiser beschäftigt sich der Kasseler Regierungspräsident Percy Graf von Bernstorff (1858–1930) ausführlich mit dem Verlauf des Wahlkampfs zu den Reichstagswahlen und diskutiert die Gründe, die zu seinem Sieg der Sozialdemokraten geführt haben:

Die öffentliche Stimmung stand im Zeichen der Reichstagswahlen, die allerorts unter regster Anteilnahme der Bevölkerung, aber ohne Störung der öffentlichen Ordnung vor sich gingen. Gewählt wurden 3 Sozialdemokraten, 2 Anhänger der Deutsch-Soziaren Partei (Wirtschaftliche Vereinigung), 1 Mitglied des Zentrums, 1 Bauembündler und 1 Mitglied der Deutschen Reformpartei. Die Deutsch-Soziale Partei verlor 3 Mandate, und zwar Kassel-Melsungen und Eschwege-Schmalkalden an die Sozialdemokraten und Fritzlar-Homberg an die Bauernbündler. Dieser Sieg der Sozialdemokratie sowie überhaupt das Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmenzahl in fast allen Wahlkreisen ist wohl teilweise darauf zurückzuführen, daß die Wahlagitation von den Sozialdemokraten viel reger als von den bürgerlichen Parteien betrieben worden ist. In einigen Kreisen haben sich die verschiedenen Richtungen der bürgerlichen Parteien in der gehässigsten Weise bekämpft und dadurch manchen verhetzten Wähler der Sozialdemokratie zugetrieben. Die steigende Verteuerung vieler Gebrauchsartikel sowie auch die strenge Durchrührung der Maßregeln zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche haben vielfach Mißstimmung unter Arbeitern und Bauern hervorgerufen und so manchen zur Abgabe eines sozialdemokratischen Stimmzettels veranlaßt. Bedauerlicherweise haben auch in zwei Kreisen (Gelnhausen und Rinteln) Mitglieder der Kriegervereine sozialdemokratische Gesinnung an den Tag gelegt. Es sind jedoch bereits durchgreifende Maßregeln ergriffen worden, um die Vereine von ungeeigneten Elementen zu säubern. Besonders stark ist in den Wahlkreisen Kassel – Melsungen und Eschwege – Schmalkalden die Empörung über den Sieg der Sozialdemokraten gewesen. Bestrebungen zur Vereinigung aller bürgerlichen Parteien zu gemeinsamer Arbeit gegen die Sozialdemokratie sind überall im Gange und haben bereits bei den hiesigen Stadtverordnetenwahlen einen Erfolg zu verzeichnen, denn es sind hierbei nur bürgerliche Kandidaten gewählt worden.

Gewählte Abgeordnete

Königreich Preußen – Provinz Hessen-Nassau – Regierungsbezirk Wiesbaden

Bartling, Eduard (1845–1927; Nationalliberale Partei; Wahlkreis 2: Eltville, Langenschwalbach, Rüdesheim, Wehen, Wiesbaden)1

Brühne, Friedrich (1855–1928; SPD; Wahlkreis 1: Obertaunus, Höchst, Usingen)2

Burckhardt, Georg (1848–1927; Christlich-soziale Partei; Wahlkreis 5: Dillkreis, Oberwesterwald)3

Dahlem, Anton (1859–1935; Zentrum; Wahlkreis 3: St. Goarshausen, Unterwesterwald)4

Hepp, Hermann (1859–1919; Nationalliberale Partei; Wahlkreis 4: Diez, Hadamar, Limburg, Runkel, Weilburg)5

Quarck, Dr. Max (1860–1930; SPD; Wahlkreis 6: Frankfurt-Stadt)6

Königreich Preußen – Provinz Hessen-Nassau – Regierungsbezirk Kassel

Herzog, Richard (1867–1950; Deutschsoziale Partei; Wahlkreis 1: Rinteln, Hofgeismar, Wolfhagen)7

Hestermann, Heinrich (1869–1952; Deutscher Bauernbund; Wahlkreis 3: Fritzlar, Homberg, Ziegenhain)8

Hoch, Gustav (1862–1942; SPD; Wahlkreis 8: Hanau, Gelnhausen)9

Hüttmann, Heinrich (1868–1928; SPD; Wahlkreis 2: Kassel, Melsungen)10

Müller, Richard (1851–1931; Zentrum; Wahlkreis 7: Fulda, Schlüchtern, Gersfeld)11

Rupp, Johann Heinrich (18747–1948; Deutschsoziale Partei; Wahlkreis 5: Marburg, Frankenberg, Kirchhain)12

Thöne, Georg (1867–1945; SPD; Wahlkreis 4: Eschwege, Schmalkalden, Witzenhausen)13

Werner, Ludwig (1855–1928; Deutsche Reformpartei; Wahlkreis 6: Hersfeld, Rotenburg (Fulda), Hünfeld)14

Königreich Preußen – Provinz Westfalen – Regierungsbezirk Arnsberg

Mumm, Reinhard (1873–1932; Christlich-soziale Partei; Wahlkreis 1: Wittgenstein, Siegen, Biedenkopf)15

Königreich Preußen – Rheinprovinz – Regierungsbezirk Koblenz

Behrens, Franz (1872–1943; Christlich-soziale Partei; Wahlkreis 1: Wetzlar, Altenkirchen)16

Großherzogtum Hessen

Becker, Jacob (1864–1949; Nationalliberale Partei; Wahlkreis 8: Bingen, Alzey)17

David, Eduard (1863–1930; SPD; Wahlkreis 9: Mainz)18

Hasenzahl, Ludwig (1876–1950; SPD; Wahlkreis 6: Erbach, Bensheim, Lindenfels, Neustadt im Odenwald)19

Heck, Ernst (1865–1939; Nationalliberale Partei; Wahlkreis 3: Alsfeld, Lauterbach, Schotten)20

Freiherr Heyl zu Herrnsheim, Dr. h.c. Cornelius Wilhelm (1843–1923; Nationalliberale Partei; Wahlkreis 7: Worms, Heppenheim, Wimpfen)21

Quessel, Ludwig (1872–1931; SPD; Wahlkreis 4: Darmstadt, Groß-Gerau)22

Strack, Adolf (1871–1934; Nationalliberale Partei; Wahlkreis 2: Friedberg, Vilbel, Büdingen)23

Ulrich, Karl (1853–1933; SPD; Wahlkreis 5: Offenbach, Dieburg)24

Werner, Dr. phil. Ferdinand (1876–1961; Wirtschaftliche Vereinigung; Wahlkreis 1: Gießen, Grünberg, Nidda)25

Fürstentum Waldeck-Pyrmont

Vietmeyer, Georg (1864–1940; Wirtschaftliche Vereinigung)26
(OV)


  1. Bartling setzte sich in der Stichwahl – wie schon bei der Reichstagswahl 1903 – mit 56,5 % der Stimmen gegen den Sozialdemokraten Gustav Lehmann (1855–1926) durch. Lehmann hatte auch dieses Mal nach dem ersten Wahlgang noch klar in Führung gelegen (35,8 % der Stimmen gegen 24,5 % für Bartling). Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 654-659.
  2. Brühne setzte sich – wie schon bei der Reichstagswahl 1907 – in der Stichwahl mit 58,8 % der Stimmen gegen Peter Marzellin Itschert (1855–1928; Zentrum) durch, der den Wahlkreis zwischen 1903 und 1907 im Deutschen Reichstag vertreten hatte. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 571-576.
  3. Burckhardt setzte sich in der Stichwahl mit 50,8 % der Stimmen (oder einem Vorsprung von nur 355 Stimmen bei 23.365 abgegebenen Stimmen) gegen den Nationalliberalen Dr. Walter Lohmann (1861–1947) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 856-863.
  4. Dahlem setzte sich im ersten Wahlgang mit 57,7 % der Stimmen gegen Heinrich Herpell (1861–1929; Nationalliberale Partei; 31,3 %) und Otto Müller (1880–1912; SPD; 10,8 %) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 731-736.
  5. Hepp setzte sich in der Stichwahl mit 51,6 % der Stimmen (oder einem Vorsprung von nur 780 Stimmen bei 24.250 abgegebenen Stimmen) gegen Friedrich Wilhelm Neu (1851/52–1934; Bürgermeister in Selters/Lahn; Konservative Partei) durch, der den ersten Wahlgang deutlich für sich entschieden hatte (46,4 % für Neu zu 32,6 % für Hepp). Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 784-789.
  6. Quarck setzte sich in der Stichwahl mit 53,3 % der Stimmen gegen Rudolf Oeser (1858–1926; Fortschrittliche Volkspartei) durch.
  7. Herzog setzte sich in der Stichwahl mit 60,9 % der Stimmen gegen den Sozialdemokraten Albert Grzesinski (1879–1947) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 98-103.
  8. Hestermann setzte sich in der Stichwahl mit 51,7 % der Stimmen (oder einem Vorsprung von nur 562 Stimmen bei 16.523 abgegebenen Stimmen) gegen den Antisemiten Johann Henningsen (1870–1947) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 206-212.
  9. Hoch setzte sich im ersten Wahlgang mit 51,6 % der Stimmen gegen insgesamt drei Kandidaten durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 504-509.
  10. Hüttmann setzte sich in der Stichwahl mit 50,9 % (oder einem Vorsprung von 797 Stimmen bei 45.703 abgegebenen Stimmen) gegen Dr. jur. Theodor Schröder (1860–1951; Nationalliberale Partei) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 165.
  11. Müller setzte sich im ersten Wahlgang mit 81,8 % der Stimmen gegen insgesamt vier Kandidaten durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 449-455.
  12. Rupp setzte sich in der Stichwahl mit 57,7 % der Stimmen gegen den Kandidaten der Demokratischen Vereinigung, Hellmut von Gerlach (1866–1935) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 316-322.
  13. Thöne setzte sich in der Stichwahl mit 54,3 % gegen Friedrich Raab (1859–1917; Deutschsoziale Partei) durch, der den Wahlkreis seit 1904 im Deutschen Reichstag vertreten hatte. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 261-266.
  14. Werner setzte sich in der Stichwahl mit 73,3 % der Stimmen gegen den Sozialdemokraten Michael Schnabrich (1880–1939; SPD) durch. Der SPD war es erstmals gelungen, in diesem Wahlkreis in die Stichwahl zu kommen. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 385-391.
  15. Mumm setzte sich im ersten Wahlgang mit 52,4 % der Stimmen gegen drei Kandidaten durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 943.
  16. Behrens setzte sich in der Stichwahl mit 54,4 % der Stimmen gegen den Nationalliberalen Hermann vom Rath (1856–1917) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 982.
  17. Becker setzte sich in der Stichwahl mit gerade einmal zwei Stimmen Vorsprung bei 24.074 abgegebenen Stimmen gegen Adolf Korell (1872–1941; Fortschrittliche Volkspartei) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 385.
  18. David setzte sich im ersten Wahlgang mit 50,2 % der Stimmen gegen drei Kandidaten durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 425.
  19. Hasenzahl setzte sich in der Stichwahl mit 56,5 % der Stimmen gegen den christlich-sozialen Kandidaten Otto Rippel (1878–1957) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 310.
  20. Heck setzte sich in der Stichwahl mit 53,5 % der Stimmen gegen Friedrich Bindewald (1862–1940; Wirtschaftliche Vereinigung), der den Wahlkreis bereits von 1893 bis 1903 und seit 1907 im Deutschen Reichstag vertreten hatte, durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 157-162.
  21. Freiherr von Heyl zu Herrnsheim setzte sich in der Stichwahl mit 66,8 % der Stimmen gegen den Kandidaten der SPD-Kandidaten Johann Engelmann (1874–1955), durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 345.
  22. Quessel setzte sich in der Stichwahl mit 56,3 % der Stimmen gegen den Nationalliberalen Dr. jur. Arthur Osann jun. (1862–1924) durch, der den Wahlkreis seit 1907 im Deutschen Reichstag vertreten hatte. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 193-195.
  23. Strack setzte sich in der Stichwahl mit 52,4 % der Stimmen gegen den Sozialdemokraten Heinrich Busold (1870–1915) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 106-110.
  24. Ulrich setzte sich im ersten Wahlgang mit 54,9 % der Stimmen gegen vier Kandidaten durch, von denen der nationalliberale Kandidat Wilhelm Brink (1848–1912) mit 18,4 % der Stimmen das zweitbeste Ergebnis erzielte. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 237.
  25. Werner setzte sich in der Stichwahl mit 52,3 % der Stimmen gegen den Sozialdemokraten Georg Beckmann (1868–1939) durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 3, Marburg 1995, S. 52.
  26. Vietmeyer setzte sich in der Stichwahl mit 50,6 % der Stimmen (oder einem Vorsprung von nur 153 Stimmen bei 12.280 abgegebenen Stimmen) gegen den Otto Nuschke (1883–1957; Fortschrittliche Volkspartei) durch. Der Deutsche Reichstag erklärt die Wahl allerdings am 7. April 1913 wegen Nichteinhaltung von Formvorschriften, Einflussnahmen vonseiten der Behörden und Behinderungen der Wahlagitation für ungültig. In der daraufhin durchgeführten Ersatzwahl setzt sich Dr. Friedrich Naumann (1860–1919; Fortschrittliche Volkspartei) in der Stichwahl mit 51,1 % der Stimmen gegen Vietmeyer, der aus dem ersten Wahlgang noch als Sieger hervorgegangen war, durch. Vgl. Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler, Bd. 1, Marburg 1989, S. 1025, 1029.
Belege
Empfohlene Zitierweise
„Gutes Abschneiden der SPD in Hessen bei den Reichstagswahlen, 12. Januar 1912“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/417> (Stand: 8.5.2023)
Ereignisse im Dezember 1911 | Januar 1912 | Februar 1912
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