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Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

8. Frauenkonferenz der SPD in Kassel, 9.-10. Oktober 1920

In Kassel findet die achte Frauenkonferenz der Mehrheits-SPD (MSPD) statt. An der zweitägigen Zusammenkunft nehmen 109 Delegierte aus dem ganzen Reich teil. Die wichtigsten Tagesordnungspunkte umfassen Fragen der politischen und organisatorischen Beteiligung der Frauen in der Sozialdemokratischen Partei (Rednerinnen: Elisabeth Röhl [1888–1930] und Toni Pfülf [1877–1933]) und der Wohlfahrtspflege und Jugendwohlfahrt (Gerda Caspary). Die Konferenz fordert, dass die Bekämpfung und Sanktionierung der Jugendkriminalität aus dem Bereich des Strafrechts herausgenommen, und in den der Erziehung eingebracht werden soll. Ferner sprechen sich die Delegierten dafür aus, die Fraktion zu einem umgehenden Verbot der gewerblichen Kinderarbeit aufzufordern. Auch die Gleichberechtigung ist ein zentrales Thema der Debatten. Die aus Kassel stammende Delegierte Elisabeth Selbert (1896–1986), Abgeordnete im Gemeindeparlament in Niederzwehren, und später als Mitglied des Parlamentarischen Rats maßgeblich an der Verankerung des Gleichberechtigungsartikels („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz) in der bundesdeutschen Verfassung beteiligt, äußert mit dem Blick darauf, dass die im Vorjahr verkündete Weimarer Reichsverfassung Männern und Frauen zwar gleiche staatsbürgerliche Rechte zugesteht, die Lebenswirklichkeit der meisten Frauen aber keineswegs diesem Grundsatz entspricht1:

Ein Gedanke [...] hat meine besondere Beachtung gefunden: nämlich der, daß wir zwar heute die Gleichberechtigung für unsere Frauen haben, daß aber diese Gleichberechtigung immer noch eine rein papierne ist. Wir müssen nun dahin wirken, daß die Gleichberechtigung in der Praxis bis zur letzten Konsequenz durchgeführt wird liegt mir fern, unseren Parlamentariern und Parlamentarierinnen einen Vorwurf zu machen; aber alle Körperschaften müssen einen subjektiven weiblichen Zug bekommen.

Zu den Paragraphen 218, 219 und 220 des Strafgesetzbuches, mit denen die Abtreibung ungeborenen Lebens im Deutschen Reich unter strenge Strafen gestellt wird, verabschiedet die Konferenz eine umfangreiche Resolution, die an die Fraktion übermittelt wird. Ein Antrag von Münchener Sozialdemokratinnen, der sozialistischen Internationale den Vorschlag zu unterbreiten, einen Internationalen Frauentag für den Weltfrieden einzuberufen, stößt genauso wie bereits im Vorjahr nicht auf allgemeine Zustimmung und wird abgelehnt.2
(KU/LV)


  1. Zitiert nach: Barbara Böttger, Das Recht auf Gleichheit und Differenz. Elisabeth Selbert und der Kampf der Frauen um Artikel 3.2 Grundgesetz, Münster 1990, S. 131.
  2. Vgl. Gudrun Hamacher (Hrsg.)/Gisela Losseff-Tillmanns (Text u. Red.)/Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland (hrsg. Körperschaft), Internationaler Frauentag. Tag der Frauen seit 75 Jahren (Schriftenreihe der IG Metall 108), Frankfurt am Main, 1985, S. 52. Der seit 1911 in mehreren Ländern begangene Internationale Frauentag („Weltfrauentag“) war im Zuge der Abspaltung enttäuschter Sozialdemokraten 1917 agitatorisch zunächst auf die USPD und schließlich auf die KPD „übergegangen“. Ab 1926 werden in Deutschland schließlich zwei Weltfrauentage gefeiert, ein kommunistischer am 8. März und ein sozialdemokratischer ohne festes Datum.
Belege
Weiterführende Informationen
  • HeBIS Sozialdemokratische Partei Deutschlands (hrsg. Körperschaft): Bericht über die [8.] Frauenkonferenz, Berlin 1920
  • HeBIS Dölle, Gilla / Hamm-Mühl, Cornelia / Wagner, Leonie: Damenwahlen: die weiblichen Stadtverordneten in Kassel 1919–1933 (Schriftenreihe des Archivs der Deutschen Frauenbewegung; 8), Kassel 1992
Empfohlene Zitierweise
„8. Frauenkonferenz der SPD in Kassel, 9.-10. Oktober 1920“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2114> (Stand: 3.3.2021)
Ereignisse im September 1920 | Oktober 1920 | November 1920
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