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Eröffnung des 45. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Kassel, 3. Dezember 1919

In Kassel tritt der 45. Kommunallandtag des Regierungsbezirkes Kassel zusammen. Die Abgeordneten werden zu diesem Zeitpunkt noch indirekt durch die Kreistage gewählt.

In seiner Eröffnungsrede geht der Landtagskommissar der preußischen Regierung, der Oberpräsident der Provinz Hessen Nassau Rudolf Schwander (1868–1950) auf die veränderten Verhältnisse ein:

Meine sehr geehrten Herren!
Die Ereignisse, die seit mehr als Jahresfrist vor sich gehen, sagen uns laut und deutlich: Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit. Auch dieser neue Kommunallandtag läßt uns dessen gedenken. Er zeigt in seiner veränderten Gestalt, daß auch an seiner Verfassung das werdende Neue sich durchgreifend betätigt.
Der neue Landtag wird darum nicht verfehlen, die Leistungen des bisherigen verständnisvoll zu würdigen. Ich meinerseits fasse gern diese Verpflichtung ins Auge. Ich gedenke dabei meines verehrten Amtsvorgängers1 und danke den Männern, die im alten Kommunallandtag Leistungen hervorgerufen haben, die im Innern befriedigte Anerkennung fanden und von außen her viel gewürdigt wurden. Wir sahen weitgreifende Meliorationen vor sich gehen. Wir sahen das Genossenschaftswesen sich blühend erheben. Eine vorsorgliche Verkehrspolitik, vervielfältigte Elektrizitätsversorgung, mustergültige Kranken- und Pfleganstalten sahen wir im Strom der Entwickelung entstehen. Die Selbstverwaltung, weit schärfer ausgebaut bei uns als bei anderen Staaten, leistete Großes durch die Heranziehung der Bürger in die Verwaltung. Die vormalige Blüte unseres Wirtschaftslebens, die draußen nicht selten neidvoll bewundert wurde, ging zum guten Teil auf solche bürgerliche Mitarbeit zurück.
Nun, meine Herren, diese Blüte hat ein schrecklicher Hagelschlag getroffen. Der schwere Niederbruch erzeugt eine ganz neue Lage. Neue Ziele muß die Zeit sich setzen. Das Volk, das große deutsche Volk, wird wieder zu sich selber kommen und Hilfe suchen bei den innersten Quellen seiner Kraft, da es sich nun darum handelt, der drohenden Zersetzung und Verelendung Trotz zu bieten. Die größte Gefahr, man kann es nie genug sagen, die größte Gefahr droht aus der volklichen Zersplitterung. Der deutsche Fehler, der hervorstechendste, ist, wie mir scheint, Mangel an politischem Gemeingeist. Auf diesen Mangel geht selbst heute, in einer Zeit, die von Gefahren überschwillt, so manche wühlende Strömung zurück, die letzten Endes das Zusammenfallen des Staates und des Reiches zur Folge hätte, das heißt das äußerste Unglück, das uns noch treffen könnte. Halten wir denn solch einem Verderblichen gegenüber mit verstärkter und engster Treue am Deutschtum fest und am einigen Reich, das die äußere Sicherung seines Bestandes darstellt. Ich fasse gerade in diesem Sinn den Regierungsentwurf vom 14. Juli 1919 auf, der die Selbständigkeit der Provinzen und Kreise erweitern will. Zwar wurde hier und da sorgenvoll das Gegenteil befürchtet, daß daraus weitere Zersplitterungstendenzen folgen könnten. Doch ich glaube, je mehr die Bürger an der Verwaltung in den landsmannschaftlichen Grenzen arbeiten, stärkt sich entsprechend der Gemeingeist überhaupt und also auch in Richtung auf die Staats- und Reichseinheit, als des an sich notwendigen Verbandes der deutschen Landsmannschaften. Hoffen wir, daß das Gesetz geeignet werde, solcher Absicht zu dienen.
Das sind nun Dinge, die erst kommen sollen. Die Neuwahl aber hat etwas Kategorisches in die Tat gesetzt: Eine Auslese unter denen, die fähig und willens sind, die Hand an den neuen Aufbau zu legen. Beauftragte der verschiedenen Volksklassen sehe ich hier zum Werke bereit. Natürlich, die Wünsche dieser Klassen gleichen einander nicht. Und sicher kann nicht nach den Wünschen nur einer Klasse die Arbeit an Reich, Staat und Provinz getan werden, da sie dem gesamten Volke dienen soll. Vielmehr muß das ganze Volk diese Arbeit leisten. Alle Kräfte, alle Mittel müssen mitarbeiten, jeder an seinem Platze, nach seinem Können. Und hinweggeräumt werden muß alles, was die Volkskraft hindert oder in schädliche Richtung lenkt. Nie waren wir auf genaue und zweckmäßige Verwendung von Kräften und Mitteln so angewiesen, wie in den kommenden Jahren der überlasteten Volkswirtschaft.
Auch liegt auf der eben bezeichneten Bahn das, was das Volk und Zeit wollen, was auch wir wollen müssen: Nicht schon hat eine Demokratie Sinn und Ziel dadurch, daß sie als solche erklärt ist und Parlament und Regierung gewählt hat. Wir erstreben den Staat, der jedem Schaffenden seinen Anteil gibt an des Schaffens Ertrag, an Kulturgut, an Möglichkeit der Kraftentfaltung, der ihm Anerkennung sichert seines religiösen und allgemeingeistigen Menschseins.
Meine Herren! Sie sind hergesandt, beladen mit dem Vertrauen des Volkes, das Sie erwählte. Ich begrüße Sie mit dem gleichen Vertrauen und spreche hierin als ein Echo des Volkes. Mögen stets im Sinne seines wahren Wohles in diesem Saale die Gedanken gelenkt und die Verhandlungen in gerechter und fachlicher Beratung gepflogen werden. Mit diesem Wunsche, meine Herren, erkläre ich im Namen der Staatsregierung den Kommunallandtag des Regierungsbezirks Cassel für eröffnet.
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Als Alterspräsident der Versammlung wirkt der 70-Jährige Rudolf Berta (parteilos), zum Vorsitzenden des Kommunallandtages wird noch am selben Tag Eduard Harnier (Demokratische Partei), zu dessen Stellvertreter Alexander von Keudell (Deutschnationale Volkspartei) gewählt.

Der Alterspräsident richtet folgende Ansprache an die Versammlung:

Meine Herren! Nach den Bestimmungen der Provinzialordnung fällt mir die Ehre zu, als ältestes Mitglied des Kommunallandtags die Geschäfte zunächst, und zwar bis zur vollzogenen Wahl des Präsidenten zu übernehmen. Sie gestatten mir vielleicht, daß ich die Sitzung mit dem Ausdrucke des Wunsches und der Hoffnung eröffne, daß die Tätigkeit, welche die Gesetzgebung Ihnen auf dem schwierigen Gebiete des Bezirksverbandes überträgt – meine Herren, eine Verwaltungstätigkeit, die so recht geeignet ist, die Kräfte aller Parteien glücklich und wirksam zu verbinden – daß diese Tätigkeit unserm alten Hessenlande und seiner Bevölkerung wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft zum wahren Segen gereichen möge. (Beifall.)3

Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des 45. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Kassel richtet Eduard Harnier folgende Ansprache an die Abgeordneten:

Meine verehrten Herren! Da Sie mich an diese Stelle berufen haben, bin ich gern bereit, auch von hieraus meine schwachen Kräfte dem Dienste des Landtages zu widmen. In überzeugenden Worten hat der Herr Oberpräsident bei Begrüßung der Versammlung darauf hingewiesen, wie notwendig es ist, daß wir in Zukunft noch mehr als bisher fest zusammen halten und daß alle Kreise der Bevölkerung durch ihre erwählten Abgeordneten an den Aufgaben, die speziell unserm Bezirksverbande obliegen, teilnehmen, weil es nur so möglich ist, durch gegenseitiges Vertrauen das Wohl des Bezirks zu fördern. Die schwere Not des Vaterlandes, in der wir stehen, wird vielleicht, so hoffe ich, allmählich überwunden. Wenn es gelungen ist, einen gemeinsamen Vorschlag für die Leitung dieser Versammlung zu finden, so begrüße ich das nicht wegen meiner Person, sondern deshalb, weil vielleicht damit die Hoffnung begründet ist, daß sich ein derartiges vertrauensvolles Zusammenarbeiten auch in der Zukunft ergeben wird. Die gegenwärtige Tagung ist ja nur kurz. Wir werden auch in der Zukunft eine gemeinsame Grundlage finden in dem, was uns alle einigt, in der Liebe zu unserer schönen hessischen Heimat. In diesem Zeichen werden wir vereint arbeiten können. (Beifall.)4

Zusammensetzung des 45. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Kassel

Mehrheitssozialdemokraten

Brunner, Heinrich (1877–1956; Lehrer; Kleinenglis; Wahlbezirk Fritzlar)
Häring, Georg Ulrich (1885–1973); Stadtverordneter, Schriftleiter; Kassel; Kreis Kassel, Stadt
Hauschildt, Richard (1876–1934); Stadtverordneter, Redakteur; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
Hildwein, Joseph (1877–1947; Lehrer; Hanau; Wahlbezirk Hanau-Stadt)
Höner, Karl (1877–1969; Betriebsleiter; Hofgeismar; Wahlbezirk Hofgeismar)
Hoßbach, Friedrich (1877–1971); Kaufmann; Eschwege; Kreis Eschwege
Jordan, August (1864–1938; Stadtrat, Rendant; Kassel; Wahlbezirk Kassel-Stadt)
Küch, Konrad (1881–1948); Bürgermeister, Schreinermeister; Hönebach; Kreis Rotenburg
Meier, Jakob (geb. 1880); Eisenbahnangestellter; Oberzwehren; Kreis Kassel-Land
Mühlhausen, Wilhelm (geb. 1893); Lehrer; Melsungen; Kreis Melsungen
Puth, Jean (1865–1933); Kom. Bürgermeister, Kaufmann; Fechenheim; Kreis Hanau-Land
Ramm, Otto (1875–1957; Flaschenmacher; Rinteln; Wahlbezirk Grafschaft Schaumburg)
Sautter, Hans (1877–1961); Stadtrat, Professor; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
Schnabrich, Michael (1880–1939); Gewerkschaftssekretär; Hersfeld; Kreis Hersfeld
Schulz, Otto (1887–1958; Lehrer; Obernkirchen; Wahlbezirk Grafschaft Schaumburg)
Selbert, Adam (1893–1965); Schriftsetzer; Niederzwehren; Kreis Kassel-Land
Sohl, Heinrich (1883–1963); Bürgermeister; Ehlen; Kreis Wolfhagen
Stein XII., Philipp (1859–1926); Beigeordneter, Weißbinder; Hochstadt; Kreis Hanau-Land
Thöne, Georg (1867–1945; Parteisekretär; Kassel; Wahlbezirk Witzenhausen)

Deutschnationale

Altstadt, Adam (1874–1946; Bürgermeister und Landwirt; Burghaun; Wahlbezirk Hünfeld)
Bredt, Dr. Victor (1879–1940); Professor; Marburg; Kreis Marburg
Breitstadt, Johannes (1858–1937); Bürgermeister; Hassenhausen; Kreis Marburg
Francke, Lic. theol. Rudolf (1862–1953); Pfarrer; Kassel; Kreis Kassel, Stadt
Gilsa, Adolf von und zu (1876–1945); Landrat; Kirchhain; Kreis Kirchhain
Grunelius, Alexander von (1869–1938); Landrat; Hersfeld; Kreis Hersfeld
Hagedorn, Ernst (1863–1941); Rittergutsbesitzer; Griemelsheim; Kreis Hofgeismar
Justi, Heinrich (1876–1945); Gutsbesitzer; Lützelwig; Kreis Homberg
Keudell, Alexander von (1861–1939); Landrat a.D.; Schloss Wolfsbrunnen; Kreis Eschwege
Metz, Wilhelm (1864–1936); Gutsbesitzer; Zennern; Kreis Fritzlar
Stapenhorst, Dr. Ernst Ulrich (1878–1965; Landrat; Frankenberg; Wahlbezirk Frankenberg)
Tuercke, Richard (1862–1930); Landrat, Geheimer Regierungsrat; Rotenburg an der Fulda; Kreis Rotenburg

Demokraten

Felde, Karl (1867–1925; Kaufmann; Schmalkalden; Wahlbezirk Herrschaft Schmalkalden)
Harnier, Dr. Eduard (1854–1936); Rechtsanwalt, Geheimer Justizrat; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
Hild, Karl (1873–1938; Oberbürgermeister; Hanau; Wahlbezirk Hanau-Stadt)
Klingelhöfer, Heinrich (1860–1933); Mühlenbesitzer; Niederwetter; Kreis Marburg
Mater, Wilhelm (1877–1951); Mühlenbesitzer; Viermünden; Kreis Frankenberg
Oberhaus, Hermann (geb. 1879; Steuersekretär; Rinteln; Wahlbezirk Grafschaft Schaumburg)
Schroeder, Dr. Theodor (1860–1951); Vorsitzender der Landesversicherungsanstalt Hessen-Nassau; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
Seibert, Wilhelm (1871–1944); Rektor; Niederzwehren; Kreis Kassel-Land
Stückrath, Konrad (1884–1952); Bürgermeister; Schlüchtern; Kreis Schlüchtern
Wasmuß, Heinrich Christian Wilhelm (1865–1943); Landwirt; Bischofferode; Kreis Melsungen

Christliche Volkspartei

Antoni, Dr. Georg (1862–1945); Oberbürgermeister; Fulda; Kreis Fulda
Arnd, Karl (1867–1934); Kaufmann; Fulda; Kreis Fulda
Brückner, Michael (1871–1936); Kalkbrennereibesitzer; Somborn; Kreis Gelnhausen
Herbert, Karl (1883–1949); Bürgermeister; Zirkenbach; Kreis Fulda
Jonas, Valentin (1865–1928); Bürgermeister; Rex; Kreis Fulda
Linker, Wilhelm (1868–1963); Bürgermeister; Neustadt; Kreis Kirchhain
Ludwig, Walter (1882–1945; Landrat; Hünfeld; Kreis Hünfeld)
Marx, Dr. Heinrich Karl Herrmann (1879–1938; Amtsrichter; Hilders; Kreis Gersfeld)
Wehner, Josef (1856–1942); Kaufmann; Poppenhausen (Wasserkuppe); Kreis Gersfeld

Unabhängige Sozialdemokraten

Heßberger, Heinrich (1873–1952); Landwirt; Bad Orb; Kreis Gelnhausen
Küllmer, Karl (1877–1942); Gewerkschaftsbeamter; Reichensachsen; Kreis Eschwege
Pappenheim, Ludwig (1887–1934); Schriftleiter; Schmalkalden; Kreis Herrschaft Schmalkalden
Reumschüssel, Karl (1884–1940); Bürovorsteher; Steinbach-Hallenberg; Kreis Herrschaft Schmalkalden

Bürgerlich

Müller, Adolf (1864–1931); Bürgermeister; Allendorf an der Werra; Kreis Witzenhausen
Schmid, Karl Christian (1886–1955); Landrat; Hanau; Kreis Hanau-Land

Parteilos

Berta, Rudolf (1849–1928); Hauptmann a.D.; Soden; Kreis Schlüchtern
Brunner, Karl (1862–1945); Bürgermeister; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
Delius, Conrad (1881–1945); Regierungsrat; Gelnhausen; Kreis Gelnhausen
Funck, Karl Freiherr von (1881–1963); Landrat; Homberg (Efze); Kreis Homberg
Steinau-Steinrück, Günther von (1881–1942); Landrat; Ziegenhain; Kreis Ziegenhain
Uslar, Adolf von (1877–1960); Landrat; Wolfhagen; Kreis Wolfhagen
Vetter, Kurt Heinrich (1862–1945); Bürgermeister; Breitenbach am Herzberg; Kreis Ziegenhain
(LV)


  1. Dabei handelt es sich um August von Trott zu Solz (1855–1938), der von September 1917 bis Juni 1919 als Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau tätig war.
  2. Verhandlungen des Communallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, Bd. 45 (1919), S. 2 f.
  3. Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Cassel vom 3. bis einschließlich 4. Dezember 1919, Cassel 1919, Sp. 3 f.
  4. Ebd., Sp. 5 f.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Eröffnung des 45. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Kassel, 3. Dezember 1919“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5380> (Stand: 3.12.2022)
Ereignisse im November 1919 | Dezember 1919 | Januar 1920
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