Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Schwere Versorgungskrise und Hungertote, Winter 1916

Im Verlauf des Ersten Weltkriegs kommt es in allen beteiligten Ländern zu einer Verschlechterung der Versorgungslage. In Deutschland verschlechtert sich die Lage drastisch im Winter 1916/1917, dem sogenannten Steckrübenwinter oder Kohlrübenwinter, als es zu einer schweren Versorgungskrise kommt. Verursacht wird diese durch eine wetterbedingt schlechte Ernte und das Preissystem der Kriegswirtschaft, dass Landwirte dazu veranlasst, Kartoffeln und Brotgetreide als Futtermittel zu verwenden, da dies profitabler ist, als sie an Konsumenten zu verkaufen. Im Winter sind dadurch viele Menschen gezwungen, die Grundnahrungsmittel Kartoffel und Brot durch Kohlrüben zu ersetzen, die einen deutlich ärmeren Kaloriengehalt besitzen.1

Auch in Hessen kommt es zu einer Hungersnot, die vor allem die soziale Unterschicht betrifft. Darüber gibt beispielsweise der Generalbericht des Kgl. Landrates in Kassel vom 17. November 1916 Aufschluss, in dem dieser sich an den Regierungspräsidenten richtet: „Ich bitte nach wie vor den größten Wert darauf zu legen, dass auch die Bevölkerung des platten Landes ohne jede Schönfärberei über den Ernst der Lage unterrichtet wird. (...) Am schwierigsten liegen die Verhältnisse bei der Kartoffelversorgung. Die Ernste stellt sich als immer mässiger heraus, und bei einer weiteren Herabsetzung der Rationen muss leider damit gerechnet werden, dass vielfach die Saatkartoffeln zur Ernährung benutzt werden. Die Kartoffeln werden sich schlecht halten und es wird von April an mit einer wirklichen Kartoffelnot gerechnet werden müssen.2

Auch aus anderen hessischen Regionen lassen sich ähnliche Berichte verzeichnen, so zum Beispiel in einem Schreiben des Landrates in Fulda an den Regierungspräsidenten in Kassel: „Infolge des Kartoffelmangels ist das Publikum unfriedlich und missgestimmt. Die Unzufriedenheit beruht hauptsächlich darauf, dass diejenigen Leute, welche sich mit Winterbedarf an Kartoffeln nicht eindecken konnten und ihren Bedarf bei der städtischen Verteilungsstelle wöchentlich abholen, nicht das ihnen zustehende Gewicht an Kartoffeln erhalten, sondern für einen Teil Kohlrüben nehmen müssen.3

Die desolate Versorgungslage des Winters hat für die hessische Bevölkerung verheerende Folgen. Viele durch Hunger verursachte oder verstärkte Krankheiten wie Tuberkulose, Magen- und Darmerkrankungen und Hungerödeme nehmen drastisch zu und die Sterblichkeitsrate steigt an.4
(NT)


  1. Hirschfeld, Gerhard/ Gerd Krumeich/ Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, S. 616.
  2. Generalbericht des Kgl. Landrates in Cassel an den Regierungspräsidenten zu Cassel, 17. November 1916, in: Digitales Archiv Marburg, Vom Ersten Weltkrieg zur Weimarer Republik: Kriegswirtschaft und Inflationsjahre 1914-1923/24, 1 Stimmungsberichte Bd. 1, 1915-16, HStAM 165, Nr. 1213, Bd. 1, Bl. 256v-257v.
  3. Monatsbericht des Landrates in Fulda an den Regierungspräsidenten zu Cassel, 21. Dezember 1916, in: Digitales Archiv Marburg, Vom Ersten Weltkrieg zur Weimarer Republik: Kriegswirtschaft und Inflationsjahre 1914-1923/24, 1 Stimmungsberichte Bd. 1, 1915-16, HStAM 165, Nr. 1213, Bd. 1, Bl. 289-290v.
  4. Regulski, Christoph: Klippfisch und Steckrüben. Die Lebensmittelversorgung der Einwohner Frankfurts am Main im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Frankfurt am Main 2012, S. 256-261.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Schwere Versorgungskrise und Hungertote, Winter 1916“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5582> (Stand: 20.6.2023)
Ereignisse im November 1916 | Dezember 1916 | Januar 1917
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