Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Johann Victor Bredt, Erinnerungen des Marburger Rechtsprofessors und Politikers, 1914-1921

Abschnitt 10: Tätigkeit im Kommunallandtag

[158-159]
Wir waren zu dreien in den Kommunallandtag1 für den Kreis Marburg gewählt worden: Bürgermeister Breitstadt-Hassenhausen2 als Deutschnationaler, Gutsbesitzer Klingelhöfer-Aumühle3 als Demokrat und ich als Kreisdeputierter gewissermaßen amtlich. Auf dem ersten Kommunallandtag am 3. Dezember 1919 hatte ich mich natürlich zu den Deutschnationalen gesetzt, war auch in den Hauptausschuß gekommen, hatte mich aber auf dem unbekannten Boden etwas zurückgehalten. Am 27. April 1920 trat der Kommunallandtag wieder zusammen, aber ich setzte mich nicht wieder zu den Deutschnationalen. Mehrere Landräte und Bürgermeister, insbesondere der Kasseler Zweite Bürgermeister [S. 159] Brunner, hatten sich aus dem politischen Getriebe heraushalten wollen und sich zusammengeschlossen zu einer „Freien Arbeitsgemeinschaft", die nur sachlich, nach rein kommunalen Gesichtspunkten arbeiten wollte. Dieser Arbeitsgemeinschaft schloß ich mich an und machte die allerbesten Erfahrungen. Ich entsinne mich kaum, jemals einem Gremium angehört zu haben, wo ich mich so wohl fühlte wie dort.

Ich gewann in der Arbeitsgemeinschaft alsbald eine gute Stellung und wurde auch in den Provinzialausschuß gewählt. Dieser war allerdings zuständig nur für die gemeinsamen Angelegenheiten der Provinz, und der Schwerpunkt lag bei den beiden Landesausschüssen der Kommunalverbände Kassel und Wiesbaden. Ich machte im Provinzialausschuß einen kräftigen Vorstoß in der Richtung, die beiden Kommunalverbände zusammenzufassen zu einer einheitlichen Provinz, fand aber nirgends Beifall, nicht einmal beim Oberpräsidenten Schwander. Das Alte saß zu fest in den Köpfen, selbst bei den Sozialdemokraten.

Am 7. Juli trat der Kommunallandtag wieder zusammen, und diesmal hielt ich mich nicht mehr zurück. Die ganzen Tagungen hatten regelmäßig nur Besoldungserhöhungen zu erledigen; es schien die einzige Aufgabe des Kommunallandtages zu sein. Von den eigentlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten war kaum die Rede; nur der Etat wurde formell erledigt. Jetzt wurde wieder eine Besoldungserhöhung vorgelegt, aber diesmal sollten die Gehälter der Kommunalbeamten erheblich über die Gehälter der gleichartigen Staatsbeamten hinausgehen. Der Landeshauptmann erklärte dazu, es sei gerade das Geld vorhanden, um diese Besoldungserhöhung durchzuführen, für die eigentlichen Aufgaben des Verbandes bleibe so gut wie nichts übrig. Der Oberpräsident sagte mit klaren Worten, die einzige Hilfe liege in der Notenpresse; in der Provinz müßten natürlich die Realsteuern entsprechend erhöht werden. Da hielt ich namens der Arbeitsgemeinschaft eine große Rede, die sehr stark beachtet wurde. Ich setzte auseinander, daß die ganze augenblickliche Finanzwirtschaft untragbar sei, daß aber vor allem die Gewerbetreibenden und Hausbesitzer erdrückt würden durch die Massen der Beamten, um die allein es sich noch zu handeln scheine. [... ] Der Erfolg des Vorstoßes war, daß wenigstens die Gehälter nicht höher gesetzt wurden als die der Staatsbeamten. Die Sozialdemokraten hatten sich schließlich auch auf unsere Seite gestellt, und es wurde der Verwaltung mit aller Deutlichkeit gesagt, daß sich die Ansprüche der Beamten in den gebotenen Grenzen zu halten hätten.


  1. Vgl. die Verhandlungen des Kommunallandtages für den Regierungsbezirk Cassel. 45.—47. Kommunallandtag. Cassel 1919/1920.
  2. Landwirt Johannes Breitstadt (1858—1937).
  3. J. Klingelhöfer (Dem.) setzte sich bereits auf einer Landesversammlung der Vertrauensmänner des Bundes der Landwirte am 25. 4. 1913 für eine neue Landtagskandidatur von B. ein. K. am 7. 5. 1913 an Bredt. Nachlaß.

Personen: Bredt, Johannes Victor · Breitstadt, Johannes · Klingelhöfer, J. · Brunner · Schwander, Rudolf
Orte: Marburg · Hassenhausen · Aumühle · Kassel · Wiesbaden
Sachbegriffe: Kommunallandtag Kassel · SPD · Inflation · Beamte
Empfohlene Zitierweise: „Johann Victor Bredt, Erinnerungen des Marburger Rechtsprofessors und Politikers, 1914-1921, Abschnitt 6: Tätigkeit im Kommunallandtag“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/62-10> (aufgerufen am 24.04.2024)