Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Otto Brühl, Das Marburger Landsturm-Bataillon auf dem Weg nach Flandern, 1914

Abschnitt 4: Transport von Brüssel über Gent nach Brügge

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[Fortsetzung 9. Jg., Nr. 2, 3. April 1915]

Am Samstag morgen gegen 9 Uhr erreichten wir Gent und hatten hier aus jeder der Vorstadtstationen längeren Aufenthalt, wie sich überhaupt unsere Reise, je näher wir unserm Bestimmungsort kamen, immer mehr verzögerte, da wir die unendlichen Munitionstransporte immer vorlassen mußten. Hier wurde mir noch eine recht freudige Ueberraschung zuteil. Als ich gerade mit der primitiven Morgentoilette, welche wir in dem für gewöhnlich anderen Zwecken dienenden kleinen Nebenabteil vornahmen, beschäftigt war, wurde mir mitgeteilt, daß ein Bekannter mich sprechen wollte. Als ich aus dem Abteil heraustrat, sah ich zu meiner großen Freude meinen Vetter F. d. F. ... vor mir stehen, der mit dem Stabe des 26. Armeekorps reiste. Eine schnelle Erkundigung nach dem eignen Befinden und nach dem Befinden unserer Lieben in der Heimat sowie ein gemeinschaftlicher Kartengruß in die Heimat war uns möglich, bis sich unsere Wege wieder trennten. Kurz daraus hörten wir auch deutlich den ersten Kanonendonner der Schlacht bei Westende…; in der ersten Zeit ein etwas herzklopfenerregendes Geräusch, an das man sich aber, da er bis heute noch nicht aufgehört hat, allmählich gewöhnt, sodaß jetzt nur noch die in kurzen Zwischenräumen hörbaren lauten Schläge der schweren Kaliber aufhorchen lassen, welche allerdings auch meistens die Fensterscheiben zum Erzittern bringen. Auf der Fahrt bis nach Gent und auch noch weiter hinaus sah man schon aus jeder Station deutsche Bahnbeamte, welche den Betrieb leiteten, und die ganze Strecke war von deutschen Landsturmmännern, bewacht, welche sich in den an der Bahn liegenden Wärterhäuschen so gut wie möglich wohnlich eingerichtet hatten.

Von Gent ging die Fahrt weiter auf der geraden Strecke nach Brügge langsam vorwärts, wo wir in Aeltre nachmittags wieder längeren Aufenthalt nahmen. Hier brauten uns die dort auf Bahnhofswache befindlichen Landwehrmänner einen guten Kaffee, der uns besonders gut mundete, da wir seit Brüssel, der letzten deutschen Verpflegungsstation, aus der wir Nachts vorher gegen 3 Uhr eine gute Erbsensuppe gegessen hatten, keinen warmen Löffel in den Leib bekommen hatten. Unsere Fahrt hatte sich gegen alle Voraussicht bedeutend länger gestaltet als wir dachten, sodaß wir am Schlusse ganz auf unsere aus Marburg mitgenommenen Vorräte angewiesen waren. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß innerhalb des Abteils alle Vorräte kameradschaftlich zur gemeinsamen Benutzung zur Verfügung gestellt wurden. Auch unser Rauchvorrat [Sp. ] ging allmählich zur Neige, sodaß wir zum Schlusse zu der mir kurz vor der Abreise von Herrn Direktor B … von der C … in liebenswürdigster Weise gespendeten Zigarren unsere Zuflucht nehmen mußten. Eine von sämtlichen Koupeekameraden unterzeichnete Dankespostkarte, welche wir unterwegs schrieben, ist hoffentlich in dessen Besitz gekommen. Abends gegen 8 Uhr hielten wir wieder an einer kleinen Station mitten im Walde längere Zeit. Bald loderten die Feuer hoch auf und wurde Kaffee von einzelnen Leuten gekocht. Eine ergreifende Zeit war es, als beim Scheine der Feuer heimatliche Soldatenlieder zum sternbedeckten Himmel emporstiegen.

Sonntag Nacht gegen 3 Uhr erreichten wir glücklich unseren Bestimmungsort Brügge, wo wir jedoch, da die Rampe zum Ausladen nicht frei war, nicht aussteigen konnten. Wir wurden daher auf die bis jetzt nicht benutzte Strecke nach Blankenberge ca. 6 Km, nach Norden vorgeschoben, wo wir dann dem Sonntag Morgen ruhig entgegenschlummerten.
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