Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Otto Brühl, Das Marburger Landsturm-Bataillon auf dem Weg nach Flandern, 1914

Abschnitt 1: Verabschiedung des Landsturm-Bataillons in Marburg

[Sp. 277]
[Vorbemerkung des Herausgebers Karl Spieß:

"Von unserem Marburger Landsturm-Bataillon.
Von dem Landsturmmann Otto Brühl aus Biedenkopf wird uns eine Schilderung der Reise unseres Marburger Landsturm-Bataillons nach Belgien zur Verfügung gestellt, die wir nachstehend zum Abdruck bringen und die gewiß allseitigem Interesse begegnen dürfte:" ]


Brügge, den 27. Oktober 1914.

Unsere Abreise.

Am Dienstag Abend [20. Oktober 1914]1 gegen 9 Uhr, als wir gemütlich bei unserm gewohnten Abendschoppen im Hotel Hoffmann am Bahnhof [in Marburg] saßen2, wurde die Stunde unserer Abreise bekannt. Schnell waren die nächsten Bekannten von derselben benachrichtigt, um sich dann nochmals zu einem letzten Abschiedsschoppen zusammen zu finden. Am nächsten Morgen nahm man Abschied von seinem weichen Marburger Bett, mit der Ungewißheit, wann man wohl seine Beine wieder einmal in einem solchen ausstrecken würde. Der für den Vormittag angesetzte Dienst wurde in aller Hast erledigt, und die um 12.30 Uhr angesetzte Abmarschstunde ließ einem kaum Zeit, die letzten Vorbereitungen zur Abreise zu treffen. Schnell verschwanden die möglichsten und unmöglichsten Sachen in dem immer größere Dimensionen annehmenden Rucksack und dann gings nach nochmaligem kurzen Abschied von lieben Verwandten und Bekannten zum Appellplatz der Kompagnie. Pünktlich zur angesetzten Minute marschierte das Bataillon unter dem Vorantritt einer Musikkapelle zum Bahnhof. Der Abschied von Marburg und die uns hierbei erwiesenen Sympathiekundgebungen der Marburger Einwohnerschaft bewiesen deutlich, wie innig das Verhältnis zwischen dieser und den Landstürmern geworden war. Eine unübersehbare Menschenmenge bildete vom Kämpfrasen3 bis zum Bahnhof Spalier und auch letzterer sowie die ganze Bahnstrecke bis zum Bahnhof Marburg-Süd war von abschiedwinkenden Bekannten besetzt. Am Bahnhofe angekommen, waren schnell die angewiesenen Abteile bestiegen und nach einem letzten herzlichen Abschied setzte sich der unendlich lange Zug langsam in Bewegung, dem unbestimmten Ziele entgegen. Bald nach der Abfahrt wurden die mitgenommenen Sachen so gut wie möglich verstaut und machte es sich jeder so bequem wie möglich, sollten wir doch voraussichtlich für längere Zeit in diesen Wagen Unterkunft haben.


  1. Ein Datum der Fahrt nach Brügge ist im Druck nicht angegeben. Der zur selben Einheit gehörende Landsturmmann Hermann Thome aus Wolzhausen schreibt jedoch am 21. Oktober 1914 von dem Verpflegungsaufenthalt in Gießen, den Otto Brühl erwähnt, eine Feldpostkarte an seine Frau.
  2. Der Schreiber Otto Brühl kommt aus Biedenkopf. Die Mitteilung, dass er seinen Abendschoppen in einem Marburger Hotel einnahm, lässt vermuten, dass er sich als Landsturmmann schon längere Zeit in Marburg aufgehalten hat und dort im Quartier lag.
  3. Übungsgelände in Marburg südlich der Jägerkaserne an der Frankfurter Straße.

Personen: Brühl, Otto · Spieß, Karl
Orte: Flandern · Belgien · Biedenkopf · Brügge · Marburg
Sachbegriffe: Landsturm-Bataillon Marburg · Landsturm · Militärmusik · Bahnhöfe · Kasernen · Einquartierungen
Empfohlene Zitierweise: „Otto Brühl, Das Marburger Landsturm-Bataillon auf dem Weg nach Flandern, 1914, Abschnitt 3: Verabschiedung des Landsturm-Bataillons in Marburg“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/7-1> (aufgerufen am 20.04.2024)